Slowfood, schnell aus dem Automaten gezogen

Was macht der Bauer, der weder Grossverteiler-taugliche Mengen produziert noch Zeit hat, auf den Wochenmarkt zu gehen, aber seinen Alpkäse oder seine Dinkelpasta dennoch am liebsten direkt an den Mann und die Frau in der Stadt bringen möchte? Bäuerin Margrit Abderhaldens Lösung heisst «Alpomat», und wie die Sache funktioniert, erklärt sie im Gespräch mit Nicole Soland.

 

Ihr «Alpomat», der auf der Traminsel am Albisriederplatz in Zürich steht, ist eigentlich ein gewöhnlicher Automat, wie man ihn von Bahnhöfen ohne Kiosk kennt. Doch statt mit Cola und Biberli ist er mit Alpkäsen, Dinkelpasta, Konfitüre und vielem mehr gefüllt. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Margrit Abderhalden: Meine Familie bewirtschaftet den Bio-Betrieb im Niderhus in Gibswil im Zürcher Oberland und betreibt im Sommer eine Alp auf dem Buchserberg im Kanton St. Gallen. Für die Menschen dort ist Alpkäse genausowenig etwas Besonderes wie für die Bündner und die Glarnerinnen, kurz für alle Menschen, die in Gegenden wohnen, in denen Alpkäse produziert wird. Wir verkauften unseren Käse aber früher auch regelmässig an Herbst- und Weihnachtsmärkten in Städten und haben dabei festgestellt, dass die Kundschaft dort ganz anders reagiert.

 

Wie denn?
Wir schmückten unsere Stände mit Fotos von der Alp und stellten fest, dass den Kund­Innen Sachen auffielen, die für uns so normal sind, dass wir nicht weiter darüber nachdenken: Sie sprachen uns beispielsweise darauf an, dass die abgebildeten Kühe Hörner haben. Oder sie staunten darüber, wie selbstverständlich sich die Kinder auf der Alp zwischen den Tieren bewegen und mithelfen, für sie zu sorgen.

 

Das gab den Anstoss zum Aufstellen von Alpomaten?
Den Hauptanstoss gab die Sendung ‹Schweiz aktuell›; die SendungsmacherInnen kamen im Sommer 2013 zu uns auf die Alp und sendeten täglich 20 Minuten live. Das löste einen grossen Ansturm aus; bis Ende Saison kamen viele Leute vorbei, um sich die Alp und unsere Alpwirtschaft anzuschauen. Auffallend war, wie viele von ihnen aus Zürich kamen, und immer wieder wurden wir gefragt, in welchen Läden in der Stadt man denn unseren Alpkäse kaufen könne. Für die Besucher­Innen aus Zürich ist Alpkäse eben nicht Alltag, sondern eine Spezialität, die sie entsprechend zu schätzen wissen. Das brachte mich auf die Idee, mit dem Käse direkt zu den Leuten in die Stadt zu gehen.

 

War das der einzige Grund?
Alpkäse braucht auch nach dem Alpabzug Pflege: Man muss die Laibe regelmässig wenden und schmieren, und zudem muss im Lagerraum ein möglichst optimales Klima herrschen, damit er gut reift. Viele Bauern, die ihre Tiere im Sommer auf die Alp geben, haben keine Zeit für die Pflege oder keinen geeigneten Raum. Also geben sie ihren Käse möglichst rasch und weit unter dem Richtpreis weg. Das finde ich schade. Doch früher war es für die Bauern Pflicht, den Älpler­Innen die Anzahl Käse abzunehmen, welche die Milch ihrer Kühe hergegeben hatte. Wir schauen auf der Alp Buchserberg zu rund 90 Kühen; da kommt viel Milch zusammen. Deshalb bieten wir den Bauern an, ihnen die Milch abzukaufen, und zwar zu einem fairen Preis von aktuell 85 Rappen.

 

Wie ist das möglich? Das ist ja viel mehr, als die Bauern beim Grossabnehmer bekommen.
Auf der Alp ist das Leben für die Kühe anstrengender als zuhause im Stall, und deshalb geben sie auch weniger Milch. Dem trägt der höhere Literpreis Rechnung.

 

Und es handelt sich um Bio-Milch, nehme ich an.
Nein, denn die Alp ist nicht bio-zertifiziert, und wir könnten sie auch nicht einfach zertifizieren lassen; das müssten die Besitzer machen. Doch rund die Hälfte der Kühe stammt von Biobetrieben, und alle fressen dasselbe gute, ungespritzte Gras, es gibt kein Kraftfutter weit und breit, Hörner haben die meisten Tiere übrigens auch, kurz: Natürlicher geht es nicht.

