Biene vom Stadtbalkon hilft Blüte in Mostindien

Wer ein absolut pflegeleichtes Haustier sucht, sollte sich Wildbienen zulegen: Warum das schräger tönt, als es ist, erklärt der Geschäftsführer von Wildbiene + Partner, Claudio Sedivy, im Gespräch mit Nicole Soland.

 

Sie haben vor drei Jahren damit angefangen, Mauerbienen zu vermehren und diese Landwirten zur Bestäubung ihrer Pflanzen anzubieten. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Claudio Sedivy: Bereits während meines Studiums der Biologie habe ich den Schwerpunkt Systematik und Evolution gewählt und mich hauptsächlich mit der systematischen Botanik beschäftigt. An der ETH Zürich leitete ich Exkursionen für KommilitonInnen, und durch diesen Job lernte ich so ziemlich alle Pflanzen kennen, denen man hierzulande begegnet.

 

Und was führte Sie von den Pflanzen weg und zu den Bienen hin?

Insekten haben mich immer schon interessiert. Wer allerdings irgendwo draussen in der Natur steht und beispielsweise nach der Roten Mauerbiene Ausschau hält, steht unter Umständen sehr lange herum – es sei denn, er oder sie kennt sich gut mit Pflanzen aus: Alle Insekten haben ihre Lieblingspflanzen, und dort sind sie entsprechend einfach zu finden. Der Weg von der Beschäftigung mit Pflanzen zu den Bienen war somit ein naheliegender nächster Schritt. Später schrieb ich erst meine Masterarbeit und anschliessend meine Dissertation über Wildbienen.

 

Sie haben sich somit jahrelang mit Wildbienen beschäftigt: Was ist so spannend an diesen Tierchen?

Unter WildbienenspezialistInnen redet man vom Wildbienen-Virus: Wer es sich einmal eingefangen hat, wird es den Rest seines Lebens nicht mehr los… Im Ernst: Schon nur die Vielfalt ist beeindruckend. Allein in der Schweiz gibt es 600 Wildbienen-Arten, und weltweit sind es zwischen 20- und 40 000, wovon zirka 15- bis 20 000 wissenschaftlich beschrieben und erforscht sind. Das allein macht die Wildbienen für Biologen spannend, und für einen, der sich gleichermassen für Pflanzen interessiert, wird die Beschäftigung mit ihnen gleich doppelt interessant.

 

Warum mussten es Wildbienen sein? Die geben ja gar keinen Honig…

Um an Honig, Bienenwachs etc. zu kommen, muss man in der Schweiz tatsächlich die domestizierte Honigbiene halten, die heute ein richtiges Nutztier ist, wie die Kuh auf der Weide. Die Wildbienen jedoch sind wichtig für die Bestäubung, und zwar nicht nur für die Bestäubung von Wildpflanzen, sondern auch von Kulturpflanzen: Ausser Getreide, das sich mittels Windbestäubung fortpflanzt, sind vom Kirschbaum über den Apfel- und Birnbaum bis zum Gemüse, von Beeren über Kaffee bis zu Kakao alle Pflanzen darauf angewiesen, dass Bienen sie bestäuben. Vor allem für unsere Beeren und Früchte sind Mauerbienen besonders gut geeignet, weil sie speziell effiziente Bestäuberinnen sind.

 

An fleissigen Bestäuberinnen mangelt es also nicht: Warum braucht es denn ein Projekt wie die Bienenpatenschaft, die Sie Privatpersonen und BäuerInnen anbieten, sowie den Bestäubungsservice, den BäuerInnen beispielsweise für ihre Obstplantagen in Anspruch nehmen können? 

Um ein Artenschutzprojekt handelt es sich bei BeeHome und BeeFarmer tatsächlich nicht. Man könnte BeeHome als «Crowd-Bee-Breeding»-Projekt bezeichnen: Indem Privatpersonen bei sich zuhause Mauerbienen vermehren, unterstützen sie mit unserer Hilfe die Produktion von einheimischen Lebensmitteln. Denn wir bringen die so vermehrten Mauerbienen zu den Bauern, deren Obst und Beeren sie sodann bestäuben, was wiederum die Chance dafür erhöht, dass die Bäuerinnen eine gute Ernte einfahren können.

 

Wenn es wirklich genug Mauerbienen gibt, sollte das doch auch ohne Ihre Vermittlung klappen.

In den grossen Obstanlagen fehlen häufig die Nistplätze, denn dort sollen ja in erster Linie Bäume wachsen und Früchte tragen, weshalb Bäume wie Blüten meist dicht an dicht stehen. Gibt es jedoch keine Nistplätze, dann sind auch nicht genug Bienen zum Bestäuben vor Ort.

 

Dann hätten LandwirtInnen, die vom Obstanbau leben, doch längst auf die Idee kommen müssen, Mauerbienen zur Bestäubung zu züchten.

