Losglück

Für ein Stück übers Glück will Nicole Knuth partout nichts einfallen, also prokrastiniert sie sich in einen Heileweltalbtraum.

Vor fünfzig Jahren war Glück noch «es Glas vomne Liqueur» und Kutsche und Sonnenuntergang, aber das Aufwärmen des Ewiggleichen wäre weder originär noch altersgerecht und schon gar nicht zeitgeistgenehm. Alkohol… Also blickt die Gebrauchsschreiberin sehnsüchtig aus ihrem Erkerzimmerfenster über den sich verfinsternden Zürichsee und ringt nach Eingebung. Weder die Figurengeister in der Ecke, die mit stillem Nachdruck fordern, endlich ihre Besetzung geschrieben zu erhalten, noch die leise lockende Verheissung ewiger Sorglosigkeit durch das Rubbellos im Augenwinkel ermöglichen eine Fokussierung der Gedanken. Erst das Erscheinen eines früheren Pannendampfers zwischen den Zargen und der dann eben doch noch freigerubbelte Trostpreis einer Kreuzfahrt mit allinkl. vermögen ihren Geist ausreichend zu beflügeln, um aus einer Vogelperspektive auf Abgründe hinabzuschauen. Eine weibliche Kunstfigur mit ausgeprägtem Hang zum dramatischen Verengen der eigenen Daseinsanalyse und einer wundersamen Sehnsucht danach, auch mal als Opfer von Mitleid überschüttet zu werden, begibt sich also auf grosse Fahrt auf einer «Ana Regina» mitsamt Suisa-genehmen sechs Sekunden dauerndem Soundtrack, der jedes Herz mit breitenwirksamer Kitschverzückung flutet. An Bord aber muss die Kunstfigur feststellen, dass ihre eingeschränkte Idealvorstellung einer allein ihr dienstbar zu Füssen liegenden Realität rumzickt, was die Balance ihres Flows bedroht. Statt die ersehnte weltabgewandte Ruhe dringen die Störgeräusche eines Alleinunterhalters (Roman Wyss) an ihr zartes Ohr. Für ihre Beschwerde indes entwickelt dieser überhaupt kein Gehör, sondern insistiert, als Alleinunterhalter nur der eigenen Freude verpflichtet zu sein, das besage ja schon sein Titel. Also Jazz. Nur unterbrochen von masseneuphorisierender Unterhaltungsmusik und einem standesgemässen Ausflug ins Bildungsbürgerliche mittels Unterbeweisstellung seiner weitreichenden Kenntnis über das Wesen des Kontrapunkts. Nicole Knuths Kunstfigur kommt gar nicht dazu, um Hilfe schreiend davonzurennen, denn die irrsinnige Eigendynamik ihrer Fantasiefahrt lässt in ihrer überheblichen Egozentrik die Autorin selbst am Schreibtisch erschrocken hochfahren und die tatsächliche Realität anflehen, sich bitte in ihrer Gänze und Überforderung zu offenbaren. Alles besser als jede schemenhafte Idyllisierung vollkommener Entspanntheit, deren immanenter Begleithorror einzig einem Film zum Kultstatus verhülfe. Also beherzt zurück in ein bewusstes Leben.

«Zu Kreuze fahren», 23.2., Kulturkarussell Rössli, Stäfa. 

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