Kein systematischer Rassismus

Anlässlich der Stadtratswahlen im März organisierte der Verein Secondas Zürich eine Podiumsdiskussion zum Thema «Secondas in Zürich: Was wurde erreicht? Was gibt es noch zu tun?» Von den 16 Stadtratskandidierenden waren 14 anwesend – für eine spannende Diskussion mit VertreterInnen aller Seiten war gesorgt.

 

 

Leonie Staubli

 

 

Montagabend im grossen Saal des «Karl der Grosse». Als überparteiliche Vereinigung äussern sich die Mitglieder des Vereins Secondas Zürich nach eigenen Angaben nur zu politischen Anliegen, die etwas mit Migration zu tun haben – unter dieser Prämisse steht auch dieses Podium. Nach einer kurzen Vorstellung des Vereins übernimmt NZZ-Redaktor Daniel Fritzsche als Moderator das Wort. Die 14 StadtratskandidatInnen werden in drei Gruppen aufgeteilt und zunächst zu ihrer eigenen Herkunft befragt. Es stellt sich heraus, dass nur die wenigsten einen rein schweizerischen Hintergrund haben; so oder so lässt das Thema niemanden gleichgültig.

 

Arbeiten als AusländerIn

Im ersten Block geht es um das Arbeiten im multikulturellen Umfeld. Am Anfang steht der kürzlich gefasste Beschluss, in Polizeimeldungen keine Nationalitäten mehr zu nennen. Stadtrat und Vorsteher des Sicherheitsdepartements Richard Wolff von der AL weist SVP-Kandidat Roger Bartholdis Forderung nach Transparenz und FDP-Stadtrat Filippo Leuteneggers Befürchtung, durch das Weglassen der Nationalität würde das Feld erst recht frei für mehr Unterstellungen und Vorurteile, zurück. Sein Argument: Das Bedürfnis nach der Nennung der Herkunft sei ein künstlich geschaffenes; bis vor 20 Jahren hätte man Nationalitäten in der Zeitung nicht angeführt. «Es gibt keinen systematischen Rassismus in der Stadtpolizei», fügt Wolff an.

 

Weiter führt Fritzsche die Diskussion in den Pflegebereich, in dem bekanntlich besonders viele AusländerInnen arbeiten. Stadträtin Claudia Nielsen von der SP, Vorsteherin des Gesundheits- und Umweltdepartements, erzählt, wie wir von der Präsenz verschiedener Nationen auf dem Arbeitsmarkt als Gesellschaft profitieren können; etwa in den Pflegezentren, wo rund 70 Nationen vertreten sind und Pflegebedürftige in ihrer Muttersprache angesprochen werden können. Als Leutenegger einwendet, man dürfe Flüchtlingen keine falschen Hoffnungen machen, indem man sie in den primären Arbeitsmarkt integriere, obwohl sie dort keine Chancen hätten, bemerkt Kandidatin Karin Rykart von den Grünen, Repräsentation von AusländerInnen in der Arbeitswelt sei dennoch wichtig, denn der Grundsatz «Männer ziehen Männer nach» funktioniere auch mit Frauen oder eben, in diesem Fall, mit MigrantInnen.

 

