Mit dem öffentlichen Verkehr kommt die Masse in Schwung

Was braucht der öffentliche Verkehr in der Stadt Zürich, um weiterhin zuverlässig jeden Tag eine Million Menschen zu transportieren? Wie schätzen die Verkehrsbetriebe der Stadt Zürich (VBZ) die Lage ein? Antworten auf solche Fragen gab es unter anderem am Dienstag an der Jahresmedienkonferenz der VBZ.

Vor drei Wochen ging P.S. der Frage nach, ob in Zürich «nur noch alles fürs Velo» gemacht werde, wie es vonseiten bürgerlicher Politiker tönt – oder ob die Förderung des Velos ganz im Gegenteil zu langsam erfolge und erst noch zu wenig fürs Velo gemacht werde (siehe P.S. vom 17. November). FDP-Gemeinderat Andreas Egli erklärte dem P.S. unter anderem, es gebe vermehrt Mischverkehrsflächen, die sich der motorisierte Individualverkehr (MIV) und der öV teilen müssten. Zudem würden Spuren und vor allem Parkplätze abgebaut. Besonders ärgerlich sei aber, dass der Veloverkehr nichts zur Gesamtverkehrsleistung beitrage, denn Velo werde hauptsächlich bei gutem Wetter gefahren.

Tatsächlich müssen in der Stadt Zürich nicht nur Auto und Velo aneinander vorbeikommen: Doch ist der öV nicht quasi von Natur aus der Platzhirsch? Oder anders gefragt: Müssen wir uns Sorgen machen um den öV beziehungsweise befürchten, dass ihm aufgrund immer schwieriger werdender Bedingungen dereinst gar der Schnauf ausgeht?

Unabhängiger Bahnkörper und Eigentrassee

Mit einer schriftlichen Anfrage wandten sich die FDP-Gemeinderät:innen Mélissa Dufournet und Andreas Egli im November 2022 an den Stadtrat und stellten ihm mehrere Fragen zum Thema, unter anderem, wie wichtig Eigentrassees für den öV seien und ob sich das Verhältnis zwischen Mischverkehr und Eigentrassee in den letzten zehn Jahren verändert habe. Mit Beschluss vom 1. März 2023 beantwortete der Stadtrat die Fragen auf zwölf Seiten ausführlich. Er schickte voraus, öV, Fuss- und Veloverkehr seien zentral für die Mobilität in der Stadt Zürich und für die Umsetzung des Klimaziels Netto-Null 2040. Und er stellte klar: «In der Stadt Zürich sind Eigentrassees und konsequente Bevorzugung an Lichtsignalanlagen Erfolgsfaktoren eines pünktlichen und zuverlässigen öV.»

Vorab zum besseren Verständnis: Was genau ist eigentlich ein Eigentrassee? Die Antwort der VBZ auf diese Frage beginnt mit der Definition dessen, was ein «unabhängiger Bahnkörper», kurz UBK, ist: Als UBK gelten Abschnitte, auf denen ausschliesslich Schienenfahrzeuge verkehren, und sie müssen «in geeigneter Art konstruktiv und optisch von der Fahrbahn abgetrennt sein». Nur wenn ein Tram auf einem UBK unterwegs ist, darf es ein vom Strassenverkehr abweichendes Tempo fahren. Ein solcher unabhängiger Bahnkörper wurde abschnittsweise für die Limmattalbahn realisiert, und er entspricht laut VBZ dem «angestrebten Ausbau für Tramprojekte in Zürich». Er wird als Grüntrassee ausgeführt, wie er heute beispielsweise in der Irchelstrasse oder Thurgauerstrasse vorhanden ist. Im Gegensatz zum UBK können auf sogenannten Eigentrassees oder öV-Trassees auch «Pneufahrzeuge», also Busse, verkehren. Auf öV-Trassees gilt aber für das Tram dasselbe Temporegime wie für den Strassenverkehr.

Elefant im Strassenraum…

Damit zurück zur Antwort des Stadtrats: Heisst dessen Betonung der Bedeutung von Eigentrassees im Umkehrschluss, dass Mischverkehrsflächen künftig tabu sein müssen und dass wir Massnahmen wie etwa weitere Tempo-30-Zonen, die sowohl aus Lärmschutzgründen als auch zur Verbesserung der Sicherheit zur Debatte stehen, gleich vergessen können? So schlimm scheint es dann doch nicht zu sein: Die Nachfrage nach Mobilität werde in Zürich steigen, schreibt der Stadtrat weiter und präzisiert: «Zusätzliche Mobilitätsnachfragen sollen durch den öV, Fuss- und Veloverkehr abgedeckt werden. Es wird eine Verlagerung vom MIV auf den öV, Fuss- und Veloverkehr angestrebt.» Weniger motorisierter Individualverkehr heisst wohl auch weniger Konflikte in Mischverkehrszonen, steckt der Bus doch normalerweise nicht hinter Fussgängerinnen und Velofahrern, sondern hinter Autos im Stau fest. Dass der MIV einfach so, «von alleine», weniger wird, ist allerdings kaum zu erwarten… Nichtsdestotrotz seien Eigentrassees für die VBZ «bedeutend», fährt der Stadtrat denn auch fort: «Sie sind ein wichtiges Element, um attraktive Reisezeiten sowie eine hohe Zuverlässigkeit der VBZ zu garantieren. Speziell auf Streckenabschnitten mit häufiger Staubildung und Verkehrsüberlastung stellen Eigentrassees eine behinderungsfreie Fahrt für den öV sicher. Durch Eigentrassees können Fahrpläne zuverlässig eingehalten werden. Somit entstehen attraktive und verlässliche Reisezeiten für die Fahrgäste.»

