Grundsicherung für Alle

Die Sozialhilfe steht seit Jahren unter Beschuss. Vor allem die SVP hat es sich zum Ziel gesetzt, den öffentlichen Unmut auf das soziale Auffangnetz zu lenken. Das «Denknetz» – ein linker Thinktank – hat aus diesem Grund am Dienstag einen Vorschlag zur Reform der Sozialversicherung vorgestellt.

 

Milad Al-Rafu

 

Von rechter Seite ertönt regelmässig Kritik am sozialen Auffangnetz: «Die SVP widmete der Sozialhilfe bereits in ihrem Parteiprogramm von 2007 einen Abschnitt», erklärt Ruth Gurny, ehemalige Professorin für Soziologe und Sozialpolitik an der ZHAW und Mitglied des Denknetztes. Im Parteiprogramm von 2015 griff die SVP die Sozialhilfe dann frontal an: So bezeichnet die Partei die Erhöhung der Kosten im Sozialwesen als Kostenexplosion. Ausserdem forderte sie, dass die Richtlinien der «Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe» (SKOS) – zuständig für die Festlegung des Grundbedarfes in der Sozialhilfe – nicht mehr verbindlich sein dürfen. «Tatsächlich sind die Kosten der Sozialhilfe zwischen 2005 und 2015 um 53 Prozent gestiegen», hält Gurny fest. Hierfür seien zwei Faktoren verantwortlich: «Die Quote der SozialhilfeempfängerInnen liegt seit Jahren konstant bei drei Prozent. Aufgrund der wachsenden Bevölkerung nehmen die absoluten Kosten jedoch zu», führt Gurny aus. Zudem seien die steigenden Mietpreise und die immer teurer werdenden Krankenkassenprämien für den Anstieg verantwortlich. «Es gilt jedoch zu bedenken, dass sich die Kosten der Sozialversicherungen – AHV, IV etc. – auf 170 Mrd. Franken pro Jahr belaufen. Die Sozialhilfe macht hierbei nur einen sehr kleinen Teil aus, nämlich 2,8 Mrd. Franken», führt Gurny aus. Die stete Kritik von rechts zeigte jedoch Wirkung: Im Jahr 2015 passte die SKOS den Grundbedarf der Sozialhilfe nach unten an.

 

Wettbewerb nach unten
Ein weiteres Problem der Sozialhilfe liegt im föderalen Charakter der Schweiz begründet: Die Gemeinden tragen die Kosten der Sozialhilfe für die Personen, die auf dem Gemeindegebiet ihren Wohnsitz haben. Zwar kennen die meisten Kantone einen Lastenausgleich zwischen Gemeinde und Kanton. «Jedoch übernehmen nur drei Kantone die gesamten Kosten für die Sozialhilfe», hält Gurny fest. Auch der Lastenausgleich zwischen reicheren und ärmeren Gemeinden funktioniere nicht: «Der Kanton Zürich etwa kennt keinen Lastenausgleich zwischen den Gemeinden», so Gurny. Als Konsequenz kann bereits eine Familie, die auf Sozialhilfe angewiesen ist, eine kleinere Gemeinde vor eine grosse Herausforderung stellen. «Dies führt zu einem Wettbewerb nach unten, indem die Gemeinden versuchen, sich mit immer weniger Leistungen zu unterbieten», erklärt Gurny. Dies mit dem Ziel, unattraktiv für Sozialhilfebezüger zu erscheinen.

 

Kritik von links
«Wir begnügen uns jedoch nicht damit, die steten Angriffe von rechts auf die Sozialhilfe abzuwehren», unterstreicht Gurny. Denn auch aus linker Sicht gebe es Kritik am Status quo: So sieht Gurny es als pro­blematisch an, dass die Sozialhilfe seit Jahren als Auffangbecken für gesellschaftliche und strukturelle Probleme wie Langzeitarbeitslosigkeit herhalten muss. Auch dass die durchschnittliche Bezugsdauer der Sozialhilfe zugenommen hat, sei zu hinterfragen. «Denn im Endeffekt geht es darum, allen Personen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, was durch eine längere Abhängigkeit von der Sozialhilfe erschwert wird.»
Gemäss Gurny gilt es, selbst neue Ideen zu erarbeiten. Aus diesem Grund hat das Denknetz unter ihrer Leitung ein neues Instrument unter dem Namen «garantierte Grundsicherung für alle» (GfA) ausgearbeitet, das zur Reform der Sozialhilfe führen soll. Insbesondere die unerwünschten Wirkungen der Sozialhilfe, wie etwa die erschwerte Reintegration in das gesellschaftliche Leben und die damit einhergehende Rechtsungleichheit, versuche man zu korrigieren.

 

Reform
«Die GfA orientiert sich am Regime der Ergänzungsleistungen» erklärt Gurny. Anders als die Sozialhilfe, sind die Ergänzungsleistungen keine Fürsorge-, sondern eine Bedarfsleistung. Da die Ergänzungsleistungen als Zusatz zu Renten ausbezahlt werden und nicht als Übergangslösung gelten, sind die ausbezahlten Leistungen tendenziell höher als bei der Sozialhilfe. «Ausserdem geniessen die Ergänzungsleistungen ein höheres Ansehen bei der Bevölkerung als die Sozialhilfe», hält Gurny fest.
Finanziert würde die GfA gemäss Gurny – analog zu den Ergänzungsleistungen – grösstenteils durch den Bund und die Kantone und nur zu einem kleinen Teil durch die Gemeinden: «Dadurch wird das Problem des Lastenausgleiches gelöst». Weiter wird bei der GfA auf die Rückerstattungspflicht, die in der Sozialhilfe noch gilt, verzichtet. Auch die Verwandtenunterstützung, Karenzfristen sowie die Möglichkeit des Entzugs der Aufenthaltsbewilligung bei längerem Bezug sollen abgeschafft werden.
Man halte jedoch am Ansatz der Sozialhilfe fest, die Leute dabei zu unterstützen, wieder Arbeit zu finden. «Hierfür sind gute Integrationsprogramme notwendig», hält Gurny fest. Um die GfA als effektives Instrument etablieren zu können, gilt es zudem die Mindestlöhne zu stärken. «Denn nur so kann man eine Grundsicherung für alle erreichen», so Gurny. Personen, die hingegen freiwillig da­rauf verzichten zu arbeiten, würden einen tieferen Leistungssatz ausbezahlt bekommen und müssten die Leistungen im Falle von Schenkung oder Erbe zurückbezahlen.

 

Angesprochen auf die Ausgaben für die GfA, sagt Gurny: «Es ist schwer, die Kosten der GfA im jetzigen Stadium zu beziffern». Denn es sei noch nicht klar, wie stark sich der Kreis der Bezugsberechtigten vergrössern würde. Zudem sei es schwierig, abzuschätzen, wie viel Geld etwa durch die Zusammenführung der bestehenden Institutionen eingespart werden könnte. «Uns geht es jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht darum, die finale Version zu präsentieren, sondern einen Beitrag zur Debatte rund um die Sozialhilfe zu leisten.»

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