«Bei der Gen Z werden Klischees bedient»

Will die Generation Z weniger arbeiten als ältere Menschen? Nein, sagt die Digitalisierungsexpertin Sarah Genner. Im Gespräch mit Isabel Brun räumt sie mit Mythen rund um das Phänomen «New Work» auf.

Zur Vorbereitung auf dieses Gespräch habe ich eine Dokumentation über ein Start-up geschaut, das weder fixe Arbeitszeiten noch ein Büro hat. Dabei fiel auch der Begriff «New Work». Was versteht man darunter genau?

Sarah Genner: Den Film habe ich auch gesehen. Leider wird darin eine sehr verkürzte Vorstellung davon gezeigt, was «New Work» sein soll, weil der Fokus nur auf Remote Work und Work­ations liegt. Bei New Work geht es jedoch nicht nur darum, dass man zeitlich und örtlich flexibler arbeiten kann, sondern auch um viele andere Faktoren im Kontext der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt.

Die da wären?

Zum einen eröffnet uns die digitale Transformation neue Möglichkeiten, beispielsweise dadurch, dass wir über Organisationen hinweg und international vernetzter sind, dass wir mehr Daten zur Verfügung haben und Arbeitsschritte automatisieren können. Unternehmen und Verwaltungen bauen auch ihre Räumlichkeiten um, weil viele nicht mehr täglich am Arbeitsort erscheinen. Zum anderen stellt sich mit dem zunehmenden Wohlstand einer Gesellschaft auch die Sinnfrage. Viele Menschen wollen etwas arbeiten, das ihnen Freude bereitet und bei dem sie sich verwirklichen können. Sie suchen ihre Berufung.

Das ist ja eigentlich nichts Neues. 

Das stimmt. Unsere Arbeitswelt entwickelt sich ständig weiter – man denke an die Industrialisierung, den langwierigen Kampf für den 8-Stunden-Tag, an die ersten Computer. Und auch der Begriff «New Work» an sich ist nicht neu: Bereits in den 1970er-Jahren begründete der Philosoph Frith­jof Bergmann eine gleichnamige Bewegung, in der Arbeitnehmende selbstbestimmter und autonomer sein sollten. Bergmanns Leitsatz: «Arbeit, die du wirklich, wirklich willst.» Dass aktuell wieder mehr über neue Arbeitswelten diskutiert wird, hat drei Gründe: Erstens ist mit dem Internet mobil-flexibles Arbeiten für viele möglich geworden, zweitens wirkte die Pandemie wie ein Katalysator und drittens haben wir einen massiven Arbeitskräftemangel.

Dass Firmen um Fachkräfte buhlen müssen, hat also auch Vorteile?

Die Nachfrage nach guten Arbeitskräften ist riesig. Das zwingt viele Unternehmen, ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen. Sind die Bedingungen bei der Konkurrenz besser, sind Abgänge die Folge. Bei New Work geht es nach meiner Auffassung im Kern um die Frage, wie eine Organisation Talente anziehen und halten kann – mitten im digitalen Wandel. 

Betrifft das nicht nur die Elite? Es gibt auch hierzulande viele Menschen, die sich die Frage nach dem tieferen Sinn in ihrer Arbeit nicht stellen können, weil sie einfach Geld verdienen müssen.

Das ist ein wichtiger Punkt: Natürlich ist es bereits ein Privileg, sich zum Thema Arbeit Sinnfragen stellen zu können. Aber New Work funktioniert grundsätzlich in allen Branchen – weil es eben keine fixen Vorstellungen davon gibt, wie dieses «neue Arbeiten» aussehen muss. Viel hat ohnehin mit guter Führung und einer wertschätzenden Organisationskultur zu tun. Auch mehr Technologie im Arbeitsprozess ist für die einen Betriebe hilfreich, für die anderen weniger. Daher ist New Work idealerweise auf die jeweilige Organisation abgestimmt.

