Direkt am Ziel vorbei

Die SP lässt sich von der SPÖ eine Homepage programmieren, auf der sie sozialdemokratische Propaganda im journalistischen Mäntelchen veröffentlicht. Das schadet vor allem dem kritischen Journalismus. Eine Medienkritik.

 

Franziska Schutzbach hat es schon getan, auch Samira Marti und Cédric Wermuth: Sie alle haben auf Twitter einen Link zum neuen Onlinemagazin ‹direkt› geteilt. Wer da­rauf klickt, wird auf Beiträge weitergeleitet, die sich mit der Inflation und den verheerenden Folgen für Armutsbetroffene beschäftigen, mit den steigenden Krankenkassenprämien, mit dem Abstimmungsverhalten der Bundesratsparteien während der letzten Session. Die Homepage ist im schlichten News-Design gehalten – schwarze Schrift auf weissem Hintergrund. Der Slogan des Magazins – «sagen, was ist» – erinnert an das des deutschen Nachrichtenmagazins ‹Der Spiegel›. Alles weist auf den ersten Blick darauf hin, dass hier Journalismus publiziert wird. 

 

Wer aber genauer hinschaut, realisiert zwei Dinge. Erstens haben die Artikel keine AutorInnenzeile – sie sind von Geisterhand geschrieben. Und zweitens hat die SP für fast jedes politische Problem, das in den Artikeln aufgegriffen wird, bereits eine Motion oder eine Initiative lanciert. Nach der Lektüre mehrerer Beiträge klingt das dann weniger nach kritischem Journalismus und mehr nach Propaganda. Wer bis an das untere Ende der Homepage scrollt, findet dann endlich den Grund für die sozialdemokratische Hofberichterstattung: ‹direkt› ist eine Webseite der SP Schweiz mit Beiträgen zu aktuellen Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.» Geschrieben werden die «Beiträge» gemäss Impressum von «von MitarbeiterInnen und Mitgliedern der SP, Externen sowie GastautorInnen». 

 

Gefühltes Medienvakuum

Einzelne SP-ExponentInnen beklagen sich seit längerem darüber, dass ihre Themen zu wenig in der Schweizer Medienlandschaft abgebildet sind. Die Blütezeit der sozialdemokratischen Presse ist längst vorbei, die letzten Überbleibsel – die ‹Schaffhauser AZ› und diese Zeitung – sind inzwischen unabhängig von der Partei und betreiben recherchegetriebenen Politjournalismus. Diese Angst vor dem medialen Bedeutungsverlust setzt offensichtlich zu. Besonders Co-Präsident Cédric Wermuth hat sich in den letzten Monaten immer wieder mit pauschalisierender Medienschelte auf Twitter zu Wort gemeldet: Mal schimpft er über die «rechte Schmierenpresse», mal kritisiert er, dass «die Medien» das Programm der SP immer auf Identitätspolitik reduzierten. 

 

Dass die SP diesem gefühlten Medienvakuum und der bürgerlichen Presse also mit einem eigenen, direkten Kommunikationskanal begegnen will, ist dabei nicht verwerflich. Die FDP hat einen Blog, auf dem Freisinnige ihre Weltsicht zum Besten geben können und SVP-Übervater Blocher hat mit seiner Kolumne in seinen Gratiszeitungen eine Reichweite, die InfluencerInnen Tränen in die Augen treiben würden. Aber auch wenn die SP es im Impressum von ‹direkt› unterlässt, journalistische Begriffe zu verwenden – aus Artikeln werden Beiträge, aus dem Magazin plötzlich nur noch eine Webseite – unterscheidet sich ‹direkt› von anderen Parteipublikationen darin, dass der ganze Auftritt darauf ausgelegt ist, den Absender zu verschleiern. Diese Strategie zeigt sich neben den bereits erwähnten Punkten auch daran, dass man offensichtlich visuell Distanz zwischen der Partei und dem Medium schaffen will: Das Design – sowohl das Farbschema als auch die Schriftart – weicht stark vom sonst üblichen grafischen Auftritt der SP ab und widerspricht den internen Vorgaben. 

