Mit dem Blick fürs grosse Ganze ans Werk

Davy Graf ist neuer Fraktionspräsident der SP im Zürcher Gemeinderat. Welche Themen zuoberst auf seiner Liste stehen und wie er die Fraktion führen will, erklärt er im Gespräch mit P.S.

 

Was hat Sie dazu bewogen, sich um das Amt des Fraktionspräsidenten zu bewerben?

Davy Graf: Meine Motivation, diesen Schritt zu gehen, ist identisch mit dem, was mich einst dazu bewog, der SP beizutreten, und was mich später dazu motivierte, mich politisch zu betätigen: Verantwortungsbewusstsein und Gestaltungswille.

 

Was verstehen Sie unter diesen Begriffen?

Ich möchte nicht nur passiv erdulden, was in der Stadt auf politischer Ebene vor sich geht, sondern selbstbestimmt handeln und die Verantwortung dafür mittragen, was schliesslich gemacht wird.

 

Und die zeitliche Belastung macht Ihnen keine Sorgen?

Ich bin seit gut sieben Jahren Gemeinderat und als solcher eine gewisse Sockelbelastung gewohnt.

 

Sie gehören zur seltenen Spezies jener Menschen, die noch genügend Zeit haben?

Wie die ständigen Fluktuationen im Gemeinderat zeigen, wird es tatsächlich immer schwieriger, KandidatInnen für öffentliche Ämter zu finden. Und viele, die aufhören, geben an, ihnen fehle die Zeit, um all ihre Aktivitäten unter einen Hut zu bringen.

Ein Milizamt bedeutet meiner Meinung nach immer, einen gewissen Aufwand dafür zu betreiben und teilweise auf andere Aktivitäten zu verzichten. Ohne persönlichen Einsatz lässt sich ein solches Amt nicht ausüben; wer sich in ein Parlament wählen lässt, sollte sich dessen von Anfang an bewusst sein. Als Fraktionspräsident kommt sicher noch mehr auf mich zu; ich hätte jedoch nicht kandidiert, wenn ich nicht davon ausgegangen wäre, die Mehrbelastung tragen zu können.

 

Sie arbeiten zwar Teilzeit, sind aber als Vater zweier kleiner Kinder auch zu Hause gefordert: Droht da wirklich keine Überlastung?

Es ist mir wichtig, meinen Beitrag daran zu leisten, dass die Strukturen unserer Demokratie erhalten bleiben.

Aber ich hoffe natürlich schon, dass meine Kinder später verstehen, dass ich an den Abenden, die ich im Rat oder an Sitzungen verbrachte, nicht einfach «immer weg» war, sondern mich für die Stadt Zürich und damit auch für sie eingesetzt habe.

 

Wie steht es mit der politischen Motivation? Wohin soll Sie das Fraktionspräsidium im Palmarès dereinst noch führen?

Zurzeit ist der Blumenstrauss, den ich nach der Wahl zum Fraktionspräsidenten geschenkt bekam, noch fast frisch. Jetzt schon eine Stufe weiter zu denken, wäre vermessen: Ich bin glücklich, dass es mit der Wahl geklappt hat. Daran, wo ich in fünf oder zehn Jahren möglicherweise stehe, denke ich zurzeit noch nicht. Gerade in der Politik ist das ja auch speziell schwierig; Hoffnung und Enttäuschung sind oft nahe beieinander, und die menschlichen Faktoren, die stets hineinspielen, lassen sich erst recht nicht voraussagen.

 

Wird also in ein paar Jahren ein Stadtratssitz frei, braucht man Sie gar nicht erst anzufragen?

Das habe ich nicht gesagt. Ich würde nichts prinzipiell ausschlagen, aber ich will keinesfalls das Amt des Fraktionspräsidenten dazu missbrauchen, mich für einen anderen Posten ins Gespräch zu bringen. Ich will nun erst mal die Arbeit in der Fraktion machen, für die ich gewählt wurde und die man von mir erwartet. Sollte es irgendwann in irgendeiner Form verdankt werden, dass ich mein Amt richtig ausgeübt habe, umso besser.

 

Wie steht es um die Stimmung in der Fraktion? Sind die StadträtInnen immer noch sauer, dass sie dort nicht mehr abstimmen dürfen?