Und wie sieht es mit der Vermutung aus, dass sich der öV den Platz vermehrt mit dem MIV teilen muss? In der Antwort des Stadtrats findet sich dazu eine Übersicht: Von 2013 bis und mit 2022 wurden verschiedene Abschnitte von 50 bis 630 Metern Länge von Eigentrassees in Mischverkehrsstrecken umgewandelt, total waren es 2350 Meter. Im gleichen Zeitraum wurden 1290 Meter Eigentrassee dazugewonnen, beispielsweise an der Hohlstrasse zwischen Hardplatz und Herdern-strasse in Form einer elektronischen Busspur, die sowohl die stadtein- wie auch die stadtauswärts fahrenden Busse nutzen können. Zudem kamen dank der Tramverbindung über die Hardbrücke und der Limmattalbahn zwischen Altstetten und Stadtgrenze 2850 Meter dazu – die Rechnung schliesst folglich mit einem Plus von 1790 Eigentrassee-Metern.

…gebändigt dank Eigentrassees

Dann läuft diesbezüglich also alles wie auf Schienen? Am Rande der Jahresmedienkonferenz der VBZ danach gefragt, erklärte VBZ-Direktor Marco Lüthi, nur schon den Status quo zu halten, sei «eine Herausforderung»: «Wir erhielten von unseren Kund:innen bei der Pünktlichkeit 2023 schlechtere Noten als im Vorjahr», gibt er zu bedenken. Während die Trams zu 90 Prozent pünktlich waren, liegt der Wert für die VBZ insgesamt bei 86 Prozent. Der Grund dafür seien die Trolleybusse, die häufig im Verkehr stecken blieben: «Für uns sind möglichst viele Eigentrasseees und Busspuren sowie die Bevorzugung an Lichtsignalen die besten Mittel, um unsere Fahrgäste zuverlässig und pünktlich von A nach B zu befördern.» Vor allem, wenn Tempo 30 zur Diskussion steht, seien Eigentrassees sehr wichtig: «Auf unabhängigen Bahnkörpern (Definition siehe oben/nic.) können Trams mit 50 km/h fahren, auch wenn für die Autos nebenan Tempo 30 gilt.» Marco Lüthi erwähnt in diesem Zusammenhang ein «Luxusproblem»: «Der öV in Zürich gilt in vielen europäischen Städten als Vorbild. Wenn dort Tempo 30 signalisiert werden soll, führen sie zuerst Lichtsignalbevorzugungen nach unserem Vorbild ein. Wir in Zürich jedoch können das nicht oder nicht so einfach, denn solche Bevorzugungssysteme sind bereits an schätzungsweise 98 Prozent der Lichtsignalanlagen, wo der öV verkehrt, eingebaut.» Das System ist also bereits ziemlich ausgereizt…

Dennoch seien die VBZ nicht gegen Tempo 30, doch es brauche dafür mehr Busse, und das koste Geld, gibt Marco Lüthi zu bedenken. Und er erinnert daran, dass Tram und Bus in Zürich heute und in Zukunft am meisten Menschen transportierten. Vor allem an viel befahrenen Kreuzungen lasse sich das gut veranschaulichen: «Stellen Sie sich vor, alle Menschen, die in einem Tram sitzen, wären im eigenen Auto unterwegs und müssten über diese Kreuzung…» Doch er betont auch, den VBZ sei stets bewusst, dass es auch andere Ansprüche an den knappen Platz gebe als ihre eigenen: «Wir haben Verständnis für sichere Velorouten. Wo immer es für solche Platz hat, profitieren wir auch davon – dann kommen unseren Trams und Bussen keine Velofahrer:innen in die Quere.»