 

Die Medienstelle der SP begründet das auf Anfrage damit, dass ‹direkt› «politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen» vermittle und einen anderen Fokus als die Partei- oder die Kampagnenseiten der SP habe. «Das eigenständige Layout soll diesen Unterschied in den Inhalten für die NutzerInnen transparent machen.» Zudem habe sich eine Anpassung aufgedrängt, «weil die erprobte LeserInnenführung von Informationsseiten für ‹direkt› sinnvoll ist.» Mit anderen Worten: ‹direkt› gibt sich bewusst den Mantel einer Informationsseite mit visueller Distanz zur Partei – und nimmt so im besten Fall in Kauf, dass NutzerInnen Parteikommunikation als Journalismus verwechseln, im schlimmsten Fall aber führt die SP die LeserInnen bewusst in die Irre. 

 

Österreich-Connection

Abgekupfert hat man sich die Strategie von der SPÖ in Österreich. Dort lancierte der sozialdemokratische Parlamentsklub vor rund sechs Jahren das Online-Magazin ‹kontrast.at›, um die «Hegemonie der bürgerlichen Medien zu brechen». Aber die Österreich-Connection geht über simple Inspiration hinaus: Die Homepage wurde von derselben Person programmiert wie ‹kontrast.at›. Das bestätigt die Medienstelle der SP auf Anfrage. Die Webseite ‹direkt› sei ein eigenständiges Projekt der SP Schweiz und nach dem Vorbild der Seite der SPÖ gewachsen. «Für die Erstellung der Webseite wurde insbesondere auf das technische Know-how der österreichischen Schwesterpartei zurückgegriffen.»  

 

Auf die Frage, ob man mit dem ‹Spiegel›-Slogan «sagen, was ist» nicht impliziert, dass auf ‹direkt› Journalismus publiziert werde, weicht die SP aus: «Rudolf Augstein mag das Zitat für sich beansprucht haben, indem er es mit Metallbuchstaben ans ‹Spiegel›-Gebäude klebte. Tatsächlich wurde der Ausspruch ‹Sagen, was ist› bereits Jahrzehnte zuvor von Ferdinand Lassalle, einem Wortführer der Arbeiterbewegung, oder Rosa Luxemburg geprägt.»

 

Kampf der Narrative

Es wäre natürlich naiv, von einer Partei zu verlangen, sie solle einzig mit den besten Argumenten und Sachpolitik bewaffnet in die politische Arena steigen. Im Kampf der grossen Narrative rüstet die Rechte seit Jahren auf: Stiftungen, Thinktanks und Medientitel werden aufgebaut oder aufgekauft, um den gewünschten ideologischen Teppich zu legen, auf dem die politische Debatte stattfinden kann. Dass man diesen Akteuren nicht kampflos die Arena überlassen will, ist verständlich. Zumal das klassische Modell der politischen Kommunikation immer weniger greift: Die Medienvielfalt schrumpft, die sozialen Medien boomen, und wie alles ist auch Politik der Aufmerksamkeitsökonomie unterworfen. Unter diesen Vorzeichen ist ein direkter, unverwässerter Kommunikationskanal zur Zielgruppe wie ein Sechser im Lotto. 

 

Doch das unter dem Vorwand des Journalismus zu tun, ist unredlich und gefährlich für den kritischen Journalismus. Dieser lebt davon, dass JournalistInnen nach gewissen Standards versuchen, unabhängig und glaubwürdig die Welt verständlich zu machen. ‹direkt› entspricht keinem dieser Ansprüche, bedient aber die dafür nötige Ästhetik. Im Namen einer Partei, die noch diesen Februar mit dem Slogan «Ohne Journalismus keine Demokratie» den kritischen Journalismus retten wollte.

 

Kurz vor Redaktionsschluss publizierte die SP auf der Startseite von ‹direkt› einen Artikel von Mitte August erneut, in dem die Partei die Lancierung des Mediums mitgeteilt hatte. Dies als Reaktion auf verschiedene Medienanfragen, wie die Medienstelle auf Anfrage sagt.

 

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