Kranke Gesundheit

 

«Gesundheit ist ein Konsumgut wie jedes andere auch und Gesundheitsversorgung nichts anderes als eine Dienstleistung» – so stand es als knackiger Quote in der neusten ‹NZZ am Sonntag›, bezeichnenderweise in einem Artikel über die Digitalisierung der Schweizer Spitäler. Diese technokratische Auffassung von Gesundheit ist vielleicht mehrheitsfähig, aber stimmt sie auch?

Gesundheit ist leider ziemlich arbiträr verteilt. Einige strotzen bis ins Alter vor Saft und Kraft, andere kommen schon unheilbar krank zur Welt oder werden es später, z. B. als Folge ihres Berufes. Für ein Konsumgut fehlt der Konsumaspekt: Ich kann nicht durch ganz viel Konsum von Gesundheit meiner Krankheit entgehen. Weiter hapert’s mit der Freiwilligkeit. Zwar kann ich sagen: «Ferien sind mir zu teuer», und darauf verzichten.

Das geht bei der Gesundheit nicht: Man muss einigermassen gesund sein, um das Leben mit all seinen Strapazen bewältigen zu können, sonst wird man zum Sozialfall. Damit etwas zum «Konsumgut wie jedes andere» werden kann, muss es warenförmig sein. Nun scheint es zwar einleuchtend, dass man für die Behandlung durch ÄrztInnen und Pflegepersonal Geld zahlen muss. Dass man aber – indem man krank wird, sich in ein Spital begibt und gesünder wieder rauskommt – Teil einer profitablen Handelsware geworden ist, ist alles andere als selbstverständlich.

Es brauchte jahrzehntelange Tüfteleien von Wirtschaftsingenieuren, die sich mit industriellen Prozessen auskannten, und Gesundheitsökonomen (die in diesem Prozess erst aufkamen), um jenes handelbare Produkt zu erfinden und zu managen, das heute als «DRG» alltäglich ist. DRG sind Gruppen von Krankheiten, meist an menschlichen Organen festgemacht, die relativ ähnliche Behandlungsmuster verlangen. Um sie zu vereinheitlichen und mit einem Preis versehen zu können, mussten die dafür vorgesehenen Therapien standardisiert werden. Kurz gesagt, wird von den Krankenkassen nun gemäss der erlaubten Krankheitsdauer und -behandlung ein fixer Preis pro Spitalaufenthalt entrichtet (die ‹Fallpauschale›). Wie man damit Profit machen kann?

Das geht einmal, indem ein Spital auch Luxus-Dienste anbietet, etwa bessere Hotellerie oder Schönheitsoperationen für Selbstzahler. Oder anders, indem mit teuren Geräten ‹profitable› Krankheitsbilder angelockt werden – solche, deren Pauschale eher überdotiert ist.

Oder laut Santésuisse könne ein Spital, wie im neusten K-Tipp zu lesen ist, «Gewinne machen, indem es vergleichsweise geringe Kosten verursacht.» Das heisst im Klartext: ÄrztInnen arbeiten für ihren Lohn länger; Dienste werden gestrichen, die nicht rentieren, aber vom Personal aus ethischen Gründen dennoch (gratis) erbracht werden (ein offenes Ohr haben, gut zureden, existenzielle Not mit menschlicher Wärme lindern…); vor allem aber wird die Pflege reduziert. Denn diese gilt im ganzen DRG-System nicht als Teil des Produkts, sondern nur als Kostenfaktor – gleich wie verbrauchte Spritzen oder dreckige Wäsche. Je weniger davon, desto besser also.

Zu Recht empört sich der K-Tipp: «Prämienzahler müssen Spital-Gewinne finanzieren», denn trotz ausgewiesener Profite sinken die Prämien nicht. Prämienzahlerinnen müssen darüber hinaus hinnehmen, dass ihr Pflegeberuf zu Tode gespart wird und sie als Familienfrauen zu früh entlassene Angehörige zuhause gratis gesund pflegen müssen.

Wer profitiert aber? Am ehesten die wachsende Armee von Gesundheits-Trojanern aus Ingenieuren  und Ökonomen, die das Gesundheitswesen nun auch mit einer digitalen Revolution und ihren Geräten angeblich effizienter und billiger machen soll. Sie muss ja aus dem gleichen Topf bezahlt werden wie mein Rheuma und Ihr Beinbruch, das Arztgehalt und der Pflegerinnenlohn. Den Beweis ihrer Wirksamkeit bleibt sie bis heute schuldig.

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