Und das Klima?

Am Montag haben die RegierungsrätInnen Carmen Walker Späh und Martin Neukom im Kantonsrat erklärt, wie sich die Regierung darauf vorbereitet, dass es uns im Winter möglicherweise an Strom und/oder Gas mangeln könnte (siehe auch Seite 4). Dabei hob Martin Neukom nicht nur hervor, dass es knapp werden könnte, sondern er betonte ebenso, Panik sei nicht angebracht. Was die SVP gar nicht gern hörte, sagte er auch: Die Energiestrategie 2050 des Bundes, welche die SVP bekanntlich seit Monaten und auf allen Kanälen als «gescheitert» bezeichnet, ist nicht der Grund dafür, dass der Strom knapp werden könnte. Produktion und Verbrauch von Elektrizität sind seit 2011, also seit Fukushima, gleich geblieben. Und das AKW Mühleberg, das sagte Martin Neukom auch noch, wurde abgestellt, weil es nicht mehr rentierte. Umgekehrt sollen mit Diesel betriebene Notstromaggregate zum Einsatz kommen dürfen, und zwar länger als 50 Stunden pro Jahr wie bisher.

 

Soweit, so klar. Gespart werden muss natürlich trotzdem, das ist aber ebenfalls nichts Neues. Und auf die Gefahr hin, als alte Streberin rüberzukommen: Sorry, wo ist das Problem? Heizung runterdrehen, unter der Dusche den Wasserhahn zudrehen, während man sich einseift, beim Verlassen eines Raumes das Licht löschen, Steckdosen mit Kippschalter gegen Standby-Verbrauch – damit bin ich aufgewachsen, mit Ausnahme der Kippschalter-Steckdosen, die gab es damals noch nicht. Was nicht weiter schlimm war, denn erstens hatte man, als ich klein war, nur einen Bruchteil der elektrischen Geräte von heute, und zweitens hatten die alle einen Ein-Aus-Schalter.

 

Mehr Sorgen macht mir das, was zurzeit auf nationaler Ebene passiert: Wie befürchtet, sehen die Bürgerlichen ihre Chance gekommen, alles, was ihnen immer schon ein Dorn im Auge war, im Eiltempo abzuschaffen: Restwassermengen? Brauchen wir nicht. Geschützte Landschaften? Interessiert uns nicht … Dabei ist es, wie immer, eine Frage des Abwägens: Solarkraftwerke in Gegenden in den Bergen, in denen im Sommer vielleicht drei, vier Wanderer pro Tag vorbeikommen, und das auf Wegen, von denen man die Anlage kaum sieht – das klingt soweit verkraftbar. Dass allerdings die Solaranlagen-Pflicht bei Neubauten in der ständerätlichen Kommission nur dank Stichentscheid der Präsidentin durchkam und somit zu scheitern droht, ist mehr als unerfreulich. Und beim Restwasser ist offen, wie viel das für die Stromerzeugung tatsächlich bringt. Wenn es denn nötig sein und auch etwas bringen sollte: Was spricht dagegen, die Reduktion wenigstens zeitlich auf wenige Monate zu begrenzen?

 

Am meisten aber erstaunt mich dies: Wir schmoren hierzulande seit Anfang Mai in einer Hitzewelle nach der anderen vor uns hin, Berichte von Dürre und Waldbränden erreichen uns auch aus Gegenden in Europa, wo sie bislang zum Glück noch seltene Ereignisse waren – und nun lesen wir von der hohen Nachfrage nach Notstromaggregaten und davon, dass diese länger laufen sollen als bisher möglich, Diesel hin oder her. Ja mehr noch: Wir sollen Strom sparen, wir sollen die Gasheizung runterdrehen, wir sollen die Dieselaggregate nur im Notfall brauchen – aber vom Auto fahren und vom Fliegen redet niemand, da wird munter weiter CO2 in die Atmosphäre geblasen. Warum den zusätzlichen Dieselverbrauch nicht kompensieren, indem weniger Benzin und Kerosin verbraucht wird? Weil wir schon bei den Gasheizungen sparen sollen? Aber dort würden wir gar nicht im eigentlichen Sinn sparen, wir sollen nur haushälterisch damit umgehen, weil Gas eventuell knapp werden könnte. Der Klimawandel ist deshalb noch längst nicht abgeblasen … ja noch nicht einmal abgebremst.

