Dranbleiben!

Der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt fördert die Gleichstellung, und umgekehrt hilft Gleichstellung, geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen: So lautet die Kernaussage eines Mediengesprächs zum 14. Juni.

Datum und Ort waren mit Bedacht gewählt: Am Dienstag, einen Tag vor dem feministischen Streik vom 14. Juni, luden Regierungsrätin Jacqueline Fehr und Stadtpräsidentin Corine Mauch zu einem Mediengespräch in den obersten Stock des Stadthauses, genauer in die Bibliothek zur Gleichstellung. Thema: «Gleichstellung stärken, Gewalt bekämpfen.» Nebst Corine Mauch und Jacqueline Fehr wandten sich auch die neue Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung des Kantons Zürich, Susanne Nef, und Martha Weingartner, Projektleiterin bei der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich an die Journalistinnen und Journalisten (wobei letztere für einmal arg in der Minderheit waren…).

Zum Einstieg zollte die Stadtpräsidentin den vielen Menschen, insbesondere Frauen, Respekt, die sich Tag für Tag in Mädchen- und Frauenhäusern, Beratungsstellen etc. engagieren. Wir hätten aber auch die internationale Verpflichtung, Gewalt zu verfolgen, fügte sie mit Verweis auf die Istanbul-Konvention an. Das unter diesem Namen bekannte Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt ist für die Schweiz am 1. April 2018 in Kraft getreten. Die Stadtpräsidentin erinnerte weiter an die laufende Kampagne «Zürich schaut hin», die sie zusammen mit Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart lanciert hat (P.S. berichtete). Auf dieser Plattform sei in den letzten zwei Jahren mehr als 600 Mal eine sexuelle, homo- oder transfeindliche Belästigung gemeldet worden. Das macht im Schnitt rund zwei Meldungen pro Tag. Weil der Kampf gegen sexuelle Gewalt nur gemeinsam zu gewinnen sei, ist «Zürich schaut hin» dieses Jahr unter anderem am Zürifäscht, am Caliente und an der Streetparade präsent: «Wir dürfen nicht wegsehen bei Übergriffen.» Die Männer seien speziell angesprochen, hinzuschauen, einzugreifen und Stellung zu beziehen.

«Gender-Tagefür alle Schulen»

Regierungsrätin Jacqueline Fehr sagte, der 14. Juni sei ein Tag zum Feiern, aber auch ein Tag zum Kämpfen. Errungenschaften wie etwa das Frauenstimmrecht, das neue Sexualstrafrecht oder die Fristenregelung seien dem Mut und der Hartnäckigkeit von Frauen geschuldet, die laut und fordernd aufgetreten seien und sich dafür hätten schräg anschauen lassen: «Aber mit Bravsein gewinnt man in der Politik keinen Blumentopf.» Alle Frauen stünden, bildlich gesprochen, auf den Schultern von Feministinnen, fügte sie an: «Nur wer sich sicher fühlt, wer keine Angst haben muss vor Übergriffen und Gewalt, kann sich selbst entfalten.» Die Gleichstellung sei aber auch die beste Prävention von Gewalt, wohingegen uns «feige Gleichgültigkeit» nicht weiterbrächten. Umgekehrt hätten Frauen, die autonom seien und finanziell unabhängig, bessere Voraussetzungen, sich zu wehren und vor Übergriffen zu schützen. Deshalb sei Lohngleichheit ebenso wichtig wie eine gerechte Verteilung der Care-Arbeit.

Jacqueline Fehr erinnerte weiter daran, dass es wichtig sei, dass sich schon Kinder und Jugendliche mit Geschlechterrollen und -stereotypen auseinandersetzten und dass sie lernten, dass es keine Toleranz gebe für ungleiche Machtverhältnisse. Wenn Politiker torpedierten, was den Vorgaben des Lehrplans 21 entspreche und in der Istanbul-Konvention festgehalten sei, dann sei das nicht nur lächerlich und ärgerlich, sondern «radikal verantwortungslos»: «Ich wünsche mir in allen Schulen Gender-Tage, und zwar regelmässig.» An der Umsetzung der Istanbul-Konvention sei der Regierungsrat dran, fügte Jacqueline Fehr an: Pionierarbeit leisteten die Fachleute des Statistischen Amts, indem sie die Datengrundlage im Bereich der geschlechtsspezifischen Gewalt erweiterten und verbesserten. Dadurch werde es möglich, gezieltere und wirkungsvollere Präventionsangebote zu entwickeln.

Gegen Gewalt, für Gleichstellung

«Das Engagement gegen geschlechtsspezifische Gewalt fördert die Gleichstellung, und Gleichstellung ist ein zentraler Treiber in der Bekämpfung und Verhütung von geschlechtsspezifischer Gewalt», fasste Susanne Nef zusammen. Doch wo sollen wir angesichts der vielen Formen sexueller Gewalt ansetzen? Ein grosser Teil davon finde im häuslichen Bereich statt, sagte sie, und diese Gewalt nehme zu. Gleichzeitig sei eine Zahl über die Jahre relativ konstant geblieben: «Nur rund 10 bis 22 Prozent der Betroffenen wenden sich an die Polizei.» Das gehe aus Opferbefragungen und Dunkelfeldstudien hervor. Entsprechend gross sei der Handlungsbedarf. Der Hauptrisikofaktor sei aber fehlende Gleichstellung auf der gesellschaftlichen Ebene, sagte Susanne Nef: Jede fünfte Frau könnte sich eine Trennung finanziell nicht leisten.

Entscheidend sei denn auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: So könnten vier von fünf kinderlosen Frauen von ihrem eigenen Lohn leben, während die grosse Mehrheit der Mütter das nicht könne. Es brauche deshalb die Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes ebenso wie eine individuelle Besteuerung. Gewalt zur Konfliktlösung dürfe nicht akzeptiert werden, und Gleichstellung sei in allen Lehrplänen und Bereichen zu verankern.

Martha Weingartner verwies noch auf die regelmässig durchgeführte Befragung von 13- bis 19-Jährigen: In dieser Jugendbefragung habe sich 2021 eine starke Zunahme von Opfererfahrungen in der Kategorie «Sexuelle Nötigung/Vergewaltigung» gezeigt, und zwar vor allem bei den Mädchen und den queeren Jugendlichen. Junge Männer seien umgekehrt stark von Gewalt durch andere junge Männer betroffen gewesen. Martha Weingartner plädierte deshalb dafür, nicht nur von «Jugendgewalt» zu reden, sondern diese geschlechtsspezifisch zu betrachten.

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