Fantastisch

Sie sah schlicht fantastisch aus. Ich war so beeindruckt, dass ich mir diese paar Sekunden immer wieder ansah. Und es blieb dabei: Fantastisch. Ausgesprochen einzigartig noch dazu, denn tanzende oder singende oder sonst wie feiernde PolitikerInnen sind immer, immer peinlich. Das ist ein Gesetz. Nun, eben, war ein Gesetz. Denn dann kam Sanna Marin.

 

Könnte ich so tanzen, ehrlich, ich würde nicht viel anderes tun. Ich bin ja mehr so der Typ Mensch, der sich für öffentliches Tanzen (also alles ausserhalb der eigenen Küche) so viel Mut antrinken müsste, dass in der Konsequenz leider schon das aufrecht Stehen eine Herausforderung wäre. Sanna Marin, ich meine, das ist eine andere Liga. Jetzt ist das aber nicht ganz Konsens, wie ich feststellte, und vor allem auch nicht der Punkt der doch ziemlich lange anhaltenden Diskussion, die die finnischen Staatsgrenzen längst überschritten hat. Der Punkt ist ein ganz anderer. 

 

Man kann sagen: Da kommt einfach alles zusammen. Eine junge Frau, die Staatschefin ist. Die müsste jetzt dieses Amt grundsätzlich demütig und gerne auch ein wenig verhärmt ausüben (wegen der grossen Last auf den zarten Schultern). Jetzt tut sie das aber nicht, obwohl sie das Maximum an Goodwill alleine dadurch längst aufgebraucht hat, dass sie eine junge Frau ist, die Staatschefin ist. Stattdessen feiert sie an Wochenenden mit Freunden. Die Welt liegt derweil zerschmettert am Boden, es ist Krieg in Europa, gerade war noch die Pandemie, die Klimakrise tropft uns von der glühenden Stirn, aber das alles hindert sie nicht. Völlig losgelöst tanzt sie in einem Video und vermutlich hat sie noch getrunken, oder schlimmer, weshalb sie schliesslich einen Drogentest machen und erklären muss, sie habe keinen einzigen Termin sausen lassen wegen dieser Feierei. Dass sie eine ausgesprochen gute Arbeit macht in der Regierung ist irrelevant. Es ist sehr offensichtlich, dass viel dieser Aufregung damit zu tun hat, dass sie eine junge Frau ist. Aber eben nicht nur. 

 

Es betrifft auch Männer. Es betrifft alle Amtspersonen in gewählten Ämtern. Das ist mir ein wenig zuwider, wenn ich das hier anmerken darf. Auch wenn ich den Reflex verstehe. Männliche Politiker, die immer wieder Affären haben zum Beispiel, gehen mir wahnsinnig auf die Nerven. Muss das denn ein Naturgesetz sein? Können die sich nicht besser im Griff haben? Und könnten sie sich vielleicht ein wenig zurückhalten, wenn sie gerade Präsident eines Landes sind? Fakt ist aber, dass sie tun, was sehr viele andere auch tun. Und dass es ihre Privatsache ist, wenn es ihre Unabhängigkeit und ihre Arbeit nicht in irgendeiner Weise gefährdet. Und genau so dürfen diese PolitikerInnen auch mal abstürzen, wenn sie dann nicht betrunken ins Auto sitzen oder sonst eine Straftat begehen. Ich verstehe den Wunsch nicht, von einem perfekten, unfehlbaren Menschen regiert werden zu wollen, der keinerlei Emotionen und Bedürfnisse hat. Es gibt ihn nicht, diesen Menschen. Verlockend an diesem Anspruch ist nur diese Art Wohlfühlempörung, der man sich dann hingeben darf, wenn einer oder eine in einem Amt dabei erwischt wird, wie er oder sie etwas Peinliches oder, dem aktuellen Zeitgeist entsprechend, etwas moralisch Fragwürdiges tut. 

 

Im Grunde genommen ist es das Recht aller PolitikerInnen, sich gelegentlich genauso blöd zu verhalten wie ihre WählerInnen. Manchmal machen sie dabei eine viel bessere Figur als wir, wenn wir das Gleiche tun. Das ist dann schlicht fantastisch.

 

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