Das Private ist politisch

Sport, Arbeit, Gesundheit, Mode, Politik. Fünf Pionierinnen stehen mit ihren Geschichten für den erkämpften gesellschaftlichen Wandel seit den 1970er-Jahren im RTS-Podcast «chères pionnières» von Sarah Clément und Juliane Roncoroni. Die Historikerin Pauline Milani ergänzt die Erzählungen mit Zeitgeistkontext.

 

Bis in die 1970er-Jahre gab es tatsächlich Ärzte, die Langstreckenlaufen als medizinische Gefahr für die Gesundheit von Frauen einstuften und die Auswirkungen auf den Uterus bis zu einer drohenden Vermännlichung der Läuferinnen emporstilisierten. Vor diesem Hintergrund erscheint das Teilnahmeverbot für Frauen am Murtenlauf bis 1977 wie Fürsorge. Einige begeisterte Läuferinnen, unter ihnen Odette Vetter, wollten sich von diesem Humbug nicht davon abhalten lassen, ihre Freude am Laufsport nicht nur für sich, sondern auch in Wettbewerben auszuleben und nahmen 1975 verkleidet und mit einem männlichen Vornamen auf der Startliste erstmals heimlich daran teil. Die Fernsehkameras übertrugen den Zieleinlauf in den Abendnachrichten in die Stuben der Romandie, also auch das dort passierende Ablegen der Maske. Das Teilnahmeverbot wie auch die Mär der Gesundheitsschädigung waren mit dem erbrachten Gegenbeweis nicht mehr zu halten.

Das Konzert von Tina Turner (damals noch mit Ike) im Palais de Beaulieu in Lausanne 1974 hat die junge Solstice Denervaud elektrisiert. Erstmals überhaupt sah sie live eine schwarze Künstlerin auf einer Bühne, die sich dazu noch selbstbewusst raubkatzenhaft und sexy präsentierte und mit ihrem Sound die Massen mitriss. Nach diesem überwältigenden Erlebnis wollte sie unbedingt Teil dieses Künstlermilieus werden und erkämpfte sich früh eine entscheidende Stellung im Musikmanagement, als für Frauen erst die althergebrachten Rollen der Sekretärin und der Pressesprecherin denkbar waren. Als gewichtige Konzertagentin holte sie seither von Michael Jackson bis Björk alle namhaften MusikerInnen in die Romandie, ist aber im nach wie vor männerdominierten Showbusiness eine nahezu singuläre Kämpferin geblieben.

 

Neue Gesellschaftsordnung

Die Freiheiten im Nachgang der 1968er-Bewegung genügten Isaline Panchaud Mingrone bei weitem nicht. Zwar konnte sie in sogenannt wilder Ehe in einer Lausanner Kommune leben, aber selbst in dieser Struktur war die Rollenverteilung klar: Die Frauen waren für die praktischen Arbeiten zuständig, das Wort hatten die Männer. Mit einer Hand voll Mitstreiterinnen gründete sie die erste Frauengruppe, die Orte für Debatten unter Frauen schuf, «in denen nicht Männer vorsagen, was wir denken sollen». Sie hat mit dieser solidarischen Verschwesterung dazu beigetragen, das Bild der per se untereinander zerstrittenen Frauen zu sprengen. Nach dem Fichenskandal Ende der 1980er-Jahre erfuhr sie von ihrer polizeilichen Bespitzelung und musste zeitgleich feststellen, dass die Aktivistinnen offenbar doch nicht als sehr gefährlich eingestuft wurden. Ihre Fichen waren gegenüber jenen der Männer recht spärlich.

Das Abonnement der Frauenzeitschrift mit Mode, Rezepten und Strickmustern für die Hausfrau brachte die damals noch kindliche Gina Reymond auf die Idee, sich 1954 von ihren Eltern Hosen zu wünschen. Der patriarchal strukturierte Vater musste seine Autorität demonstrieren und erliess ein Hosenverbot. Nicht ohne bis Weihnachten dann doch nachgegeben zu haben. Die Historikerin Pauline Milani sagt dazu: «Das Infragestellen der Regeln heisst Infragestellen der Gesellschaftsordnung.» Sind diese einerseits so banal («weil es so ist») und andererseits so hoch gehängt, bedeutet die Auflehnung einen lang anhaltenden Kampf, selbst wenn der grössere Zusammenhang als Zehnjährige überhaupt nicht mitgedacht ist.

Im stockkatholischen Wallis installierte Geneviève Schwéry-Clavien 1976 das erste Zentrum für Familienplanung in Sierre und stiess mit dem Beratungsangebot rasch auf grosse Resonanz. Verhütung oder gar Abtreibung waren als Thema keineswegs nur für junge Frauen von Relevanz, sondern auch für Mütter mit bereits drei, vier Kindern. Die bis 2002 in der Schweiz kriminalisierte Abtreibung war damals im Wallis jenen vorbehalten, die es sich leisten konnten, dafür in den Kanton Waadt zu reisen. Die ursprüngliche Forderung, Abtreibung müsse allen und zwar gratis als Möglichkeit offen stehen, wurde etwa erst 2014 wieder durch ein Volksbegehren torpediert, sie aus dem Katalog der Grundversicherung herauszulösen. Was zeigt, dass die heute oftmals für selbstverständlich gehaltenen Errungenschaften in allen Belangen der Gleichstellung fragil bleiben und weiterhin verteidigt werden müssen. 

 

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