«Eine Frage der Solidarität»

Die Frist fürs Referendum gegen den Beschluss zum Finanzausgleich verstrich letzte Woche ungenutzt, womit vorerst alles beim alten bleibt. Was sie davon hält, erklärt die Fraktionspräsidentin der Grünen im Zürcher Gemeinderat, Karin Rykart Sutter, im Gespräch mit P.S.

 

Laut der NZZ vom 8. Oktober kann niemand wirklich zufrieden damit sein, dass das Parlament im Juni den Ausgleich für die nächsten vier Jahre im Sinne der Nehmerkantone festgelegt hat. Ihr Kommentar?

Karin Rykart Sutter: Dass es einen Finanzausgleich gibt, finde ich grundsätzlich richtig. Denn es haben nun mal nicht alle die gleichen Voraussetzungen wie der Kanton Zürich, der zu Recht als Wirtschaftsmotor der Schweiz gilt. Kürzlich war ich im Bündnerland, in einem kleinen Dorf in der Nähe von Disentis zu Besuch. Die wenigen verbliebenen EinwohnerInnen sind abhängig vom Tourismus und von zwei, drei Firmen.

 

Ohne Ausgleich gäbe es das Dorf nicht mehr?

Es ist offensichtlich, dass die Rechnung nicht aufgehen kann, zumal in den letzten Jahren immer mehr Jobs weggefallen sind: Es gibt keine Post, keinen Dorfladen, und das Hotel hat vor kurzem geschlossen. Die neue Käserei in Disentis produziert seit zirka zwei Jahren Heidi-Käse für die Migros – anscheinend konnte sie mit eigenen Produkten nicht überleben.

 

Früher war es normal, dass die Leute auf dem Land in bescheideneren Verhältnissen lebten…

Früher war es auch noch nicht so, dass alles rentieren muss. Es war normal, dass man die Grundversorgung via Steuergelder sicherstellte. Heute jedoch muss nicht nur das Gemeinwesen rentieren, sondern auch noch jede Abteilung der Verwaltung für sich allein. Dafür sind jedoch die Voraussetzungen gerade in Rand- und Berggebieten nicht gegeben. Kommt hinzu, dass grosse Zentren wie die Stadt Zürich auch noch aktiv mithelfen, diese Voraussetzungen weiter zu verschlechtern.

 

Wie meinen Sie das?

Grosse Zentren saugen die gut ausgebildeten jungen Leute aus den Berg- und Randgebieten ab, denn sie sind laufend auf qualifizierte Fachkräfte angewiesen. Zurück bleiben die Bauern, ein paar Handwerker und die alten Leute. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie solidarisch es gegenüber den Heimatkantonen war, ihnen die jungen Fachkräfte abzuzügeln. Und davon, wie wir diese Frage beantworten, hängt es ab, ob wir gewillt sind, den Finanzausgleich als nötigen und gerechten Ausgleich zu betrachten und nicht bloss als Geld, das uns genommen wird und das wir lieber selber ausgeben würden.

 

Es gibt auch Kantone, die erst die Gelder aus dem Finanzausgleich entgegennehmen und als nächstes die Steuern senken.

Das kann natürlich nicht sein. Wird der Finanzausgleich das nächste Mal thematisiert, sollte man meiner Meinung nach als erstes verbieten, dass ein Kanton dank des Finanzausgleichs die Steuern senkt. Umgekehrt kann es auch nicht sein, dass ein Kanton gezwungen sein soll, den Steuerfuss zu erhöhen, um seinen Verpflichtungen als Geberkanton nachkommen zu können.

 

Grundsätzlich haben Sie aber nichts dagegen, dass die Geberkantone und damit auch der Kanton Zürich auch letzten Juni im Parlament wieder von den Nehmerkantonen überstimmt wurden und somit letztere den Tarif festlegen?

Für mich steht hinter dem Steuersystem nach wie vor der Gedanke, solidarisch zu sein: Steuern sind doch keine Abgabe, die man nur dann entrichtet, wenn man selber unmittelbar davon profitiert. Die Idee dahinter ist vielmehr die, dass alle nach ihren Möglichkeiten einen Beitrag an die Gemeinschaft leisten sollen.

