Zu alt?

In rund einem Jahr sind US-amerikanische Wahlen. So wie es aussieht werden sich wieder Joe Biden und Donald Trump gegenüberstehen. Vor einigen Tagen veröffentlichte die New York Times› eine Umfrage aus den sogenannten Swing States, also aus jenen Staaten, die voraussichtlich das Rennen entscheiden werden. In fünf dieser sechs Staaten liegt in dieser Umfrage Trump vor Biden. Dies teilweise sogar deutlich: So in Nevada (Zahlen in Prozent: Trump 52, Biden 41) und Georgia (Trump 49, Biden 43). Aber auch in Arizona, Michigan und Pennsylvania liegt Trump vorn. Einzig in Wisconsin hat Biden einen kleinen Vorsprung (47 zu 45). Probleme hat Biden insbesondere bei den Jungen, vor allem bei den unter Dreissigjährigen. Diese Probleme könnten sich durch den Nahostkonflikt noch akzentuieren. Ebenfalls gefallen ist seine Beliebtheit bei afroamerikanischen Wähler:innen und bei Latino:as, wobei diese immer noch mehrheitlich Biden wählen, ebenso wie die Frauen. Inhaltlich trauen die Wähler:innen Trump weit mehr zu, wenn es um die Wirtschaft geht, genauso wie in der Sicherheits- und Aussenpolitik. Beides ist nicht ganz unerklärlich, auch wenn man meinen könnte, dass man in einer Situation mit vielen internationalen Krisen doch jemanden an der Spitze haben möchte, der einigermassen vernünftig mit diesen umgehen kann. Dass es in Zeiten höherer Unsicherheit aber einen Trend zu rechten Parteien gibt, haben wir schliesslich auch in der Schweiz gesehen. Bei der Wirtschaft ist es vor allem die Inflation, die Biden zu schaffen macht. Andere ökonomische Indikatoren wie etwa die tiefe Arbeitslosigkeit sollten eigentlich für Biden sprechen. Auch die Inflation sinkt. Nur sind die Preise nach wie vor hoch. Die Leute erinnern sich zudem offensichtlich recht selektiv an die Trump-Jahre. Aber sie sind der Meinung, dass es ihnen damals wirtschaftlich besser ging. Einzig bei der Abtreibung kann Biden punkten, die Frage ist aber weniger entscheidend als die Wirtschaftslage. Sein Hauptproblem ist aber ein anderes. Eines, das sich in den nächsten Monaten nicht ändern wird: Es ist das Alter. 71 Prozent der Wähler:innen finden ihn schlicht zu alt für den Job. Und da Biden in diesem Monat seinen 81. Geburtstag feiern wird, ist diese Sorge nicht ganz so einfach von der Hand zu weisen. Nun ist Donald Trump mit 77 Jahren auch kein Jungspund. Aber offensichtlich scheint das Alter bei ihm weniger ein Thema zu sein.

Die ‹New York Times›-Umfrage ist kein Ausreisser, sondern reiht sich ein in eine Serie anderer Umfragen, in denen Trump vor Biden liegt. Bidens Popularitätswerte sind seit zwei Jahren im Keller. Dass dies bei der demokratischen Partei für Unruhe sorgt, liegt auf der Hand. Zumal es auch weitere Kandidaturen von Drittparteien gibt oder geben könnte, die ihn Stimmen kosten könnten. So kandidiert der Impfgegner Robert Kennedy Jr. als Unabhängiger für die Präsidentschaft. Er ist der Sohn von Robert Kennedy, der in der Präsidentschaft John F. Kennedys Justizminister war, und selber für die Präsidentschaft kandidierte, bevor er das Opfer eines Attentats wurde. Auch wenn die übrige Kennedy-Familie keine Freude an der Kandidatur ihres Verwandten zeigt, könnte sein klingender Name Biden durchaus Stimmen kosten. Wobei es auch Umfragen gibt, die zeigen, dass er auch Trump Stimmen abnimmt, da er mit seinem Hang zu Verschwörungstheorien hier durchaus ein Elektorat findet. Für die Grüne Partei tritt der Philosoph Cornel West an, der einst ein grosser Unterstützer von Bernie Sanders gewesen ist. Offen ist, ob die Gruppierung «No Labels», die sich zwischen den beiden Parteien positionieren will, ebenfalls antreten will. Hartnäckige Gerüchte besagen, dass sich der konservative demokratische Senator Joe Manchin eine Kandidatur überlegt. Biden selbst hat zwei Herausforderer innerhalb der demokratischen Partei: Zum einen die Esoterikerin Marianne Williamson und neu auch der Kongressabgeordnete Dean Philips aus Minnesota. Beide werden chancenlos sein. Ganz unbestritten ist Biden allerdings intern nicht. Der ehemalige Obama-Berater David Axelrod hatte in einem vielbeachteten Post auf ‹X/Twitter› zu verstehen geben, dass Biden sich überlegen soll, ob sein Wiederantreten wirklich im besten Interesse des Landes ist. 