 

Doch wenn es darum geht, zu verzichten, nicht aufs Auto fahren, sondern bloss aufs (fast) Gratisparkieren auf öffentlichem Grund, werden gewisse Leute schon aktiv: Mitten in der heissen Sommerzeit war beispielsweise in der NZZ zu lesen, dass gegen drei neue Velorouten in Zürich über 400 Einsprachen eingegangen seien. Dies, weil «fast 500 Parkplätze» verschwinden sollten. Und, man glaubt es kaum: «Sogar die Schwamendinger Chilbi soll durch die Routenführung infrage gestellt sein.» Dass es soviel Widerstand gab gegen die geplanten Routen in Höngg, Affoltern, Oerlikon und Schwamendingen, hat einen Grund: «Organisiert haben ihn der Zürcher Gewerbeverband, der Hauseigentümerverband sowie die FDP und die SVP. Sie haben zu Einsprachen aufgerufen», schreibt die NZZ und lässt Gewerbeverbandspräsidentin Nicole Barandun anfügen, es hätten auch sehr viele Leute Einsprache erhoben, die nicht bürgerlich wählten.

 

Zusammengefasst: Wenn den Bürgerinnen und Bürgern heute Sparmassnahmen beliebt gemacht werden, mit denen frühere Generationen noch selbstverständlich aufgewachsen sind, dann ist das offensichtlich ein Politikum, das ausgeschlachtet werden will. Am lautesten schreien jene, die sich in der Vergangenheit stets gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien gewehrt haben. Indem sie Tag und Nacht auf der angeblich gescheiterten Energiestrategie herumreiten, spielen sie «Haltet den Dieb!» und meinen, niemand merke es. Das ist mühsam, aber man gewöhnt sich daran. Doch wenn es darum geht, trotz der möglicherweise drohenden Stromknappheit den Klimawandel nicht zu vergessen, dann wird es schwierig. Denn auch Linke fahren gern Auto, auch Linke sind bequem. Auch Linke finden, man müsse unbedingt etwas gegen den Klimawandel tun – solange man nicht bei ihnen und ihrem bequem eingerichteten Leben anfange. Das ist die Knacknuss.

 

Regierungsrat Neukom sprach am Montag davon, frühzeitig zu schauen, welche Firmen Strom sparen können und wollen, und diese Firmen dafür zu entschädigen. Warum macht man so etwas eigentlich nicht auch beim privaten Verbrauch? Wer nämlich keinen Strom sparen kann, weil er oder sie die jetzt überall herumgebotenen Stromspartipps längst beherzigt, mit LED-Lampen und alles, der oder die zahlt via höhere Stromkosten für all jene mit, die Strom bisher verschwendet haben. Oder nehmen wir die Automobilität: Wenn schon ein bisschen weniger warme Wohnungen und kürzere Duschzeiten ein Politikum sind, dann hüte man sich, die heilige Kuh namens Auto auch nur im gleichen Atemzug zu nennen wie das Wort «Verzicht». Zwar war es während der Lockdowns in ganz Europa so ruhig wie noch nie, die Luftschadstoffbelastung ging zurück – aber statt die neuen Gewohnheiten mindestens beizubehalten, wird wieder Auto gefahren und geflogen, als gäbe es kein Morgen. Und was machen die Bürgerlichen in der Stadt Zürich? Sie organisieren Einsprachen gegen Velorouten. Was soll man da noch sagen?

 

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