Gleichstellung ja, aber…?

Männliche Kinderbetreuer sind keine «Kuckuckseier». Eine Replik auf Ina Müllers Kolumne «Kuckuckseier» und ein Plädoyer für Männer in Betreuungsberufen.

 

von Lu Decurtins*

 

Männliche Kinderbetreuer sind Kuckuckseier, die ins Kita-Nest gelegt werden – und die Fachfrauen aus dem Nest «Kinderbetreuung» werfen wollen. Das suggeriert Ina Müller mit dem Titel ihrer Kolumne: «Kuckuckseier» (P.S. vom 15. Juli 2016). Da ich und andere Männer in ihren Anliegen für Gleichstellung darin angegriffen werden, möchte ich im Folgenden eine andere Sichtweise darstellen.

Biologisch gesehen haben Kuckuckseier kein sichtbares Geschlecht. Kuckuckseier werden von Weibchen ins fremde Nest gelegt. Dass diese Parabel mit der Kuckucksmutter aus der Tierwelt ausgeliehen wurde, um männliches Dominanzgebaren zu kritisieren, zeigt den Unsinn von biologistischen Herleitungen und dass es nicht so einfach ist, wie das Schema «Mann Täter, Frau Opfer» vorgaukelt. Vor allem aber entblösst die Metapher die falsche Vorstellung, dass Tagesbetreuungseinrichtungen heimelige «Nester» seien. Kein Wort über die fachliche Komplexität oder über die Bedeutung ihrer pädagogischen Arbeit. Stattdessen wird das falsche Klischee der Betreuerin bedient, die nichts können muss, ausser Kinder zu mögen. Müllers Blick auf Männer ist nicht weniger stereotyp.

Männer werden im Allgemeinen mit erkennbarer Geschlechtszugehörigkeit geboren und in der Folge in stetiger Interaktion mit Bezugspersonen und Gesellschaft zu Männern gemacht. Dabei wirkt ein kulturell geprägtes Rollenbild, das vorgibt, was männlich und was weiblich ist – dies wird in unserer Kultur als komplementär verstanden – ähnlich wie schwarz und weiss oder eben gut und böse.

Dieses männliche Rollenbild ist durch den Anspruch an Abgrenzung vom weiblichen Konzept überzeichnet und entspricht ebenso wenig dem einzelnen Individuum Mann wie die übliche Frauenrolle der einzelnen Frau nicht gerecht wird. Und: Obwohl Männer immer noch mit mehr gesellschaftlicher Macht ausgestattet werden, garantiert dies nicht, dass sie dabei glücklicher sind oder sich selbst verwirklichen können. Doch dies wird immer wieder suggeriert – mit entsprechenden Folgen. Die Herleitung Männer – Macht – keine Unterstützung durch Gleichstellungsgelder ist zu kurzsichtig. Wenn sich Verhältnisse verändern sollen, dann braucht es ein Mitziehen und manchmal auch ein Voranpreschen von Männern.

Gleichstellung heisst auch: Sich von herkömmlichen Rollenbildern befreien und den Handlungsspielraum dadurch erweitern. Dies kann geschehen, indem sich Jungs weniger an den irrealen Idolen und Helden orientieren, sondern an im Alltag präsenten Männern. Männer haben zuhauf Idole und Helden als Vorbilder. Was Männern jedoch immer noch fehlt, sind spürbare nahe Bezugspersonen, die sie ins Mannsein einführen und ihnen die ‹Erlaubnis› geben, auf ihre eigene Art Mann zu sein – mitunter fernab vom vorherrschenden Rollenbild. Solche Vorbilder sind nicht Heldenfiguren, sondern ganz normale Männer, die am Frühstückstisch das Marmeladenbrot schmieren oder bei der Betrachtung einer Schnecke verweilen.

Darum lasse ich Freud und Jung gerne auf der Seite und beziehe mich auf eigene Erfahrungen in der Jungen- und Männerarbeit. Dort sehe ich, wie sich Jungs solche Vorbilder wünschen, sich auf sie stürzen, mit ihnen kämpfen wollen und Zuwendung und Empathie aufsaugen. Jungs (wie auch Mädchen) brauchen Männer in allen Lebensbereichen und allen Altersstufen, weil dies die Gesellschaft abbildet und Möglichkeiten bietet. Da sind nicht nur Baggerführer und Gamefiguren gefragt, sondern ganz unterschiedliche Männlichkeiten zuhause, in der Nachbarschaft, Schule und auch in der Kita.

