Besondere Situation verlangt besonderen Einsatz

 

Die Stadt Zürich soll 1000 Flüchtlinge mehr aufnehmen, als sie gemäss Verteilschlüssel des Bundes aufnehmen muss: Dafür sprach sich die Mehrheit des Zürcher Gemeinderats aus.

 

Die Stimmung ist gekippt, auch im Zürcher Gemeinderat: Nicht einmal die SVP poltert mehr ohne Rücksicht auf Verluste gegen das angebliche Asylchaos, sondern gibt ihre unverändert ablehnende Haltung in moderater Tonlage bekannt. Anlass für die Debatte vom Mittwochabend im Zürcher Parlament war ein Postulat von Alan David Sangines und Rebekka Wyler (beide SP), das die «zusätzliche Aufnahme von 300 Flüchtlingen zum ordentlichen Kontingent» forderte. Seit die Stadt auf dem Juch-Areal den Testbetrieb für die künftigen Verfahrenszentren des Bundes führt, werden die dort lebenden 300 Asylsuchenden ihrem Kontingent angerechnet. 300 Menschen mehr aufzunehmen, sei demnach eine moderate Forderung, sagte Sangines, doch der Gemeinderat könne damit ein Zeichen setzen, dass in besonderen Situationen ein besonderer Einsatz nötig sei. Samuel Balsiger (SVP) zeigte sich hingegen überzeugt, dass man «jeden Illegalen sofort zurückschicken muss, nur dann hört der Ansturm auf».

Karin Weyermann (CVP) betonte zwar, Flüchtlingspolitik sei Sache des Bundes, doch sie erinnerte auch an die humanitäre Tradition der Schweiz. Und weil 300 zusätzliche Flüchtlinge «bloss ein Tropfen auf den heissen Stein» bedeute, stellte sie den Änderungsantrag, statt 300 gleich 1000 zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen und dafür die im Postulat verlangte Aufnahme in «ausserordentlichen Situationen» durch eine «auf zwei Jahre befristete» Aufnahme zu ersetzen. Denn auf unbefristete Zeit übers Kontingent hinaus Flüchtlinge aufzunehmen, das wäre dann doch nicht im Sinne der CVP. Marcel Bührig (Grüne) sah im Vorstoss einen «wichtigen Schritt», der zeige, dass die Stadt sich ihrer «globalen Verantwortung» bewusst sei und ihren Teil beitrage.

Marco Denoth (SP) dankte der CVP mit leicht ironischem Unterton dafür, «dass ihr auf den Zug aufspringt» – eine Einschätzung, die weitere RednerInnen teilten. Am gesitteten Umgangston dieser Debatte änderte sich deswegen jedoch nichts. Markus Baumann (GLP) sprach davon, man spiele zwar «ein bisschen Nationalrat» – der befasste sich gleichzeitig mit demselben Thema – und «ein bisschen Wahlkampf», aber das ändere nichts daran, dass Zürich nicht tatenlos zuschauen könne. Gefragt sei die «unbürokratische und solidarische Aufnahme von Schutzbedürftigen». Michael Baumer (FDP) erklärte, die Stadt Zürich «kann und soll innerhalb des geltenden Systems eine Vorbildfunktion haben» – doch das sei bereits der Fall. «Nur um sich besser zu fühlen», stimme die FDP einem Postulat nicht zu, das «nicht umsetzbar» sei. Gegen die Stimmen von SVP und FDP und unter Namensaufruf überwies der Rat das Posutlat mit 80:39 Stimmen.

 

Von Vaterschaftsurlaub bis Polizeieinsatz

Eine Motion von Min Li Marti und Jean-Daniel Strub (beide SP) verlangte eine Neuregelung des Anspruchs auf einen bezahlten Vaterschaftsurlaub sowie die Einführung eines unbezahlten Elternurlaubs. Der Stadtrat wollte den Vorstoss bloss als Postulat entgegennehmen, da er «nicht motionable» Teile enthalte, wie Finanzvorstand Daniel Leupi ausführte. Min Li Marti begründete den Vorstoss unter anderem mit dem Verweis darauf, beide Elternteile müssten sich im Sinne der Gleichstellung an der Betreuungsarbeit beteiligen können. Noch komme es zu oft vor, dass die Mütter zuhause blieben und das Gros der Betreuungsarbeit leisteten, und zwar nicht, weil das Paar sich dafür entschieden habe, sondern weil die Umstände nichts anderes zuliessen. Ausser bei FDP und SVP stiessen die MotionärInnen auf offene Ohren, und mit 78:40 Stimmen überwies der Rat den Vorstoss als Postulat. Zuhanden der Redaktionskommission verabschiedete er mit 73:48 Stimmen auch noch eine Verordnung über freiwillige Leistungen bei Unfall im Dienst oder asbestbedingter Berufskrankheit, die auf eine vor vier Jahren eingereichte dringliche Motion von Esther Straub und Kathrin Wüthrich zurückgeht (beide gehörten der SP-Fraktion an, sind aber unterdessen nicht mehr im Rat).

In einer persönlichen Erklärung nahm Polizeivorsteher Richard Wolff (AL) Stellung zum Polizeieinsatz an der Kundgebung auf dem Helvetiaplatz vom letzten Samstag, zu dem insbesondere ein Video zu reden gegeben hatte: Es zeigte den Einsatz von Pfefferspray aus nächster Nähe gegen eine mit erhobenen Armen dastehende Frau. Richard Wolff sagte, die Bilder von diesem Einsatz machten ihn «betroffen», und er versprach, der Sache «fundiert» auf den Grund zu gehen. Weiter gab er bekannt, eine interne Untersuchung angeordnet zu haben. Er warnte aber auch vor «Vorverurteilungen». Schliesslich teilte Richard Wolff noch mit, dass die Staatsanwaltschaft in dieser Sache «von sich aus tätig geworden» sei; sie habe jedoch kein Verfahren eröffnet.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.