Räumungspraxen im Vergleich

Die Stadt Zürich pflegt einen toleranteren Umgang mit Besetzern als Bern oder Basel. Während sich bürgerliche Kreise in Zürich eine striktere Umsetzung der Gesetze wünschen, gibt es in Bern und Basel immer wieder Vorstösse für eine Angleichung an das Zürcher Modell.

 

Zara Zatti

 

Im April dieses Jahres reichten Nina Fehr Düsel (SVP Küsnacht), Marc Bourgeois (FDP Zürich) und Josef Wiederkehr (CVP Dietikon) eine parlamentarische Initiative mit dem Namen «Änderung des Polizeigesetzes betreffend umgehende Räumung von Hausbesetzungen» im Kantonsrat ein. Darin fordern sie die Räumung von besetzten Liegenschaften innerhalb einer Frist von 72 Stunden nach Eingang einer Anzeige bei der Polizei. Denn in der Stadt Zürich wird momentan erst polizeilich geräumt, wenn zusätzlich zur Strafanzeige entweder eine Abbruch- oder Baubewilligung vorliegt, eine unmittelbare Neunutzung nachgewiesen werden kann oder die Besetzung die Sicherheit von Personen oder denkmalgeschützten Bauten gefährdet, wie es in einem Merkblatt der Stadtpolizei heisst. Die Initianten des Kantonsrats erhoffen sich mit ihrem Vorstoss eine Anpassung an den Umgang mit Hausbesetzungen, wie er etwa in Basel-Stadt gegeben ist. Denn nicht in allen Städten der Schweiz werden Räumungen nach den gleichen Voraussetzungen vorgenommen.

 

Zürich als Ausnahmemodell
Mit der Praxis, dass eine alleinige Anzeige des Eigentümers nicht für eine Räumung reicht, stellt Zürich eine Ausnahme dar. Sowohl Basel wie auch Bern legen einen weniger toleranten Umgang mit Besetzern an den Tag: Sobald eine Anzeige des Eigentümers vorliegt, kann geräumt werden. Auch Zürich war einst strenger, angepasst wurde die Gesetzeslage im Zuge der Wohnungsnotbewegung von 1989. Der Historiker Thomas Stahel spricht in seinem Beitrag in der Zeitschrift ‹Sicherheit und Recht›, von «einer Flut von Besetzungen» Ende der 80er Jahre, die trotz konsequenter Räumung durch die Staatsgewalt nicht gestoppt werden konnte. Unter dem grossen politischen Druck sah sich die damals noch bürgerliche Regierung gezwungen, die Räumungspraxis anzupassen, welche sich dann mit dem rot-grünen Regierungswechsel von 1990 etablierte. Wie Thomas Stahel in seinem Artikel schreibt, biete diese noch heute gängige Praxis auch für die Polizei Vorteile, da es zu weniger konfliktgeprägten Räumungen komme: Zwischen 2006 und 2011 mussten weniger als ein Fünftel der besetzten Häuser durch die Polizei geräumt werden.
Der Jurist Armin Stähli untersuchte die polizeirechtlichen und taktischen Überlegungen in Bezug auf Hausbesetzungen in Zürich, Bern, Basel und Genf. Die Zahlen der registrierten Hausbesetzungen habe sich in allen Städten in den letzten Jahren ungefähr konstant gehalten, hält er fest. In Zürich bewegte sich die Zahl zwischen 15 und 25, im Jahr 2017 kam es in Zürich laut einer Statistik des ‹Tages-Anzeigers› zu sieben Räumungen. Wie die Kantonspolizei Basel mitteilt, habe diese im laufenden Jahr drei Mal aufgrund besetzter Liegenschaften ausrücken müssen, zwei Mal für einen Einsatz an der Elsässerstrasse. Momentan seien der Kantonspolizei Basel-Stadt keine besetzten Liegenschaften bekannt. Die Stadtpolizei Bern konnte auf Anfrage keine Angaben zur Häufigkeit besetzter Liegenschaften in der Stadt machen, da sie nicht von allen Fällen Kenntnis habe und zur Durchführung von Räumungen keine Statistiken führe. Erfahrungsgemäss könne aber gesagt werden, dass in der Mehrheit der Fälle eine anderweitige Lösung zustande komme.