Ich hätte es vor vier Jahren vorgezogen, wenn die Demokraten jemand anderes nominiert hätten. Biden hat sich aber als erstaunlich effektiver Präsident herausgestellt. Es ist daher nicht ganz einsichtig, warum seine Beliebtheitswerte dermassen schlecht sind. Zum Beispiel sorgt sein «Inflation Reduction Act» für grosse Investitionen in den Klimaschutz und gleichzeitig werden jene Arbeitsplätze in Produktion und Herstellung geschaffen, die lange vermisst wurden. Auch aussenpolitisch hat er weltweit einiges Vertrauen wiederhergestellt, das in den Trump-Jahren verloren gegangen ist. Dass Trump nicht viel von Demokratie hält, war nach seinen verlorenen Wahlen offenkundig, spätestens seit seine Anhänger am 6. Januar 2021 das Kapitol gestürmt hatten. Die ‹New York Times› hat auch enthüllt, welche Pläne Trump und sein Team nach einem Wahlsieg bereithalten. Er will zum einen die Justiz instrumentalisieren, um gegen seine politischen Gegner und auch gegen seine eigenen abgefallenen einstigen Getreuen vorzugehen. Als wäre das nicht bananenrepublikig genug, liegen auch Pläne vor, wie die Armee eingesetzt werden kann, um gegen Anti-Trump-Demonstrationen vorzugehen. 

Das Problem: Dies bekommt eine breite Öffentlichkeit gar nicht mit. Weil das Mediensystem nicht mehr richtig funktioniert, weil ganz viele gar keine ‹richtigen› Medien mehr konsumieren. Das gilt gerade für die Jungen. Nun ist Biden wirklich  ein alter Mann. Und tatsächlich erinnert zuweilen das amerikanische Politführungspersonal an die Gerontokratie des sowjetischen Politbüros in den 1980er-Jahren. Das wird allerdings verstärkt, wenn man in Sozialen Medien nur noch Ausschnitte mitbekommt, in denen Biden tattriger und seniler wirkt, als er es real auch ist. Hier ist es ein schwacher Trost, wenn man sieht, dass Trump auch den einen oder anderen Aussetzer hat, wie wenn er Barack Obama und Hillary Clinton verwechselt oder Viktor Orban für den Präsidenten der Türkei hält. Aber die Auswahl zwischen zwei vermeintlich senilen Kandidaten wird die Begeisterung fürs Wählen und die Demokratie nicht stärken.

Etwas Grund für Optimimus könnte den Demokraten die Resultate von verschiedenen ausser­ordentlichen Wahlen und Volksabstimmungen liefern. In Virginia beispielsweise konnten die Demokraten in beiden Kammern des Parlaments die Mehrheit übernehmen und in Ohio haben die Bürger:innen deutlich zugestimmt, dass Abtreibung legal bleibt. In Kentucky konnte der demokratische Gouverneur seinen Sitz verteidigen. Auch bei anderen solchen Wahlen hat sich gezeigt, dass die Demokraten besser abschneiden als in den Umfragen und auch besser mobilisieren. Das könnte ihnen dann auch in einem Jahr die Wahl sichern. Es gibt dazu schlicht keine andere Alternative.  

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