Das Verhältnis zu den StadträtInnen ist nach wie vor sehr gut. Die Fraktion ist demokratisch aufgestellt, und einmal gefällte Entscheide werden von allen akzeptiert. Dass die StadträtInnen in der Fraktion nicht mitstimmen, ist kein Kuriosum.

Stadträte haben nun mal nicht dieselben Aufgaben wie Gemeinderätinnen: Laut Gemeindeordnung hat der Stadtrat die Regierungsfunktion inne, während das Parlament unter anderem präsent haben sollte, dass es das strategische Gewissen der Stadt ist. Dass diese Konstellation zu Reibungen führen kann, lässt sich nicht verhindern, aber Reibung erzeugt ja umgekehrt auch Wärme.

 

Sagt der Physiker… Sie lassen es demnach als Fraktionspräsident darauf ankommen, dass sich die Leute verbal die Köpfe einschlagen?

In der SP wurde noch nie jemand gewählt, um als alleiniger Chef über die Fraktion zu befehligen. In meinem Verständnis geht die Fraktion in der Entscheidung partizipativ vor, und ich als Präsident bin der erste Diener der Fraktion. Es wird diskutiert, und am Schluss sollten alle mit der getroffenen Entscheidung leben können.

 

Und wie gestalten Sie die Zusammenarbeit mit den anderen FraktionspräsidentInnen?

In den vergangenen sieben Jahren habe ich mich mit eigentlich fast allen im Rat verständigen können. Ich suche gern das Gespräch und versuche, andere Menschen und ihre Standpunkte zu verstehen.

 

Wie sieht es mit den potenziellen Verbündeteten aus? Gibt es vermehrt gemeinsame Auftritte?

Dafür sind die Mehrheiten leider zu knapp: Wenn niemand fehlt, bringen wir es zusammen mit den Grünen und der AL auf 62 Stimmen; das absolute Mehr liegt bei 63 – und der 63. ist mittlerweile ein Parteiloser. Weder die linke noch die rechte Seite kann somit einfach durchmaschieren. Die Grünliberalen oder die CVP müssen mitmachen, damit sich eine Seite durchsetzen kann. Wir werden unsere Koalitionspartner auch künftig sorgfältig wählen. Bei verschiedenen Themen konnten wir uns bereits mit der Mitte einigen.

 

Zum Beispiel?

Bei Vorlagen aus den Bereichen Energie und Verkehr haben wir grosse Mehrheiten. Beim Sozialen hingegen müssen wir verstärkt Kompromisse eingehen – und entsprechend sicherstellen, dass dies der Bevölkerung auch bewusst ist.

 

Die AL war in letzter Zeit oft die Fraktion, die sich der Stimme enthielt: Was halten Sie davon?

SP, Grüne und AL sind relativ eng zusammen, relativ kompakt in den Meinungen, und sie können die Bürgerlichen fast dominieren. Entsprechend finde ich es ok, dass alle drei ihre eigenen, speziellen Funktionen haben und diese auch im Rat sichtbar werden. Was am Schluss zählt, sind gute Lösungen – so oder so.

 

Wohin weht der neue Wind in der SP-Fraktion?

Die Fraktion ist in einem guten Zustand, und es braucht im Moment weniger frischen Wind als die Fähigkeit, weiterhin die Kraft aufzubringen, um Kompromisse zu finden und breite Mehrheiten zu schaffen.

 

Wird das denn schwieriger?

Es ist ein grosses Verdienst meiner Vorgängerin Min Li Marti, dass solche Mehrheiten in der jüngeren Vergangenheit oft zustande kamen: Sie ist viel ‹geweibelt› dafür, und sie hat es immer wieder geschafft, andere Parteien davon zu überzeugen, mit uns zu stimmen.

 

Die Latte liegt also hoch?

Ich verfolge dieselben Ziele wie Min Li, und ich bin überzeugt, dass wir als Fraktion diese Ziele auch erreichen können: Die SP muss in erster Linie weiterhin eine unentbehrliche Akteurin im Zürcher Gemeinderat sein. Anders als die SP auf nationaler Ebene bilden wir mit unseren 39 Mitgliedern nach wie vor die grösste Fraktion im Zürcher Stadtparlament und stehen entsprechend in der Verantwortung.