 

Wunsch nach mehr Toleranz
Auch das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt führt ein öffentliches Merkblatt zum Umgang mit Hausbesetzungen. Dort heisst es, dass für eine polizeiliche Räumung, nebst einer Strafanzeige, vom Eigentümer auch eine Zusicherung für eine anschliessende Sicherung gegeben sein muss oder eine Gefährdung für Personen oder Denkmalschutz besteht. Die Bedingung der Sicherung soll davor schützen, dass Liegenschaften nach einer Räumung erneut besetzt werden. Dass sich dies in der Realität schwierig gestalten kann, zeigen die Vorfälle an der Elsässerstrasse: Diese wurde seit letztem Juni drei Mal besetzt, obwohl das Gebäude nach der ersten Besetzung vom Eigentümer baulich geschützt wurde. «Die Besetzer haben sich mit brachialer Gewalt noch einmal Zutritt zum Gebäude verschafft», heisst es bei der Kantonspolizei Basel-Stadt.
Das linke Lager des Kantonsparlaments von Basel wünscht sich schon seit langem eine Angleichung an den Zürcher Standard. Wie Beda Baumgartner, SP-Grossratsmitglied auf Anfrage mitteilt, habe es in den letzten fünf Jahren mehrere Vorstösse für eine solche Änderung gegeben, diese seien aber stets an der bürgerlichen Mehrheit gescheitert. Beda stört sich am proaktiven Vorgehen der Kantonspolizei: «Seit es die Villa Rosenau nicht mehr gibt, herrscht in Basel ein Verdrängungsmechanismus der Besetzerszene». Die Villa Rosenau wurde von einer autonomen Jugendbewegung besetzt und 2013 nach einem Brand abgerissen.
In Bern gibt es nebst der Anzeige des Eigentümers grundsätzlich keine zusätzlichen Voraussetzungen für eine Räumung, wie die Kantonspolizei auf Anfrage mitteilt.
Michael Aebersold, Gemeinderat und Finanzdirektor der Stadt Bern, würde eine Handhabung nach Zürcher Vorbild aber begrüssen: «Wenn der Wohnraum wie in Zürich und Bern sehr knapp ist, sollen Gebäude nicht leer stehen. Für städtische Areale und Liegenschaften setzt sich der Gemeinderat für eine pragmatische und deeskalierende Praxis ein, welche sich weitgehend an die Vorgehensweise in Zürich anlehnt.» Bei privaten Liegenschaften bestehe hingegen kein Spielraum, weil die Polizei in Bern kantonalisiert wurde und nicht wie in Zürich der Stadt unterstehe. Aus diesem Grund könne der Gemeinderat auch keine entsprechende Regelung erlassen, wie es von verschiedenen Vorstössen gefordert wurde.

 

Die Praxis soll bleiben
Die Stadt Zürich hält an ihrer toleranten Praxis fest und erachtet diese weiterhin als sinnvoll. Die Stadt setze seit 1989 auf einen Dialog mit den Hausbesetzern und nicht auf Repression, mit dieser Handhabung sei sie bis heute im Grossen und Ganzen gut gefahren. «Die Stadt Zürich hat diese Politik der Toleranz Ende der Achtzigerjahre entwickelt, weil man damals gelernt hat: Repression erzeugt Gegenrepression», sagt Mathias Ninck vom Sicherheitsdepartement.
Eine Kompetenz bei den Gemeinden erachtet auch Armin Stähli als sinnvoll: «Hausbesetzungen sind weitestgehend ein urbanes Phänomen. Entsprechend sollte die Regelung nicht auf Stufe Bund oder Kanton erfolgen, sondern direkt bei den Städten, da diese die lokale Besetzerszene am besten kennen.»

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