 

Ist diese Sicht der Dinge nicht zu optimistisch?

So war das Steuersystem ursprünglich gedacht. Aber es ist so, dass sich die Diskussion in den letzten Jahren immer öfter ungefähr so anhörte: Warum soll ich mehr zahlen, obwohl ich nicht direkt profitiere? Der Gedanke der Solidarität ist weg, jeder schaut für sich und dafür, was ihm im Moment am meisten bringt: So viel Geld für ein Schulhaus? Meine Kinder sind erwachsen, interessiert mich nicht, also stimme ich Nein. Oder: Ausgerechnet beim Alterszentrum soll gespart werden? Da will ich dannzumal einziehen. Also ändert die Pläne gefälligst! – Es stellt sich in diesem Zusammenhang schon die Frage, ob ein Alterszentrum zwingend kostendeckend betrieben werden muss.

 

Steuern zahlen und einen Teil davon in den Finanzausgleichstopf geben ist mehr Lust als Last?

Ob hier von Lust am Steuern zahlen gesprochen werden kann, sei dahin gestellt. Es geht auch darum, was wir dafür erhalten. Zum Beispiel der Zusammenhalt zwischen den einzelnen Kantonen und auch um Solidarität. Wie gesagt, nicht alle Kantone haben die gleichen Voraussetzungen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

 

Dass der Bund Aufgaben an die Kantone delegiert und die Kantone sie an die Gemeinden weiterreichen, ist ein altbekanntes Muster. Bald müssen Kantone und Gemeinden aber wegen der Unternehmenssteuerreform III zusätzlich auf Steuereinnahmen verzichten: Kann das gutgehen?

Nein, das kann nicht gutgehen – denn bereits jetzt (ohne die Unternehmenssteuerreform III) sehen die finanziellen Aussichten in den Kantonen und Gemeinden nicht rosig aus. Gerade eben konnte man lesen, dass auch Gemeinden mit tiefen Steuerfüssen über Steuererhöhungen diskutieren müssen. Und die Ausgleichszahlungen des Bundes werden kaum die ganzen Einbussen abdecken. Es besteht also Handlungsbedarf. Das Hauptproblem, das wir heute bereits haben und das dannzumal noch verschärft auftreten wird, ist das stete Streben nach dem ‹schlanken› Kanton, der ‹schlanken› Gemeinde. Warum müssen die unbedingt schlank sein? Wohl vor allem, damit diejenigen öffentlichen Aufgaben und Infrastrukturen, die lukrativ sind – Teile des EWZ beispielsweise oder der Spitäler – ausgegliedert werden können. Was nicht rentiert, bleibt bei den Gemeinden. Das passt auch gut zur verbreiteten Ansicht, der Staat könne weniger gut Aufgaben lösen als die Wirtschaft, und ein Verwaltungsrat sei per se besser als die MitarbeiterInnen der Stadtverwaltung. Warum das so sein soll, sagt hingegen keiner – jedenfalls nicht vor den Wahlen.

 

Was denken Sie?

Dahinter steckt wahrscheinlich das Credo der FDP von der ‹Eigenverantwortung›. Ich habe gar nichts gegen Eigenverantwortung. Doch es gibt in der Gesellschaft eben nicht nur gut ausgebildete Junge, die für sich selber sorgen können, sondern auch ältere Menschen, Kinder, Leute mit weniger Ressourcen, und sie gehören ebenfalls zur Gemeinschaft. Hier haben wir eine ‹Anderenverantwortung›. Mich ärgert es, dass dies häufig ausgeblendet wird.

 

Wahlen 2015
Bis zu den Nationalratswahlen vom 18. Oktober stellen wir an dieser Stelle jede Woche Kandidierende vor, die dem Nationalrat noch nicht angehören. Wer zum Zug kommt und zu welchem aktuellen Thema er oder sie befragt wird, entscheidet die Redaktion. Es werden nur KandidatInnen mit intakten Wahlchancen berücksichtigt. Heute mit: Karin Rykart Sutter (Grüne, Zürich) zum Thema Finanzausgleich.

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