 

Zwischen dem raschen Verkaufen und der Selbstvermarktung müsste es doch noch andere Absatzmöglichkeiten geben.
Das dachte ich auch, und deshalb habe ich viele Telefonate mit potenziellen WiederverkäuferInnen in der Stadt geführt. Doch ob Bioladen, Quartierladen oder Comestibles-Geschäft – überall erhielt ich Absagen. Dabei hätten sich viele GesprächspartnerInnen unsere Produkte durchaus in ihrem Laden vorstellen können. Doch sie erklärten mir allesamt, sie hätten bereits fixe LieferantInnen und/oder ProduzentInnen, von denen sie Waren direkt beziehen, und seien deshalb nicht interessiert. Einige sagten auch ab, weil sie nur zertifizierte Bio-Produkte verkaufen. Das sind alles gute Gründe, damit habe ich kein Problem. Aber deswegen aufzugeben, kam für mich genausowenig infrage: Es kann doch nicht sein, dass unsere Produkte keinen Weg zu den KonsumentInnen in der Stadt finden, obwohl sie bei den Städter­Innen, die auf unsere Alp kommen, auf derart grosses Interesse stossen.

 

Einen Stand auf einem Wochenmarkt in Zürich zu betreiben, war auch keine Option?
Nein, das wollten wir nicht, und es wäre auch gar nicht machbar gewesen, denn unsere drei Kinder sind noch klein. So kam ich schliesslich auf die Idee mit den Automaten. Diese haben viele Vorteile, nicht zuletzt den, dass ich sie nachts nachfüllen kann. Dann hat es obendrein viel weniger Verkehr in der Stadt. Allerdings sind Automaten auch teuer, was zu einer weiteren Verzögerung geführt hat, denn ich musste erst das Geld dafür organisieren.

 

Die Alpomaten beschäftigen Sie demnach schon eine Weile?
Ja, die Idee hatte ich 2014, doch die Umsetzung erwies sich als zeitraubender als gedacht. Schon nur die Wahl des Automatenmodells war nicht einfach, und noch viel schwieriger gestaltete sich die Standortsuche. Das fängt schon damit an, dass ich zuerst herausfinden musste, wer für eine Fläche wie etwa jene auf der Traminsel am Albisriederplatz überhaupt zuständig ist. Ich erfuhr, dass die Stadt keine Flächen für Automaten vergibt; man muss sich also an private GrundeigentümerInnen wenden oder an Unternehmen wie die VBZ. Seit 2016/17 ist beim Projekt Alpomat nun die Kleinbauern-Vereinigung mit im Boot. Sie unterstützt mich hauptsächlich bei der Standortsuche und der Kommunikation. Das ist für mich eine grosse Entlastung, denn ich bin ein praktisch veranlagter Mensch und um jede Stunde froh, die ich nicht mit Büroarbeit verbringen muss.

 

Was füllen Sie in die Automaten, und woher kommen die Produkte, die nicht von Ihrem eigenen Hof stammen?
Zurzeit hat es beispielsweise verschiedene Alpkäse, Süssmost und Snacks wie gedörrte Apfelringli oder Mais-Chips, aber auch Produkte, die nicht zum sofort essen bzw. trinken gedacht sind wie etwa unsere Alpkäse-Fonduemischung, Dinkelpasta oder Essig. Die Fonduemischung ist übrigens ein Renner, sie verkauft sich gerade sehr gut. Die Produkte kommen allesamt aus der Schweiz und die allermeisten aus der Region, und wir legen ausserdem Wert darauf, saisonale Produkte anzubieten. Denn die Bauern, die ich alle persönlich kenne, können vieles gar nicht in ‹normale› Läden bringen, weil sie es nur in kleinen Mengen produzieren und/oder weil es nur saisonal verfügbar ist. Im Alpomaten hingegen steckt stets das, was gerade Saison hat, und kleine Mengen sind kein Problem, denn bis ein Produkt ausverkauft ist, hat meistens schon ein anderes Saison: Nach der Fonduezeit kommt der Frühling, dann gibt es am Alpo­maten meine Alpkräuterbutter. Ich stelle sie nach einem Rezept meiner Grossmutter her, die jeden Sommer auf der Alp verbrachte.

