Grenzenlose Borniertheit …

… darüber regte sich eine Figur in Thomas Manns «Buddenbrooks» gerne auf, aber man erfuhr nie, ob sie sich des Widerspruchs bewusst war. Man erfährt auch nicht, ob Priska Baur (63) und Jürg Minsch (71) sich absichtlich dumm stellen oder nur per äxgüsi alternative Fakten verbreiten, wenn sie via Inserat in der Gratiszeitung die Jungen dazu auffordern, abstimmen zu gehen, um die 13. AHV-Rente abzulehnen: Weil diese die Renten der Jungen gefährde, während die Alten, die es meist gar nicht nötig hätten, sofort profitierten. Nun – Wahrsagerin Prigi und der hellsichtige  Tschüge haben es sicher nicht nötig, sonst könnten sie sich so ein Inserat – für schlappe 1500 Franken – im Traum nicht leisten.

Sie meinen: «Bei Altersarmut muss und kann gezielt geholfen werden». Tönt schön. In Wahrheit ist es ein unvorstellbarer, entmündigender Spiessrutenlauf. Meine Mutter etwa hat 1700 Franken AHV. Ihre Miete in einer Deutschschweizer Stadt kostet 1300. Zum Glück verlangt das Sozialamt im Gegenzug für die 900 Franken Ergänzungsleistungen nicht von ihr, in eine billigere Wohnung umzuziehen. In den Ausführungen zur Sozialhilfe steht nämlich: Für Alleinstehende sind nur 800 Franken Miete erlaubt – aber wo gibt es so billige Wohnungen? Zöge sie, um Miete zu sparen, in eine WG, so müssten ihre Gspänli ihr für die Ausführung ihrer Ämtli Lohn zahlen (!). Ausflüge, ein Hobby, ein neues Handy usw. liegen kaum je drin. Würden Freundinnen oder Verwandte ihr mit etwas Geld, einem Einkauf oder einer Einladung in die Ferien aushelfen, so müsste sie dies als Einkommen deklarieren, und der Gegenwert würde von den Ergänzungsleistungen abgezogen. (Zur Überprüfung kontrolliert das Amt ihren Zahlungsverkehr.) Überhaupt darf sie sich nicht länger als 2 bis 4 Tage vom Wohnort entfernen, denn obwohl pensioniert, muss sie sich jederzeit für Termine oder Programme bereithalten. Auf Gesuch hin darf sie pro Jahr maximal fünf Wochen verreisen.

Frau Dr. Baur, die sich beruflich gegen Massentierhaltung engagiert, hat wohl noch nie von solcher Käfighaltung armer Pensionierter in der reichen Schweiz gehört. Für die Naturwissenschaftlerin und den immer noch an Hochschulen berufstätigen Ökonomen Dr. Minsch ist so eine popelige 13. AHV-Rente – für beide zusammen 3675 Franken – offenbar nicht der Rede wert. Sie würden locker darauf verzichten. Sie mieten ja auch in einer gemeinnützigen Baugenossenschaft, an ruhiger Lage Nähe Irchelpark in Zürich, einen «preiswerten Wohn- und Lebensraum […], welcher langfristig dem Markt sowie der Spekulation entzogen wird» (Leitbild Gemeinnützige Baugenossenschaft Selbsthilfe Zürich).

Ja, geschätzte Frau Baur, ehrenwerter Herr Minsch: Wenn es Sie peinlich berührt, in Ihrer vom Schicksal Begünstigtheit noch mehr Geld geschenkt zu bekommen – dann spenden Sie dieses doch einfach einer sozialen Einrichtung zur Unterstützung von Working Poor, Alleinerziehenden, Demenzkranken usw. Aber tun Sie nicht so, wie wenn Sie von Altersarmut in der Schweiz und von geeigneten Mitteln zu deren Bekämpfung eine Ahnung hätten. Ich finde auch: Wenn alte Geldsäcke, die die AHV eh nicht nötig haben, etwas für die Jungen tun wollen, dann könnten sie ihnen doch einfach ihre preisgünstigen Wohnungen abtreten und mit ihrer reichlich angesparten Pensionskassenrente eine teurere mieten. Statt einen Generationenzwist vom Zaun zu brechen und Junge gegen Alte aufzuhetzen!

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.