Integration im Rechtsstaat

Etwas hitziger wird die Diskussion im zweiten Block: Einbürgerungspolitik und Integration in einer Stadt mit 33 Prozent AusländerInnen. Fritzsche fragt Stadtpräsidentin Corine Mauch von der SP nach den 40 000 Briefen mit Informationen zur Einbürgerung, die letzten Mai an AusländerInnen in Zürich verschickt wurden. Mauch betont, dass es bei der Aktion nicht um die freie Verteilung des Schweizer Passes ging – eingebürgert wird natürlich nur, wer die Bedingungen erfüllt. Kandidatin Susanne Brunner von der SVP bemerkt daraufhin, sie sei von Mauchs Äusserungen erschüttert. Die Stimmung im Saal wird merklich unruhiger, während sie erklärt, dass die Basis unseres Rechtsstaats in ihren Augen «Treue und Glauben» seien, und als sie hinzufügt, die Stadtpräsidentin hätte das gute Beispiel vorzuleben, rufen vereinzelte Stimmen laut «eben!». Es kehrt aber schnell wieder Ruhe ein, als SP-Stadtrat und Vorsteher des Sozialdepartements Raphael Golta anmerkt, dass der Stadtrat eigentlich schon viel früher damit hätte anfangen sollen, die Leute richtig zu informieren. Er betont, dass den MigrantInnen nichts geschenkt, sondern bloss Möglichkeiten angeboten würden, und EVP-Kandidatin Claudia Rabelbauer fügt hinzu, dass AusländerInnen noch vermehrt zum Deutschlernen animiert werden müssten. Die beiden stimmen darin überein, dass die Bildung in der Integration eine wichtige Rolle spielt. «Es gehen nach wie vor viel zu wenige Migrantinnen und Migranten ans Gymi», sagt Rabelbauer und Golta bemängelt, dass es für AusländerInnen über 18 kaum gute Bildungsangebote gibt.

 

Ebenfalls Thema wird die City-ID, eine Idee, die vom Stadtrat aktuell auf ihre Machbarkeit geprüft wird. Das Konzept stammt aus New York und soll beispielsweise Sans-Papiers die Möglichkeit geben, sich auszuweisen oder ein Bibliotheksbuch auszuleihen. Mauch meint dazu, dass es noch vieles gibt, das an diesem Modell diskutiert werden muss. Brunner meldet sich an dieser Stelle noch einmal zu Wort mit der Bemerkung, dass es für solcherlei keine rechtliche Grundlage gäbe und dass sie hoffe, die Idee der City-ID werde sich als unmöglich herausstellen. Das letzte Wort hat Rabelbauer, als sie fordert, dass eine rechtliche Grundlage eben geschaffen werden müsse: «Diese Menschen sind hier und damit müssen wir umgehen.»

 

Mitspracherechte

Die letzte Runde des Podiums widmet sich schliesslich der Mitsprache im gesellschaftlichen Alltag und der politischen Partizipation in der Grossstadt Zürich. GLP-Kandidat Andreas Hauri eröffnet die Diskussion damit, dass nicht die Nationalität eine Rolle spiele, sondern, dass alle die gleichen Rechte haben. Laut Kandidat Markus Hungerbühler von der CVP gibt es bezüglich gleichen Rechten in der Migrationspolitik viel Verbesserungspotenzial. Auch André Odermatt, SP-Stadtrat und Vorsteher des Hochbaudepartements stimmt mit den beiden überein: «Das sind Leute, die hier arbeiten, wohnen, Steuern zahlen; wir geben dann ihr Geld aus und sie können dazu nichts sagen.» Interessant ist, dass gegen die Forderung nach dem Mitbestimmungsrecht von AusländerInnen niemand etwas einzuwenden hat; auch die beiden bürgerlichen Kandidaten argumentieren nicht gegen ein politisches Engagement von Seiten der Migrierten. Michael Baumer, Kandidat der FDP, merkt einzig an, dass es immerhin schon die Möglichkeit der Beteiligung in einer Partei oder in Quartiervereinen gebe. Auch der Einsatz von technischen Mitteln zur direkteren Einbeziehung der Bevölkerung in politische Themen wird diskutiert. Grüne-Stadtrat Daniel Leupi, Vorsteher des Finanzdepartements, sagt, das habe teils bereits stattgefunden. Eine wichtige Frage, die Odermatt anbringt, ist allerdings, wer zu solchen Mitteln überhaupt Zugang hat. Genau wie Zeit, Geld und Energie, neben dem Arbeitsalltag noch eine neue Sprache zu lernen, ist auch das Internet ein Privileg, das sich nicht alle leisten können. Das letzte Wort des Podiums hat Hauri; er nutzt dieses für einen Aufruf, die gegebenen Möglichkeiten zu nutzen und gemeinsam daran zu arbeiten, dass ein Ausländerstimmrecht in Zürich realisiert werden kann.

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