Die Ungewissheit ist gewiss

Ein Tag im Leben einer jüdischen Geschichtslehrerin, einer palästinensischen Märtyrerin und einer US-amerikanischen Söldnerin aus nur einem Mund erzählt, verdeutlicht ihre unfreiwillige Schicksalsgemeinschaft.

 

Die Andere ist für alle immer eine abstrakte Grösse. Die Gemeinsamkeit ist äusserlich allein geographisch. Die eine handelt auf Befehl und tötet, die andere will eine Veränderung herbeiführen und ist bereit zu töten, die dritte versucht krampfhaft, ihr Denken und Handeln nicht von stereotypem Schwarzweiss dominieren zu lassen. «Ichglaubeaneineneinzigengott.hass» von Stefano Massini verwebt drei einander diametral entgegengesetzte Perspektiven in Monologen zu einem Situationsbild, das exemplarisch vorexerziert, wie sehr der einzelne Mensch vom direkten Umfeld abhängt und geprägt ist. Peng! knallt einer der raumdominierenden Stahlrahmen dem Publikum völlig unerwartet und physisch gefährlich nahe vor die Füsse. Von diesen Stabilität suggerierenden Riesen stehen noch weitere herum (Bühne: Josef Loretan), aber ab diesem Augenblick wird der Satz, den alle drei Frauen in unterschiedlichen Kontexten, aber im exakt gleichen Wortlaut äussern, regelrecht nachfühlbar: «Wer ein Attentat überlebt, der lebt – aber der Tod setzt sich im Kopf fest.» Die Szenerie ist Tel Aviv, April 2003, Wochen nachdem sich eine Märtyrerin in einem Supermarkt in die Luft gesprengt und zahllose Menschen mit sich in den Tod gerissen hat. Eden traut sich erstmals überhaupt abends wieder auf die Strasse und geht auf Drängen von Freunden aus. Für Shirin ist heute ihr fremdbestimmt festgelegter grosser – und letzter – Tag. Mina wurde mit ihrem Phantomkommando gerufen, «das Problem» zu lösen, eine noch nicht bekannte Selbstmord­attentäterin niederzustrecken. Bis dahin entwickeln sich die drei Monologe, die Regula Imboden ohne künstliche Unterscheidung in Tonfall oder Habitus hochkonzentriert ineinander verwebt, zu einem Gesamtbild. Alle drei Frauen haben in Teilen grenzwertige Ansichten und ihre Haltung wirkt handkehrum, in ihrer Logik präsentiert, weitestgehend nachvollziehbar. Was jetzt? Steht irritierend als zentrale Frage im Raum und genauso unbefriedigend unbeantwortbar bleibt sie dort stehen. Kurz vor dem schicksalhaften, gemeinsamen Erleben der drei Frauen sinniert die mit TNT bepackte Palästinenserin noch darüber, wie die Israelin einen bunten Schal, der Kälte wegen, in ein Kopftuch verwandelt und stellt für einen Augenblick ihre scheinbar unveränderliche Verschiedenheit infrage. Derweil sich die Israelin zuvor erstmals dabei ertappt hat, wie sie der nationalistischen Tirade eines Siedlers kein Paroli bot und an ihrem Vermögen zu zweifeln beginnt, der andauernden öffentlichen Hetze gegeneinander und der daraus folgenden Ohnmachtslogik von Rache und Vergeltung mit ihrem Verstand auf Dis­tanz zu halten, um nicht selber von Reflexen beherrscht zu werden. Die von aussen kommende Scharfschützin ist eine dramaturgische Figur, die einerseits illustriert, wie sich Aussenstehende nur sehr ungefähr ausmalen können, was es heisst, im gewaltsam ausgetragenen Disput zweier Mächte zerrieben zu werden, und andererseits, wie hoffnungslos letztlich eine versuchte Problemlösung durch Tabula rasa ist. Keine der drei Frauen ist einzig Sympathieträgerin und alle drei Frauen entwickeln sich während des Stücks zu Figuren, denen die Empathie gehört. Das Fliessende und Uneindeutige jeder klaren Verortung dieser komplexen Situation wird übersetzt mit drei verschlungen über die Bühne gespannte Stoffbahnen (Kostüm: Laura Locher), die zuletzt am Körper von Regula Imboden eins werden. Ob als Schutzschicht oder einschneidendes Korsett bleibt in der Regie von Uwe Lützen genauso in der Schwebe wie der zuvor klug aufgebaute Dauerzwiespalt der Gemengelage.

«Ichglaubeaneineneinzigengott.hass», bis 30.3., Theater Winkelwiese, Zürich.

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