Wenn Kohle Menschen vertreibt

Heiner Stolz, 75, ehemaliger Präsident der SP Obfelden, war Teil einer siebenköpfigen Gruppe aus dem Säuliamt, die auf den Spuren der «Glencore-Millionen» nach Kolumbien reiste. Seine Erfahrungen schildert er im Gespräch mit P.S.

 

Am 6. Mai lockte eine öffentliche Veranstaltung in Obfelden mit dem Titel «Glasenbergs Kohle» ein rund 150-köpfiges Publikum an: Seit fünf von sechs Gemeinden im Säuliamt entschieden, einen Teil der «Glencore-Millionen» an Entwicklungshilfeprojekte zu überweisen (P.S. berichtete), scheint das Thema die Leute nicht mehr loszulassen.

Heiner Stolz: Für mich ist es nach wie vor ein Wunder, dass wir es in fünf Gemeinden in einer Volksabstimmung und an allen Gemeindeversammlungen geschafft haben, die Mehrheit von unserer Idee zu überzeugen. 180 von 360 Millionen Franken ausserordentliche Einkommenssteuer von Glencore-CEO Ivan Glasenberg gelangten ja via Finanzausgleich an Gemeinden, und die hätten das Geld ebenfalls gut brauchen können.

 

Hat dieser Erfolg Sie beflügelt, am Thema dranzubleiben?

Nachdem die fünf Gemeinden im Herbst 2013 die Steuerausgleichsgelder an Hilfswerke überwiesen hatten, war die Sache soweit erledigt. Doch dann hatten wir die Idee, uns vor Ort anzusehen, was mit dem Geld gemacht wird.

 

War eine solche Kontrolle nicht sowieso vorgesehen?

Nein, die Abstimmungsvorlagen liefen in jeder Gemeinde darauf hinaus, dass das Geld einem oder mehreren Hilfswerken, die die InitiantInnen selber bestimmen konnten, übergeben würde. Dass diese mit dem Geld im vorgesehenen Sinne umgehen würden, davon gingen wir aus. Die Idee, selber nach Kolumbien zu reisen, entstand unabhängig davon: Wir waren einfach neugierig darauf, mehr zu erfahren. Mit VertreterInnen von ask!, der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien, stehen wir seit längerem in Kontakt, und dank ihnen kam die dreiwöchige Reise zustande, zu der wir im Januar 2015 aufbrachen.

 

Was fällt Ihnen heute als erstes ein, wenn Sie daran zurückdenken?

Es war eine sehr belastende Reise – und damit meine ich nicht den Anblick der Steinkohlemine von Glencore, die wir besichtigt haben, oder den allgegenwärtigen Staub, den die Kohleförderung verursacht und der sich über Land und Leute legt.

 

Sondern?

Der Umgang des Rohstoffkonzerns Glencore mit den Menschen, die wegen seines Kohleabbaus umgesiedelt werden müssen, widerspricht so ziemlich allem, was wir uns hierzulande gewohnt sind – und das, obwohl Glencore ein Schweizer Konzern ist.

 

Was hat Glencore denn falsch gemacht?

Die Menschen, die umgesiedelt werden mussten, leben heute isoliert in kleinen Dörfern. Um diese Dörfer herum ist das Wasser kaputt, der Boden vertrocknet, und in einem Dorf kommen die Menschen nur dank der Essenspakete, die ihnen der Konzern liefert, einigermassen über die Runden. Sie können nicht mehr als Bauern leben wie zuvor, sie haben ihr über Generationen weitervererbtes Land verloren, und sie haben keine Aussicht auf Arbeit – nur ganz wenige in den Minen, derentwegen sie umgesiedelt werden mussten. Und dennoch sind sie fast noch besser dran als jene, deren Umsiedelung bevorsteht.

 

Weshalb?

Wir haben ein Dorf besucht, El Hatillo, dessen BewohnerInnen seit fast fünf Jahren ohne Arbeit oder sonstige Perspektiven zum Warten verdammt sind – auf die Umsiedelung, die, wäre alles nach Plan verlaufen, bereits vor drei Jahren hätte abgeschlossen sein sollen. Die BewohnerInnen wissen bis heute nicht, wo und wie sie dereinst werden leben müssen. In einem anderen Dorf, in Las Casitas, leben die Leute derzeit noch in ihren angestammten, den klimatischen Verhältnissen bestens angepassten Lehmhütten, halten Vieh und betreiben Landwirtschaft. Ihre Zukunft ist bereits gebaut: kahle Reihenhäuschen, Behausungen, in denen die Hitze kaum auszuhalten sein dürfte, betonierte Wege, die Siedlung eingezäunt mit Stacheldraht.