Das sind sie auch, jedenfalls einige von ihnen, doch der Weg von der Idee zur Tat ist nicht zu unterschätzen – zumal die BäuerInnen normalerweise nicht gerade unterbeschäftigt sind. Zudem ist es nicht so einfach, eine Population von Mauerbienen aufrecht zu erhalten.

 

Weil sie anfällig auf Krankheiten sind?

Nein, darüber ist uns, bis dato zumindest, nichts bekannt. Doch gegen Parasiten haben sie zu kämpfen, gegen Fruchtfliegen beispielsweise, aber auch gegen Milben oder Käferlarven.

 

Und die Mauerbienen, die Sie vertreiben, sind frei davon?

Wir liefern den Privatpersonen, die ein BeeHome-Bienenhäuschen bestellen, ebenso wie den Bäuerinnen, die auf ihrem Hof eine der grösseren BeeFarmer-Anlagen installieren wollen, im Frühling gesunde und fachmännisch überwinterte Mauerbienen-Kokons, die in die Bienenhäuschen eingesetzt werden. Bald schlüpfen die Bienen aus. Sie bilden keinen Staat; jedes Mauerbienenweibchen kümmert sich um seinen eigenen Nachwuchs und legt Pollen und Nektar, die dem Nachwuchs als Nahrung dienen, in den Niströhrchen ab. Im Sommer stirbt das Weibchen, und die Jungen verpuppen sich und fallen in ihrem Kokon in eine Art Winterschlaf. Dann ist es Zeit, uns die Niströhrchen zurückzuschicken. Wir öffnen sie und reinigen die Kokons, die eine lederartige, wasserdichte Aussenhülle haben, mit Wasser von Parasiten. Im darauf folgenden Frühling erhält man frische Niströhrchen, eine neue Startpopulation von ca. 15 gesunden Mauerbienenkokons, die das ganze Prozedere ungerührt verschlafen haben.

 

Wie früh im Frühling ist das der Fall?

Das kommt auf die äusseren Bedingungen an. Dieses Jahr war es schon Ende Februar warm genug, doch normalerweise verschicken wir unsere Bienen von zirka Ende März bis im Mai.

 

Und wie weiss die stolze Bienenhäuschen-Besitzerin, dass sie die Röhrchen zurückschicken muss?

Wir geben die Zeitspanne jeweils über unseren Newsletter und unsere Homepage bekannt; normalerweise kommen die Röhrchen im September und Oktober retour.

 

Was passiert, wenn jemand den Termin verpasst?

Dann behalten die Leute die Bienen halt; falls es Parasiten hat, dürften sie die Mauerbienen zwar etwas dezimieren, aber der Rest schlüpft dann ganz natürlich im folgenden Jahr.

 

Wie viele Bienen ‹produziert› man eigentlich im Laufe einer Saison, wenn man sich ein BeeHome zutut und alles so funktioniert, wie es sollte?

Je nach Standort und Jahr können durchschnittlich etwa 45, manchenorts aber 300 bis 400 Wildbienen in einem unserer Wildbienen-Häuschen heranwachsen. Wer es genau wissen will, kann, nachdem er uns das Häuschen zurückgeschickt hat, die Zahl ‹seiner› Bienen in unserer Bienenstatistik nachschlagen und sie mit der Region oder Bekannten vergleichen.

 

Lediglich Bienen beziehen kann man bei Ihnen nur zusammen mit einem BeeHome – man braucht dessen Code für die Bestellung: Was haben Sie dagegen, dass man Ihren Bienen ein selbstgebasteltes oder anderswo gekauftes Häuschen zur Verfügung stellt?

Wir haben uns für dieses System entschieden, weil wir nicht einfach ein Produkt verkaufen möchten: Wir möchten Privatpersonen als BienenpatInnen gewinnen. Wer Bienenpatin wird, hilft mit, die Bestäubung in ihrer Umgebung zu erhöhen und so die Ökosysteme in der Schweiz zu erhalten. Ein Bienenpate entscheidet sich also nicht nur dafür, sich die pflegeleichtesten Haustiere zuzulegen, die es gibt, sondern er bewegt sich auch in einem grösseren Kreislauf, der gewissermassen die Apfelkonsumentin in der Stadt mit dem Obstbauern im Kanton Thurgau zusammenbringt.

 

Bienen als pflegeleichtes Haustier – wie ist das genau zu verstehen?

Unsere Mauerbienen sind sehr genügsam; sie laben sich an vielen Pflanzen gern, aktuell zum Beispiel am Spitzahorn oder an den Zierkirschen. Sie bewegen sich in einem Radius von rund 300 Metern und finden damit auch in der Stadt genügend Futter – je nachdem sogar mehr als auf dem Land: Eine grosse Wiese gibt für sie unter Umständen weniger her als eine städtische Landschaft mit Bäumen, Sträuchern, Balkonkistchen und Schrebergärten. Wildbienen sind zudem ein friedliches Haustier, fast so knuddlig wie Bärchen, nur mit Flügeln… Sie stechen nicht, und man kann ihr Häuschen ebenso gut auf kleinen wie auf grossen und auf rege genutzten Balkonen aufstellen: Sie machen sich weder an süssen Getränken oder Kuchen noch an sonstigen Lebensmitteln zu schaffen.

