Wettstreit im Grossbürgertum

Mit der 2023 geplanten Wiedereröffnung der Villa Flora wird beinahe hundert Jahre später ein grosser Traum des Sammlers, Mäzens und Vorstandes des Kunst- wiewohl Galerievereins Winterthur, Richard Bühler (1879 – 1967) endlich wahr: Die Vereinigung der namhaftesten Winterthurer Kunstsammlungen unter einem Dach.

 

Eigentlich wollen die derzeitige Ausstellung und der Katalog «Modernité – Renoir, Bonnard, Vallotton» den Stellenwert des Textilindustriellen E. Richard Bühler für den Kunststandort Winterthur hervorheben, indem seine in den Turbulenzen der Weltwirtschaftskrise zwangsweise aufgelöste Sammlung in ihren groben Zügen nachgezeichnet also ausgestellt wird. Letztlich wird aber der mit grossem Genuss zu lesende Katalog zu einer Geschichtsstunde über die Entstehung des mitten im Ersten Weltkrieg eröffneten Kunstmuseums Winterthur, was auch «Wunder von Winterthur» genannt wird. Damit wird der Katalog auch zur verspäteten Jubiläumsschrift zur 100-Jahr-Feier, die eigentlich schon vor vier Jahren begangen wurde. Höchst amüsant ist darin nachgezeichnet, wie sich das Winterthurer Grossbürgertum in einem Wettstreit über die künftige Ausrichtung der Sammlungstätigkeit der damaligen Avantgarde – Frankreich oder Deutschland – mit Schenkungen gegenseitig zu übertreffen suchte und damit den Grundstock der Sammlung mit heute als herausragend geltenden Werken immer weiter wachsen liessen. 

 

Palastrevolution

Zuvorderst stritten sich der Handelskaufmann Georg Reinhart (1877 – 1955) der Gebrüder Volkart AG mit dem Textilindus­triellen E. Richard Bühler der Hermann Bühler AG. Einig waren sich die beiden einander freundschaftlich zugetanen Kunstenthusiasten, dass Winterthur ein Museum, also auch eine Sammlung mit internationaler Strahlkraft braucht. Beide waren in den Vorständen des Kunstvereins wie auch des Galerievereins (dem Unterstützerclub) lange Jahre äusserst aktiv, nachdem die Gruppe Bühler-Hahnloser-Reinhart 1907 in einer Palastrevolution sich anstelle ihrer eigenen Väter und Onkel in den Vorstand des Kunstvereins wählen liess und mit Verve die Hinwendung zur Moderne und der Internationalität vorantrieb. Nur in der zu bevorzugenden Strömung war man sich nicht einig. Im Briefwechsel der beiden, der zum Teil Eingang in den Katalog fand, ist trefflich nachzulesen, dass sie sich im Disput um ihre jeweilige Kunstexpertise in der Argumentation nichts schenkten und einander schriftlich auf sehr gepflegtem, diplomatisch ausgedrückten Niveau gegenseitig für ihre Aktivitäten oder eben Unterlassungen teils scharf rügten. Unbehelligt von diesen köstlichen Disputen blieben Georgs Bruder Oskar Reinhart (1885 – 1965) der es vorzog, sein eigenes Sammlungsmuseum zu erstellen und nur im Hintergrund aktiv werden konnte, die als «graue Eminenz» beschriebene Cousine Bühlers Hedy Hahnloser (1873 – 1952), weil Damen eine offizielle Einmischung untersagt blieb. Im Rücktrittsschreiben Richard Bühlers als Präsident des Kunstvereins wird deutlich, welches Bedauern er darüber empfunden hat, diese beiden ebenfalls hochkarätigen Sammlungen nicht unter dem Dach des Kunstmuseums Winterthur versammelt haben zu können. Dieser Wunsch wird sich mit fast hundert Jahren Verspätung doch noch erfüllen. Wenn die Stiftung Sammlung Oskar Reinhart und die Stiftung Sammlung Hahnloser-Jäggli je als Teil des Kunstvereins Winterthur die Gesamtheit der damaligen Sammlereuphorie und Connoiseurschaft unter der Klammer Kunstmuseum Winterthur zusammenführt.

 

Sammlungsausrichtung

Geht man nach der Ausstellung zu Fuss die Treppen vom obersten Stockwerk hinunter durch die Sammlung Oskar Reinhart am Stadtgarten, könnte man zum Eindruck gelangen, Richard Bühler wäre im Vergleich zu Oskar Reinhart nahezu armengenössig gewesen. Sucht man indes im Internet nach einem Bild der Familienvilla Bühlstein, die er genauso wie seine Sammlung in der Weltwirtschaftskrise zugunsten des Erhalts der Textilfabriken veräussern musste, relativiert sich dieser Eindruck… Die wenigen erlesenen Gemälde, Drucke und Grafiken, die effektiv ausgestellt sind, bilden keineswegs die quantitative Reichhaltigkeit der Bühlerschen Sammlung ab, sondern zielen voll auf den Qualitätsgehalt seiner geschmackssicheren und kunsthistorisch bedeutsam geltenden Auswahl an Künstlern, mit deren Werken er seine Sammlung bestückte und für deren Anerkennung er sich einsetzte. Der Bestand etwa seiner Gemälde von Félix Vallotton muss zu Hochzeiten die Anzahl der jetzt ausgestellten Werke um ein Dreifaches übertroffen haben und dergleichen gilt für alle hier hängenden Preziosen. Weil Bühlers Sammlung eher ein lebendiger, variierender Organismus war, als eine stetig nur wachsende Hortung von Kunstwerken, ist ihr exakter Bestand auch gar nicht so einfach feststellbar, wie der Co-Kurator David Schmidhauser im Gespräch erklärt. 

 

«Modernité – Renoir, Bonnard, Vallotton. Der Sammler Richard Bühler», bis 21.2.21, Kunstmuseum Winterthur/Reinhart am Stadtgarten. Katalog 38 Franken.

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