Ergänzungsleistungen nicht vergessen

In der Rentendiskussion gehen die Ergänzungsleistungen in der Empörung über die Benachteiligung der Frauen oft vergessen. Dabei sind sie für die untersten Einkommen relevanter als AHV oder Pensionskasse und ihr Ausbau wäre die kostengünstigste, sicher aber die sozialste Rentenverbesserung.

 

Frauen verdienen im Durchschnitt weniger als Männer. Das führt, da unser Rentensystem (inklusive AHV) recht strikt nach dem Prinzip funktioniert, dass die Höhe der Einzahlung die Höhe der Rente bestimmt, für die Frauen im Durchschnitt zu tieferen Renten. Da bei der Pensionskasse der hohe Koordinationsabzug bei Teilzeitarbeit mehr Gewicht erhält, ist die durchschnittliche Differenz zwischen den Geschlechtern bei der Rente noch etwas grösser als bei den Löhnen. Diesem Fakt galt die Wut von linken Frauen, die nach der Abstimmung protestierten, und weniger dem zusätzlichen Arbeitsjahr für die Frauen. Die Forderungen auch vieler bürgerlicher Frauen, nun rasch an der Revision der 2. Säule (neben gleichem Lohn für gleiche Arbeit, gleicher Verteilung der Care-Arbeit, Abschaffung des Koordinationsabzugs, höheren Erziehungsgutschriften) zu arbeiten, finde ich logisch und angebracht. Zugleich frage ich mich aber, gehen dabei die untersten Einkommen nicht einfach vergessen?

 

Nicht nur SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer betonte in der Abstimmungskampa­gne, viele Frauen hätten nach der Pensionierung nur die AHV. Formal trifft dies zu, materiell hingegen kaum. Mit der AHV alleine (Maximum 2400 Franken) kann kaum jemand überleben, zudem erreicht frau das Maximum nur bei einem versicherten Einkommen in der Grössenordnung von 7000 Franken, und dies führt abgesehen von Selbstständigen zu einem anständigen Beitrag der 2. Säule.

 

Ich gehöre als Mann zu jenen Frauen, die seit zehn Jahren nur die AHV beziehen. Sie betrüge 1700 Franken im Monat. «Betrüge» ist im doppelten Sinne gemeint. Erstens lebe ich mit meiner Frau, und sie bezieht neben dem AHV-Maximum eine gute Pension. Zweitens hätte ich vor der Pensionierung alleinstehend meinen Beruf als P.S.-Verleger und Parteipräsident nicht 20 Jahre ausüben können. Die Rechnung, dass wir beide unsere Lieblingsberufe ausüben konnten, wobei sie anständig bis gut und ich wenig bis sehr wenig verdienten, ging für uns als Paar auf. Ich fühle mich auch jetzt nicht als Bittsteller, wobei ich sehr gerne zugebe, dass es gendermässig von Vorteil ist, dass das Geld von ‹ihr› kommt. Aber abgesehen davon: Wer als Paar zusammenlebte und vom Staat als solches behandelt wurde, kann nicht erwarten, dass sich das mit der Pensionierung ändert.

 

Beanspruchen und ausbauen

Wer tatsächlich nur AHV ohne Absicherung durch eine Partnerschaft erhält oder wer alleine oder zusammen nur eine minimale Pension bezieht, besitzt einen Rechtsanspruch auf Ergänzungsleistungen. Diese sind zwar in den Details kantonal und auch kommunal unterschiedlich grosszügig ausgebaut, aber der Grundsatz ist eidgenössisch geregelt, und es besteht ein Rechtsanspruch, der genauso gilt wie das Recht auf die AHV oder auf den Schulbesuch. Verordnungen regeln den Anspruch und die Berechnung. Als Beispiel für eine alleinstehende Person die eher grosszügige Stadt Zürich: Wer AHV (bei vorzeitiger Pensionierung wird es etwas komplizierter) bezieht, hat einen Anspruch auf rund 22 000 Franken für den Lebensunterhalt, plus Wohnung und Krankenkasse, wobei Wohnung (rund 1200 Franken für eine Person) und Krankenkasse (gut 500 Franken pro Monat) gedeckelt sind. Das ergibt für die meisten Alleinstehenden einen Betrag um 3500 Franken pro Monat. Davon werden die AHV, die Pensionskasse und weitere Einkünfte abgezogen und der Rest ausbezahlt. Vom Vermögen werden ab 30 000 Franken pro Jahr 10 Prozent abgezogen, ab 100 000 Franken Vermögen besteht kein Anspruch mehr auf Ergänzungsleistungen. Über den Vermögensabzug (vor allem, wenn er aus einem Einfamilienhaus besteht) wird oft und gerne gestritten. Praktisch spielt er vor allem bei BezügerInnen mit eigenem Haushalt kaum eine Rolle, da die wenigsten Vermögen besitzen. In der Stadt Zürich erhielten 12 300 Personen Zusatzleistungen, davon waren 64 Prozent Frauen.

