Wir haben nichts gesagt

Kollegah und Farid Bang. Nie gehört. Ich hatte keine Ahnung, dass es die gibt. Was nicht so überraschend ist, denn ich bin eine andere Generation, es ist nicht meine Musik, ich bin in einem anderen Leben irgendwie. Ich hatte also keine Ahnung, aber das war vor der Echo-Preisverleihung vom 12. April.

 

Jetzt habe ich das Gefühl, alles über sie zu wissen und habe soviele Songtexte von denen in meinem Kopf, dass ich mir ernsthaft Sorgen mache, dass sich das letztlich negativ auf meine Hirnleistung auswirkt. Ich hatte ja keine Ahnung, was da so gesungen wird und ich bin furchtbar erschrocken ob der puren Gewalt gegen alles. Natürlich, ich bin auch einfach eine alte Frau im Vergleich mit jenen, die das hören, und in diesem Genre tönen auch Texte anderer Interpreten nicht viel besser, aber es ist eben in diesem Fall nicht nur eine dieser üblichen Generationenfragen. Deshalb war und bin ich genauso empört und fassungslos über diese Preisverleihung, wie all die Musikerinnen und Musiker, die nun reihenweise und aus Protest ihren Echo zurückgeben. Was, wundert man sich, was haben die Veranstalter oder die Jury sich dabei gedacht, am 12. April, an jenem Tag, an dem besonders in Israel der Millionen ermordeter Juden während des Holocaust gedacht wird, genau diesen beiden diesen Preis zu verleihen? Es ist keine Entschuldigung, einfach darauf hinzuweisen, dass die Hauptpreise nicht die besten KünstlerInnen erhalten, sondern jene Musikschaffenden, die die höchsten Verkaufszahlen aufweisen. Es ist ein Zeichen, ein gutes eigentlich, dass solche antisemitischen, sexistischen, homophoben Inhalte nun nicht unwidersprochen bleiben.

 

Eigentlich.

 

Was mich nämlich beunruhigt ist, dass das erst jetzt passiert. Das letzte Album, um das es hier geht, erschien Anfang Dezember 2017. Die beiden Vorgängeralben entsprechend früher. Und da steht überall die genau gleiche Scheisse drin, wenn ich mir diese Schreibe mal so erlauben darf (ich merke, mein Niveau hat sich mitverschoben, ich wusste, das geht nicht spurlos an mir vorbei). Warum hat man nicht früher reagiert, warum haben all diese Künstlerinnen und Künstler, die sich jetzt medial auch ein wenig mitinszenieren, nicht schon längst Alarm geschlagen? Warum brauchte es eine solche Preisverleihung, damit die Frage gestellt wird, ob das jetzt noch unter «künstlerischer Freiheit» zu subsummieren oder diese Liedzeile, um die es geht und die ich hier nicht auch noch zitiere, nicht doch schon definitiv antisemitisch sei? Und was ist mit den anderen Texten, in denen Frauen in allen Varianten vergewaltigt, Flüchtlinge beschimpft, in denen verprügelt, erschossen, gemordet wird, als wäre es das Normalste der Welt?

 

Es wäre jetzt naheliegend und einfach, die gesamte Musikbranche für ihre Blindheit und Nachlässigkeit anzuprangern. Aber da komme ich mir leider selbst in die Quere. Wie immer. Ich muss mich dann nämlich jeweils fragen, ob ich es denn besser mache. Ob ich denn in meinem privaten Umfeld immer und sofort reagiere. Die Antwort ist nein.

 

Ich zähle 2 Menschen zu meinem engeren Bekanntenkreis, die nicht selten homophobe, antisemitische und sexistische Sprüche oder vermeintliche Witze machen. Der ist halt so, heisst es dann und man schüttelt äs bitzeli den Kopf. Mehr nicht. Ich habe keinen von denen jemals vor die Tür gestellt. Und jedes Mal, wenn ich es nicht tue, dann ist es genau so, als würde ich ihnen einen Preis überreichen. Und ich weiss ganz genau, dass es anderen auch so geht und so werden aus meinen 2 Bekannten dann eben 2000, 20 000, 200 000.

 

Und wir haben nichts gesagt.

 

Andrea Sprecher

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