 

Weg vom Exotenstatus

Die SP der Stadt Zürich fordert 30 Prozent Männer in städtischen Kitas. 30 Prozent ist noch keine Balance, doch ermöglichen 30 Prozent Männer, dass diese als unterschiedliche Persönlichkeiten wahrgenommen werden und dass sie eine Kultur mitprägen können. Alles, was weniger ist, fördert den Status als ‹Exoten› mit entsprechender Problematik.

Männer, die einen Beruf im Fachbereich Kinderbetreuung wählen, tun dies kaum mit einem männlichen Dominanzanspruch. In einem offenen Betrieb werden Männer denn auch als willkommene Bereicherung wahrgenommen. So schrieb Nadine Hoch, Geschäftsleiterin von Kibesuisse (Verband Kinderbetreuung Schweiz) unlängst in der ‹Sonntagszeitung›: «Erfreulicherweise haben letztes Jahr bereits 15 Prozent Männer einen Lehrvertrag als Fachmann Betreuung mit Fachrichtung Kinderbetreuung unterschrieben. Vielleicht hat sich mittlerweile auch unter jungen Männern herumgesprochen, dass die Arbeit mit Kindern eine erfüllende, herausfordernde und gut bezahlte Arbeit ist.»

Oder geht es darum, dass Männer als Kuckuckseier in Fachstellen für Gleichstellung Einzug halten könnten? Gleichstellungsbüros wie Kindertagesstätten sind für Ina Müller «weibliche Stammlanden». Moment mal: Wer ist da dominant? Wer zementiert da ungerechte Geschlechterverhältnisse?

Männer, die sich mit ihrer Rolle und Gleichstellung auseinandersetzen, sind bereit, ihre Rolle als Männer im Gleichstellungsprozess kritisch zu reflektieren und reflektieren zu lassen. Dabei ist Mann auch dankbar um kompetente Fachfrauen, die sich mit den Prozessen von Männern ernsthaft auseinander setzen und auf blinde Flecken, Risiken und Nebenwirkungen hinweisen. Das funktioniert aber nur dann auf eine fruchtbare Weise, wenn eine Prämisse geteilt wird, und die heisst grob: Männer sind in den herrschenden Geschlechterverhältnissen auch, aber nicht nur Privilegienträger – und deshalb im Gleichstellungsprozess auch, aber nicht nur Helfer zur Verwirklichung von Frauenanliegen.

Sollen sich Männer ernsthaft mit Gleichstellung auseinandersetzen, muss die weibliche Definitionsmacht in Sachen Gleichstellung angetastet werden. Gleichstellung mit Frauenförderung gleichzusetzen, bedeutet einen Rückschritt in die 1990er-Jahre. Eine fundamentale Neugestaltung der Geschlechterverhältnisse kann kein Soloprojekt von Frauen sein. Hier ist es wichtig, Männer als Mitstreiter zu gewinnen, gerade auch junge Männer, die sich über Rollenbilder hinwegsetzen.

Zum Glück, nicht zuletzt für die Männer, die einen Betreuungsberuf erlernen, ist das für viele Frauen inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden. Ein kritisches Hinsehen ist wichtig, so wie Forschungsprojekte über Vor- und Nachteile der Mitbeteiligung von Männern in der Kinderbetreuung. Dazu gehört sicherlich die ‹goldene Rolltreppe›, die Männer schnell befördert, aber auch die Erfahrung, in einem Frauenteam ‹einfach mitgemeint› zu sein. Jeder im Haushalt ernsthaft mitbeteiligte Mann kennt den schmalen Grat zwischen Bewunderung und belächelt-werden. Und auch hier spielen beide Geschlechter ihren Part im Rollenspiel.

 

*Lu Decurtins ist Sozialpädagoge, Supervisor und Projektleiter «Mehr Männer in die Kinderbetreuung» (MAKI).

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