 

Die Zusatzleistungen spielen für viele vor allem in den letzten Lebensjahren eine grosse Rolle, wenn sie in einem Heim leben müssen oder wollen. Grob gesagt, können viele mit einer anständigen Rente das Altersheim noch knapp bezahlen, für das Pflegeheim müssen dann die Zusatzleistungen einspringen, und hier spielt der Vermögensabzug dann eine grössere Rolle und sehen Angehörige oft ihr Erbe entschwinden. Aber ohne böse Anmerkung: Dass Krankenkasse und Zusatzleistungen ein halbwegs würdiges Leben in der letzten Phase finanziell garantieren, erleichtert das Alter enorm.

 

Wenig Wirkung

Ich war gut 20 Jahre in der Sozialbehörde der Stadt Zürich und habe mir noch nicht abgewöhnt, Sozialmassnahmen auf die Wirkung ganz unten abzuchecken. Konkret: Was nützt etwa die Abschaffung oder drastische Reduzierung des Koordinationsabzugs? Wer neu in Teilzeit 20 000 Franken pro Jahr verdient, dem werden in der Pensionskasse dann rund 2000 Franken pro Jahr gutgeschrieben. Macht in 40 Jahren 80 000 Franken, das ergibt eine monatliche Pensionsauszahlung von knapp 400 Franken. Er oder sie haben damit gleich viel Geld wie vorher, die Gemeinde bezahlt einfach etwas weniger Ergänzungsleistungen. Beim Minimallohn von 4000 Franken pro Monat ergibt dies einen Pensionskassenanteil von 200 000 Franken, was eine monatliche Rente von rund 1000 Franken ergibt. Auch das ist zusammen mit der AHV weniger als die Ergänzungsleistungen.

 

Diese haben allerdings einen grossen Nachteil: Praktisch jeder Zusatzverdienst wird abgezogen, das bedeutet, dass sich die Möglichkeit für einen Zusatzverdienst als Rentnerin nur schwarz lohnt. Ähnliches gilt praktisch für alle nun geforderten Massnahmen: Sie führen zu Verbesserungen, sie helfen der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern, aber sie bringen ganz unten nichts. Kommt hinzu: Die Ergänzungsleistungen ermöglichen im Gegensatz zur Sozialhilfe ein halbwegs anständiges Leben. Aber es bleibt schwer zu erklären, warum man im Alter mit weniger Geld auskommen soll, als der Minimallohn garantiert.

 

Eine Anhebung der AHV-Minimumrente auf Existenzsicherung ist kaum bezahlbar, für eine grosse Umlagerung von der Pensionskasse in die AHV fehlt die politische Mehrheit, da zu viele zu viel zu verlieren haben. Will man nicht nur eine gendergerechte, sondern auch eine soziale Rente, steht der Ausbau der Ergänzungsleistungen und die Verbesserung ihres Rufes als Grundstein im Zentrum. Auch dies kostet: Da ist der Vorschlag von Michael Hermann nach einer Erbschaftssteuer als neuer Finanzierungsquelle eine gute Möglichkeit. Falls die Linke sie nicht als Möglichkeit begreift, das Geld nur den Millionären abzunehmen, sondern einsieht, dass es nicht ungerecht ist, auf 1000 geschenkte Franken einen kleinen Obolus zu entrichten, was man auf 1000 Franken mehr Lohn für ganz selbstverständlich hält.

 

 

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