 

Malen Sie jetzt nicht allzu schwarz?

Wir haben ja nicht nur von den Lehmhütten und den Betonhäusern gehört, wir haben beides mit eigenen Augen gesehen. Unsere siebenköpfige Reisegruppe war sich einig, dass es so nicht geht.

 

Konnten Sie solche Eindrücke den Verantwortlichen vor Ort mitteilen?

Ja, wir haben das den Konzernverantwortlichen vor Ort sehr deutlich gesagt. Ein paar Wochen nach unserer Rückkehr aus Kolumbien wurden wir an den Glencore-Hauptsitz in Baar eingeladen. Wir haben zweieinhalb Stunden lang mit Herrn Glasenberg gesprochen, und ich habe ihm Fotos von Neu-Las Casitas gezeigt.

 

Was hat er dazu gesagt?

Er befand sofort und mit grosser Geste, das gehe nicht, das müsse schleunigst geändert werden. Das war offenbar ein Missverständnis. Inzwischen sind bereits Menschen in diese Siedlung eingezogen. Glasenberg hat sich an jenem Treffen bei uns darüber beklagt, die Hilfswerke weigerten sich, die Situation vor Ort mit ihm zusammen unter die Lupe zu nehmen. Der Journalist Daniel Puntas Bernet, der uns auf der Reise begleitet hat, antwortete: Gute Idee, das machen wir! So kam es im März 2015 zu einer weiteren Reise, an der auch zwei Mitglieder unserer Gruppe teilnahmen.

 

Warum waren Sie nicht dabei?

Ich musste mein Knie operieren lassen und konnte deshalb nicht mit.

 

Aber sonst wären Sie mitgegangen?

Weil ich wusste, dass die Reise für mich sowieso nicht in Frage kam, habe ich mich nicht näher damit befasst.

 

Sie wirken dennoch skeptisch – und am Anlass vom 6. Mai hatten Sie, wie Sie sagten, «Bauchweh» wegen jenem Teil der Veranstaltung, der von der zweiten Reise handelte.

Während einer Präsentation wurde Glasenberg sozusagen als Retter aus der Not dargestellt, als der Macher, der zu allem sagt, «kein Problem, das bringen wir in Ordnung». Dabei ist er doch als oberster Boss von Glencore mitverantwortlich für das, was geschehen, versäumt und verschlampt worden ist.

 

Der eine Teil Ihrer Gruppe hat sich demnach weichklopfen lassen, der andere nicht?

Nein, so würde ich das nicht sagen. Wir sind kein Verein, keine Organisation, wir sind einzelne Personen mit eigenen Meinungen. Wir diskutieren offen miteinander, informieren uns gegenseitig. Ich persönlich habe den Eindruck, dass Glencore uns für die eigenen Interessen einzubinden versucht. Andere sehen das anders.

 

Aber Sie konnten auch während der ersten Reise kaum allein in Dörfer gehen und ohne Begleitung durch Glencore-Angestellte mit den Menschen reden: Wo ist da der Unterschied?

Wir haben schon im Vorfeld der ersten Reise jegliche logistische Unterstützung oder Begleitung durch Glencore strikt zurückgewiesen. Wir waren drei Wochen lang unterwegs, haben mit vielen Menschen in den Dörfern gesprochen, auch mit Gewerkschaftern und arbeitslos gewordenen Hafenarbeitern. Gerade zwei Tage waren wir Gäste in den Minen von Glencore, einen Tag lang Gäste im Hafen, von wo aus Glencore die Kohle nach Europa verschifft, als Beitrag zu unserem Luxusleben.

Die zweite Reise hat Glencore in Absprache mit Leuten von uns organisiert, die übrigens, wie wir alle zuvor, auch diesmal alle Reisekosten selbst bezahlt haben. Sie waren auf der Reise zusammen mit der Glencore-Entourage von acht mitreisenden Kaderleuten aus Baar und zahlreichen Glencore-Managern vor Ort. Auch ein Kameramann war dabei. So ist für mich schon der Eindruck entstanden von einer Glasenberg-Show.