 

Was steht inhaltlich als Nächstes an?

Ein Beispiel: Wir haben den wohnpolitischen Grundsatzartikel vors Volk gebracht, doch wenn wir weiterhin Fortschritte auf diesem Gebiet erzielen wollen, müssen wir am Ball bleiben. Aber mir ist noch etwas anderes wichtig.

 

Das da wäre?

Meine Hoffnung als neuer Fraktionspräsident ist es, übergreifender denken und einen grösseren Überblick über die Themen behalten zu können. Also nicht bloss von einer Vorlage zur nächsten zu gehen, sondern in breiteren Bahnen zu denken.

 

Wie muss man sich das vorstellen?

Nehmen wir die «wachsende Stadt»: Wir sollten uns vergegenwärtigen, dass Zürich lange Zeit, genauer bis Mitte der Nullerjahre, nicht mehr gewachsen ist. Seither, also innert bloss zehn Jahren, sind 50 000 EinwohnerInnen neu dazugekommen, und die Stadt hat heute über 400 000 EinwohnerInnen. Dieses Wachstum ist auch eine Chance – die nämlich, unsere Ideen zu verwirklichen.

 

Wie meinen Sie das?

Das Wohnen ist aktuell für die meisten das Problem Nr. 1, dicht gefolgt vom Verkehr. Der Strassenraum wird nicht grösser, nur weil mehr Menschen hier wohnen – und doch muss der ÖV ausgebaut werden. Mein Wohnquartier Altstetten, aber auch Oerlikon und Neu-Affoltern haben Tausende neuer EinwohnerInnen und haben sich zu wichtigen Subzentren entwickelt – und diese sollten für alle noch attraktiver werden.

 

Also hier soll die SP die Finger drauflegen?

Subzentren wie Altstetten bedeuten eine Entlastung für den motorisierten Verkehr, da man auf kurzen Wegen, die sich gut zu Fuss oder mit dem Velo zurücklegen lassen, alles findet, was man braucht. Das kommt zudem auch dem lokalen Gewerbe zugute. Die SP setzt sich unter anderem für Velowege und zahlbare Gewerberäume ein.

 

Gegen das Klumpenrisiko, dass in Zürich jahrelang die Banken den Ton angaben, fand aber auch die SP bislang kein Rezept.

Das hat sich in den letzten Jahren sogar verschärft: Die Diversität der Wirtschaft ist ein weiterer Punkt auf unserer Liste. Mehrere Jahre hintereinander musste die Stadt zuletzt auf Steuereinnahmen von den Banken verzichten, mit denen sie früher fest gerechnet hatte. Wenn wir nun auf einem transparenten und fairen Bankenplatz bestehen, hat dieser zwar seinen Preis auf der Steuerseite, doch indem wir umgekehrt politisch Raum schaffen für innovative neue Wirtschaftszweige, können wir dies mehr als wettmachen.

 

Den ersten Vorstoss in diese Richtung haben Sie schon parat?

Das ist hier nicht das Thema: Ich erlerne nun erst mal den Job des Fraktionspräsidenten. Als solcher freue ich mich über neue, spannende Impulse aus der Fraktion, denn ich habe das Glück, auf eine gut durchmischte Truppe von GemeinderätInnen zählen zu können, die alle motiviert sind und auf den verschiedenen Themengebieten, die sie betreuen, immer wieder gute Ideen haben. Den grössten Fehler, den ich als Fraktionspräsident machen könnte, wäre es, irgendwelche dieser Ideen oder Pläne zu verhindern.

 

Sie können sich zurücklehnen und schauen, was hereinkommt?

Ich muss die Leute sicher nie dazu ‹prügeln›, etwas zu tun. Wir sind uns zudem darin einig, dass die SP-Gemeinderatsfraktion für eine kohärente und nachvollziehbare Politik stehen will und soll. Wohin uns dieser Weg noch führt, werden wir sehen. Ich bin zuversichtlich, dass unsere Stadt auf gutem Weg ist und wir auch künftig die Mehrheiten finden, die wir brauchen, um sie mitzugestalten.

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