Sehnsucht nach starken Männern

In Führungsseminaren wird längst etwas anderes gepredigt. Partizipative Kultur, Dialog, auf Augenhöhe sein mit den Mitarbeitenden, Fähigkeit zur Selbstkritik. Schön formulierte es der dm-Gründer Götz Werner: «Führung ist heute nur noch legitim, wenn sie die Selbstführung der anvertrauten Mitmenschen zum Ziel hat.» In Realität und gerade in der Politik sind das Verständnis und die Vorstellung von Führung oft recht altmodisch. Eine gute Führungsperson ist eine, die auf den Tisch klopft und den Tarif durchgibt. My way or the highway. Eine relativ autoritäre Vorstellung. Und recht männlich.

 

Frauen, die nicht zweihundert Prozent besser sind als ihre Konkurrenten – und das sind sie nun mal in der Regel nicht – stehen da oft schon unter Generalverdacht der Führungsschwäche. Es gibt kaum ein Interview, wo FDP-Präsidentin Petra Gössi sich nicht zu Beginn für ihren Führungsstil rechtfertigen muss und nicht gefragt wird, ob nicht eigentlich doch ihr (selbstredend männlicher) Vorgänger die Strippen zieht. Petra Gössi ist damit nicht allein. Bei Frauen ist der Vorwurf der Führungs- und Durchsetzungsschwäche niemals weit. Sollte sich eine Frau denn aber so tischklopfend verhalten wie ein Mann, ist es selbstverständlich auch nicht recht.

 

Es ist immer wieder schwierig, Frauen für Toppositionen zu finden und zu motivieren. Weil es strukturell bedingt immer noch zu wenig Frauen gibt, die dafür überhaupt infrage kommen. Und weil sich etliche davon fragen, ob sie sich das überhaupt antun wollen. Sieht man die konkreten Beispiele durch, versteht man auch wieso. Weiteres Beispiel: Bundesratswahlen. Karin Keller-Sutter (FDP) bleibt (nach der ersten erfolglosen Kandidatur) nun weitgehend von Kritik verschont. Dafür kriegen es die CVP-Frauen doppelt ab. Alle Sonntagszeitungen überboten sich damit, die CVP-Frauen als unqualifizierte Leichtgewichte zu titulieren und bessere (natürlich männliche) Kandidaten zu fordern. Dass die beiden Portierten – CVP-Präsident Gerhard Pfister und Bundeskanzler Walter Turnherr – eher schlechter qualifiziert sind (der eine besitzt keine Exekutiverfahrung, der andere weder Legislativ- noch Exekutiverfahrung) und im Übrigen auch schon mehrfach abgesagt haben, ist egal. Bekrittelt wird an den Frauen die mangelnde Medienpräsenz – ohne dass sich Medien einmal selbstkritisch fragen würden, warum das so ist. Denn gerade Frauen mittleren Alters ohne Extrempositionen (und es sind ja CVP-Politikerinnen!) sind medial weitgehend unsichtbar. Unfreiwillig.

 

Auch bei der Wahl des Präsidiums des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds lassen sie sich ebenfalls exemplarisch beobachten. Für die Nachfolge von Paul Rechsteiner treten die St. Galler Nationalrätin Barbara Gysi und der Waadtländer Regierungsrat Pierre-Yves Maillard (beide SP) an. Auch wenn im Vorfeld eigentlich die Rede davon war, dass die Zeit für eine Frau gekommen ist, scheint das Rennen schon für den Mann entschieden. NZZ-Journalistin Christina Neuhaus schreibt süffisant: «Beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) geht es auch nicht anders zu als in den meisten Schweizer Unternehmen gleicher Grösse: Ein Mann steht an der Spitze, dafür leistet man sich eine Frauenkommission.»

 

Pierre-Yves Maillard, einer der starken Männer der Waadtländer Regierung, Mitarchitekt der aus linker Sicht doch etwas zweifelhaften Waadtländer Steuerdumping-Politik ist zweifellos ein «animal politique», ein starker Mann eben. Aber auch einer, der seit Jahren nicht mehr der Gewerkschaftsbewegung angehört. Er war von 2000-2004 Regionalsekretär des damaligen SMUV, der Vorgängerin der heutigen Unia, die ihn jetzt als Kandidaten unterstützt. Barbara Gysi, ehemalige Wiler Stadträtin und heutige Präsidentin des Personalverbands des Bundes ist dagegen heute in der Gewerkschaftsbewegung aktiv. Dennoch wird sie nur von ihrem eigenen Verband und dem Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) unterstützt. Hinter nicht mal gross vorgehaltener Hand heisst es – Sie ahnen es – Gysi sei führungsschwach. Zu wenig charismatisch im Auftritt. Dass auch ihr Vorgänger Paul Rechsteiner kein grosser Redner ist, wird ausgeblendet. Dass Gysi sowohl als ehemalige Stadträtin wie auch als ehemalige Fraktionspräsidentin der SP im St. Galler Parlament über viel Führungserfahrung verfügt, ebenfalls. Aber ja, man kann sich nicht so gut vorstellen, wie sie auf den Tisch haut.

 

Die voraussichtliche Wahl von Pierre-Yves Maillard ist aus gewerkschaftlicher Sicht auch abgesehen von der Frauenfrage ziemlich fragwürdig. Sie kommt einer Selbstkapitulation der Service public-Gewerkschaften Syndicom und SEV – die beide Maillard unterstützen – gleich. Die Dominanz der Unia, die nach der Fusion zur mit Abstand grössten Gewerkschaft geworden ist, war ein Dauerthema in den Führungsgremien des SGB. Darum war bis vor kurzem völlig undenkbar, dass ein SGB-Präsident oder eine SGB-Präsidentin aus der Unia kommt. Heute verhalten sich SEV und Syndicom wie die mittelgrossen Verleger zu Tamedia-Chef Pietro Supino: Gegen die eigenen Interessen handelnd, denn einmal wird man ja darauf angewiesen sein, dass Tamedia den eigenen Betrieb schluckt. Auch aus nichtmachtpolitischer Sicht müssen sich die Gewerkschaften fragen, in welche Zukunft sie gehen wollen. Die Gewerkschaften haben praktisch alle in den letzten Jahrzehnten Mitglieder verloren. Die traditionellen Branchen in der Industrie und im Service public sind geschrumpft und werden im Zeitalter der Digitalisierung noch kleiner werden. Das Potenzial der Gewerkschaften liegt bei den Frauen und in den Frauenberufen der Sorgewirtschaft. Das weiss auch die Unia, die aus diesem Grund angefangen hat, auch in der Pflege zu organisieren, den traditionellen Gewerkschaften und Verbänden in der Pflege zum Trotz.

 

Die Gewerkschaften wählen also einen Mann und einen Mann der Vergangenheit. Zweifellos ist Maillard ein guter Redner, politisch und strategisch hochgeschickt. Ein hervorragender Machtpolitiker. Ob es aber das ist, was die Gewerkschaftsbewegung heute braucht, ist eine ganz andere Frage. Die Sehnsucht nach starken Männern gibt es nicht nur rechts. Kulturveränderungen passieren nun mal nicht von heute auf morgen. Sie sind ein langsamer und zäher Prozess mit kleinen Schritten und grösseren Rückschlägen. Umso wichtiger bleibt, dass Frauen kandidieren, sich vernetzen und sich auch unterstützen. Es bleibt bedauerlich, wenn die Linke und die Gewerkschaften dafür nicht Speerspitze sind.

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