 

Gerade knuddeln können die Kinder sie aber kaum…

Trotzdem finden es viele Familien toll, ihre eigenen Wildbienen zu halten, und die Kinder bekommen einen speziellen Zugang zu Insekten: Wildbienen sind für sie nicht mehr nur etwas, das rumkrabbelt und vor dem man sich ekelt, sondern ein Insekt, ohne das unsere Welt ganz anders aussähe.

 

Warum stechen Wildbienen eigentlich nicht?

Sie haben zwar einen Stachel, doch sie leben wie gesagt je für sich, haben keinen Staat und somit auch keinen Grund, diesen zu verteidigen. Sie stechen deshalb höchstens dann, wenn man sie in die Hand nimmt, und der Stich tut kaum weh: Es fühlt sich etwa so an, wie wenn man Brennnesseln anfasst, und nachher juckt es ein bisschen, aber nicht mehr als ein Mückenstich.

 

Wie sieht es bezüglich allergischer Reaktionen aus?

Darüber ist uns nichts bekannt, obwohl wir in den letzten drei Jahren genügend Bienen ausgeliefert haben, dass weit über 1000 Menschen in ihre Nähe gekommen sind. Wir haben sogar von einer Frau gehört, die auf den Stich der Honigbiene allergisch reagiert und von einer unserer Bienen gestochen wurde – auch sie hat vom Stich praktisch nichts gespürt und keinerlei allergische Reaktion festgestellt.

 

Aus Ihrer Idee der Wildbienen-Patenschaften entstand innert dreier Jahre das KMU Wildbiene + Partner mit acht Angestellten: Wie haben Sie das geschafft?

Ich habe allein angefangen, als ich noch eine Anstellung als Assistent an der ETH Zürich hatte. Dann stiess Thomas Strobl dazu, und gemeinsam gewannen wir 2013 den HUB Fellowship for a Green Economy, einen mit 34 000 Franken dotierten Preis für innovative Startups im Nachhaltigkeitsbereich, den das Startup-Zentrum Impact HUB Zürich zusammen mit dem WWF Schweiz ausrichtet. Mit dieser Anschubfinanzierung und einem Beitrag in derselben Grössenordnung von der Hans E. Moppert-Stiftung für nachhaltige Entwicklung legten wir sodann richtig los.

 

Sehr lange konnten Sie davon aber kaum leben.

Den Rest finanzierten wir selbst, über den Verkauf der BeeHomes. Diese werden übrigens in einer sozialen Werkstätte in Jona produziert und montiert.

 

Das reicht?

Wir beliefern ja nicht nur Privatpersonen, sondern auch Bauern. Für eine Kirsch- oder Apfelbaumplantage von einigen Hektaren Grösse braucht es ziemlich viele Bienen…

 

Woher wissen Sie, wieviele genau?

Das ist abhängig von der Anzahl Bäume, von den zu bestäubenden Arten, davon, ob es sich um Hoch- oder Niederstämmer handelt, und von einigem mehr. Aufgrund dieser Daten und unserer Erfahrung schätzen wir ab, wieviele Bienen ein Bauer braucht.

 

Und die BäuerInnen sind übers Internet auf Wildbiene + Partner gestossen?

Wir pflegen einen guten Kontakt zum Obstbauvorsteher für die Ostschweiz, der in St. Gallen wirkt und ein offenes Ohr für innovative Projekte hat. Er hat uns Kontakte zu BäuerInnen vermittelt. Diejenigen, die sich zum Mitmachen entschieden, blieben allesamt dabei und empfahlen uns weiter. Unterdessen läuft unser Geschäft gut, aber keine Angst: Es sind noch nicht alle Bienenhäuschen ausverkauft…

 

Ihre Idee ernährt Sie und Ihre MitarbeiterInnen demnach noch für Jahrzehnte?

Das will ich hoffen. Mir schwebt aber auch vor, künftig nicht mehr nur die Mauerbienen, sondern auch andere Wildbienenarten zu fördern. Deshalb verfolgen wir zurzeit ein Projekt im Siedlungsraum, das Projekt ‹swiss bee’o’diversity›, das mit vielen verschiedenen einheimischen Pflanzen, mit Nisthabitaten, Verstecken und warmem Mikroklima ideale Bedingungen für Wildbienen bieten soll. Wir haben das Projekt zusammen mit der Universität Bern und der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL Bern lanciert. Bereits betreiben wir drei Bienenparadiese, und dieses Jahr folgen drei weitere, eines im Zürcher Letten und zwei im Aargau, genauer in Kölliken und in Baden.

 

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Weitere Infos: www.wildbieneundpartner.ch

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.