 

Und für die Bauern rentiert sich der Verkauf via Automat?
Viele wohnen abgelegen, haben keine Kunden direkt vor Ort und können oder wollen für etwas, was sie nur in kleinen Mengen produzieren, nicht selber einen Marktstand betreiben. Wenn sie nun via Automaten etwas davon verkaufen können, rentiert es sich für sie auf jeden Fall. Wir kaufen den Bauern die Waren im übrigen zu dem Preis ab, den sie selber bestimmen, und schlagen etwas für unsere Unkosten drauf, also für Lagerung, Logistik und Transport sowie für Standortmiete und Strom für den Alpomaten.

 

Billiger als im Laden sind die Produkte demnach nicht.
So pauschal kann man das nicht sagen; es kommt aufs Produkt an sowie darauf, wie aufwändig die Herstellung ist. Doch wir mischen uns bewusst nicht in die Preisgestaltung ein, denn der Bauer weiss selber am besten, wie er rechnen muss, damit es für ihn aufgeht. Und am Ende entscheiden sowieso die Konsumentin und der Konsument, ob ihnen ein saisonales, regionales Produkt den Preis wert ist. Das funktioniert genau gleich wie bei allen anderen Vertriebsarten. Wir sind mit dem Alpomaten aber insofern im Vorteil, als dass wir darin vor allem Produkte verkaufen, die man sonst nirgends kaufen kann – ausser natürlich auf der Alp oder dem abgelegenen Bauernhof, wo sie herkommen.

 

Auf dem Alpomaten am Albisriederplatz steht der Werbespruch «der kleinste Hofladen der Stadt»: Wie viel Arbeit macht er Ihnen?
Ein- bis zweimal pro Woche fahre ich in die Stadt, kontrolliere die zurzeit drei Automaten – der vierte geht Mitte November bei der Stadtgärtnerei in Betrieb –, fülle sie auf und bestelle bei den Bauern nach, wenn der Vorrat zur Neige geht. Das Abpacken gibt natürlich auch noch zu tun; alles zusammen nimmt mich einige Stunden pro Woche in Anspruch.

 

Die Automaten ‹fressen› nur Bargeld, in der Stadt bezahlen jedoch vor allem jüngere Menschen am liebsten via Handy oder Karte: Wäre eine Kartenzahlmöglichkeit nicht ebenfalls ein Vorteil gegenüber anderen Hofläden?
Das stimmt, und ich bin diesbezüglich auch bereits am Verhandeln, doch auch hier gilt: Alles dauert länger als gedacht. Doch die Automaten sind alle so ausgestattet, dass sich die Kartenzahloption dereinst einfach aufschalten lässt.

 

Wie gut läuft das Geschäft?
So kurz nach dem Start und dafür, dass noch nichts in den Medien kam (dieses Gespräch wurde am 26. Oktober geführt/nic.), läuft es gut; die Leute haben die Automaten offenbar selber entdeckt. Wir suchen jedoch weitere Standorte, gut frequentierte Orte im öffentlich zugänglichen Raum ebenso wie Firmen, die ihren Angestellten gesunde Snacks anbieten möchten, frei nach dem Motto «Slowfood statt Fastfood». Auch in grossen Wohnsiedlungen sind Alpomaten denkbar; grundsätzlich passen sie überall hin, wo genügend potenziell interessierte Menschen vorbeikommen. Das Ziel sind zehn Alpomaten in der Stadt Zürich. Wenn jemand einen Ort weiss, an dem sich ein Alpomat gut machen würde: Einfach ungeniert melden!

 

Es braucht demnach zehn Alpomaten, damit es sich rentiert?
So war das nicht gemeint: Bei einer neuen Idee ist es immer schwierig zu sagen, wie sie sich entwickeln wird. Wir mussten einfach einmal anfangen und bauen nun weiter aus. Sicher ist aber, dass die Pilotphase, die Anfang Oktober begonnen hat, ein Jahr dauert. Wenn das Geschäft bis dann nicht läuft, kommen die Alpomaten wieder weg.
Weitere Infos unter www.alpomat.ch

 

Standorte: Anemonenstrasse 40e, 8047 Zürich (Innenhof James-Wohnungen/24h); Neue Hard 9, 8005 Zürich (Innenhof ZKB-Büros/24h); Albisriederplatz 7, 8004 Zürich (VBZ-Traminsel/24h) sowie ab Mitte November Sackzelg 25, 8047 Zürich (Blumenladen Stadtgärtnerei, Mo-So 9–17.30h).

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.