 

Und eine solche Show gabs auch im zweiten Teil der Veranstaltung in Obfelden?

Für mich war einfach der Kontrast zu gross: Erst hat Diana Fonseca, eine von den Umsiedlungen betroffene Kolumbianerin, von ihrem Schicksal und vom Widerstand der Betroffenen erzählt, davon, wofür Glencore mitverantwortlich ist. Das war sehr eindrücklich. Und dann, gegen Schluss des Anlasses, gab es dann schon so eine Art Lobpreisung des Glencore-Managements. Das kam bei vielen Zuhörenden schlecht an.

 

Aber wahrscheinlich passiert dort tatsächlich mehr als anderswo, wo keine BesucherInnen auftauchen, die kritische Fragen stellen.

Das weiss ich nicht. Vielleicht kommen Betroffene anderswo besser zurecht, wenn wir Fremde uns nicht einmischen? Wir sind per Zufall nach Kolumbien gekommen: Die Leute von ask! haben die Reise vorbereitet und durchgeführt, sie sind seit Jahren aktiv und haben mit Glencore schon viel erlebt und erreicht, gemeinsam mit ihren Partnern im Land. Und dann kommen wir Touristinnen und Touristen und glauben, wir könnten ganz schnell ganz viel ändern? Tatsächlich haben wir einiges ausgelöst und in Bewegung gebracht. Erfreulich und wichtig, wenn das betroffenen Menschen hilft. Einige von uns möchten dranbleiben, weiter mit Glencore verhandeln, in einem Jahr nochmals nach Kolumbien reisen.

Ich sehe mich nicht in dieser Rolle. Ich denke, die Hilfswerke sollen jetzt weitermachen. Die Leute von ask! arbeiten gemeinsam mit ihren Partnern in Bogotà mit den Einheimischen zusammen, und sie machen das sehr gut.

 

Konnten Sie vor Ort eigentlich Vergleiche anstellen, beispielsweise zwischen einem unter den Augen der Hilfswerke umgesiedelten Dorf und einem, aus dem die Bevölkerung einfach vertrieben wurde?

Vergleiche zwischen Dörfern, in denen ein Hilfswerk zum Rechten schaut, und solchen, die auf sich allein gestellt sind, konnten wir nicht machen. Aber wir haben die plattgewalzten Überreste eines Dorfes gesehen, dessen BewohnerInnen Glencore einfach ausbezahlt hat.

Die Leute sind weggezogen, haben das Geld wohl ausgegeben, und das wars. Sie leben jetzt verstreut in alle Himmelsrichtungen, und ihr Land und ihre gemeinsame Geschichte und die Kohle darunter sind für immer verloren.

 

Was ist mit jenen, die in ihrer gewohnten Umgebung bleiben wollen?

Die meisten möchten weiterhin Landwirtschaft betreiben, doch wegen der ständigen Dürren, erklärt uns Glencore, und nicht etwa wegen der sich immer tiefer in die Erde grabenden Minen, sei der Grundwasserpegel unterdessen so tief, dass immer mehr Wasser versalzt und somit nicht nur als Trinkwasser unbrauchbar wird, sondern nicht mal mehr zum Bewässern der Felder tauge.

Die Minenbetreiber lassen die Strassen, auf denen die Kohle transportiert wird, regelmässig von Zisternenwagen mit Wasser besprühen, um den Staub zu binden. Am Rand der Minen besprühen Wasserkanonen den Himmel, um Staub zu binden. Dafür hat es anscheinend genug Wasser…

 

Wie bleiben Sie künftig am Thema dran?

Was andere Reiseteilnehmende oder andere Solidaritätsgruppen in unseren Gemeinden planen, weiss ich nicht. Als Reisegruppe werden wir sicher in Kontakt bleiben und gemeinsam verfolgen, was sich entwickelt und was im Rohstoffhandel passiert. Ich werde mich einsetzen für die Konzernverwaltungsinitiative. Für mich bleibt auf jeden Fall in Erinnerung, wie eine auf den ersten Blick politisch chancenlose Idee Gestalt annehmen, ein riesiges Medienecho auslösen und trotz allem das eine oder andere bewirken kann. Das ist für mich schon beispielhaft, und ich bin allen dankbar, die dazu beigetragen haben.

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