«Tramnetz Süd» ab 2026

Und damit zur Jahresmedienkonferenz: Der Vorsteher des Departements der Industriellen Betriebe, Stadtrat Michael Baumer, begann mit den Eckpunkten, die von Legislaturschwerpunkten wie etwa der Digitalisierung und dem Tram Affoltern über das neue Tramnetz Süd bis zur kurz-, mittel- und langfristigen Planung reichte. Die Elektrifizierung der Buslinien 69 und 80, der «auf Hochtouren» laufende Ersatzneubau des Depots Hard oder das Tram Affoltern als «nächster Meilenstein im Zürcher öV» – das sind typische Meldungen für diese «alle Jahre wieder»-Medienkonferenz. Doch auch für News war gesorgt, und zwar in Form des Tramnetzes Süd. Auslöser dieses Projekts war die Entwicklung im Gebiet Lengg: Dort entsteht der grösste Cluster von Institutionen des Gesundheitswesens und der medizinischen Forschung in der Schweiz. Mit den Ausbauplänen der sechs Kliniken im Spitalquartier und der Eröffnung des neuen Kinderspitals in der Lengg Ende 2024 werde die Auslastung der Fahrzeuge auf der Forchstrasse zur Hauptverkehrszeit steigen, sagte Michael Baumer. Angesichts von rund 9000 Mitarbeiter:innen, die jährlich 50 000 Patient:innen betreuten, sei das Mobilitätsbedürfnis gross. Das neue Buskonzept der Linien 77 und 99 etwa wurde bereits per Fahrplanwechsel 2022 eingeführt, nun folgt der nächste Streich: «Mit dem Tramnetz Süd können wir die Kapazität zwischen Stadelhofen und Rehalp in den Stosszeiten verdoppeln», sagte Michael Baumer. Zudem sollen sich die Anschlussmöglichkeiten zwischen den Tramlinien verbessern, und gleichzeitig sollen die «objektiv wichtigsten Direktverbindungen» erhalten werden. So wird etwa eine umsteigefreie Verbindung vom Bahnhof Enge bis Balgrist und umgekehrt vom Bahnhof Stadelhofen bis Uetlihof geschaffen. Auf Abschnitten mit mehr als einer Tramlinie gibt es bessere «Reissverschlüsse», sprich: wenn man das eine Tram verpasst hat, muss man sich nicht mehr ärgern, dass das andere noch etwas früher als das verpasste abgefahren ist, sondern sie verkehren nicht mehr so dicht aufei-nander – «die Fahrplanlage der Linien zueinander ist deutlich besser», heisst das in VBZ-Sprache. Allerdings ist hier, wie überall, des einen Freud des andern Leid: Es gibt auch Abschnitte, auf denen keine Verbesserung resultiert, sondern gar eine Verschlechterung.

Das Tramnetz Süd wird per Ende 2023 beim ZVV eingegeben und ab März 2024 öffentlich aufgelegt, der Start ist per 2026 geplant. Angesichts der damit verbundenen Veränderungen wird es viel Informationsarbeit brauchen, damit die Kund:innen dannzumal mit der Umstellung zurechtkommen. Hier einige Beispiele: Der 2er startet zwar immer noch in Schlieren, fährt aber ab Bellevue die Route des heutigen 8ers, also an den Klusplatz. Der 4er fährt vom Bahnhof Altstetten Nord via Bellevue nach Rehalp, und zwar ab Bellevue über Balgrist die Route des heutigen 11ers. Und der 5er fährt nicht mehr in den Zoo, sondern in der Hauptverkehrszeit vom Albisgüetli in die Rehalp.

Personalrekrutierung verbessert

Doch wie war das nochmal: Am 5. Oktober hatten die VBZ eine Medienmitteilung verschickt mit dem Titel «Erhöhte Planungssicherheit für Fahrgäste». Darin war zu lesen, die Personalsituation im öV sei «angespannt», doch «seit längerem eingeleitete Massnahmen» hätten zu einer Verbesserung der Situation geführt. Dies gefolgt vom Hinweis, «um die kurzfristigen Kursausfälle weiter zu reduzieren und den Fahrgästen eine erhöhte Planungssicherheit zu bieten, nehmen die VBZ punktuelle Angebotsreduktionen im Fahrplanjahr 2024 vor». Was heisst das nun: Haben die VBZ ein Personalproblem, oder können sie bald mehr Trams samt dem entsprechenden Personal auf die Route schicken?

Die Folie, die es am Dienstag dazu zu sehen gab, trug den Titel «Die beste aller Lösungen hat finanzielle Konsequenzen»: «Die Gesamtkosten betragen ca. 4,5 Millionen Franken pro Jahr; es werden drei zusätzliche Trams benötigt; es werden ca. zehn zusätzliche Stellenwerte pro Jahr benötigt.» Der Kanton anerkenne «den Mehrwert in der Fahrplanänderung 2025/26, hiess es weiter, für die Stadt Zürich seien für alle Angebotsausbauten elf Millionen Franken eingestellt worden.

Dennoch: Personal benötigen und bezahlen können ist bekanntlich noch nicht alles. Aber Michael Baumer und Marco Lüthi gaben Entwarnung: Verschiedene Massnahmen «zur Optimierung der Situation» seien bereits umgesetzt oder in Arbeit. So dauert nun keine Schicht mehr länger als 13 Stunden, und die Trampilot:innen dürfen bei der Arbeit Musik hören. Bei der Rekrutierung habe man Fortschritte gemacht, und neu können pro Tramklasse bis zu zehn Personen ausgebildet werden – früher waren es deren sechs. Es geht also vorwärts, bald im Süden, mittelfristig bringt das Tram Affoltern mehr Kapazitäten für Zürich Nord, und langfristig soll gemäss der Netzentwicklungsstrategie 2040 ein öV-Ringsystem das Stadtzentrum entlasten.

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