Funktioniert das auch in traditionellen Betrieben wie einer Bäckerei?

Ja, da gibt es ein gutes Beispiel: Ein Betrieb hat es geschafft, eine Lösung dafür zu finden, dass seine Angestellten nicht mehr mitten in der Nacht Brötchen backen müssen. Diese liegt in einem Ofen, der getimt werden kann. Hier hat also Technologie zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen geführt. In anderen Branchen hingegen birgt diese Entwicklung eher Risiken. 

Neu ist also nicht immer besser?

Nein, überhaupt nicht. Gerade bei der Einführung von technischen Systemen ist weniger manchmal mehr. In der Pflege zum Beispiel führt die zunehmende Digitalisierung eher dazu, dass Arbeitnehmer:innen die Branche wechseln, weil angeblich digitale Systeme im Gesundheitssystem mehr Kostentransparenz schaffen. Statt mit Menschen müssen sich Pflegefachpersonen zunehmend mit Maschinen beschäftigen – was nicht mehr dem Tätigkeitsfeld entspricht, das ihnen zusagt. Deshalb stellt sich mir die Frage: Wie könnte man die Arbeitsbedingungen in der Pflege attraktiver machen mit, dank und trotz neuen Technologien? Die Zufriedenheit von Mitarbeitender:innen war und ist zentral – und in der Pflege sogar systemrelevant.

Ist es nicht zu kompliziert, auf die Wünsche der Angestellten Rücksicht zu nehmen? Schliesslich wollen ja nicht alle dasselbe. 

Firmen und Organisationen tun gut daran, sich an den Bedürfnissen von Mitarbeiter:innen und potenziellen Angestellten zu orientieren. Zumindest, solange der Fachkräftemangel anhält und Arbeitnehmer:innen ohnehin am längeren Hebel sind. Aber auch langfristig lohnt es sich, in motivierte Mitarbeiter:innen zu investieren. Es ist kein Geheimnis: Wer motiviert ist, arbeitet besser und die Kundschaft ist ebenfalls zufriedener.

In Ihrer Arbeit als Dozentin bilden Sie auch zukünftige Arbeitgeber:innen aus. Was raten Sie ihnen diesbezüglich?

Zukunftsfähige Arbeitsmodelle sind möglichst auf die entsprechende Belegschaft und Branche ausgerichtet. Man muss eine gute Balance finden zwischen den Wünschen von Mitarbeiter:innen, mobil und flexibel zu arbeiten, und gleichzeitig den Teamzusammenhalt im Auge behalten. Je nach Branche und Tätigkeit kann das bedeuten, dass man Homeoffice und Workation oder eine 4-Tage-Woche anbietet. 

Das hört sich in der Theorie gut an, aber ist das auch umsetzbar für ein grosses Unternehmen?

Für Führungspersonen sind solche flexi­blen Modelle herausfordernd. Es ist schwieriger, die Identifikation der Mitarbeiter:innen mit dem Unternehmen aufrechtzuerhalten und ein Team zusammenzuhalten, wenn nie alle gleichzeitig vor Ort sind. Auch Sitzungen fühlen sich online anders an, als wenn man sich persönlich gegenübertritt. 

Das mussten wir während der Corona-Pandemie schmerzlich erfahren.

Die Pandemie war neben der Digitalisierung und dem Fachkräftemangel ein wichtiger Treiber der New-Work-Bewegung. Ich verwende das Wort nicht oft, aber hier passt der Ausdruck Zäsur: Was vorher undenkbar war, wurde plötzlich Alltag. Umso spannender zu beobachten ist die Entwicklung, dass nach der Pandemie viele davon schwärmten, von zu Hause aus arbeiten zu können und der Trend mittlerweile wieder rückläufig ist. Viele Menschen schätzen eben doch die persönlichen Begegnungen und eine klare Trennung von Arbeit und Freizeit. 

Während viele wieder zurück ins Office wollen, wächst der Trend hin zu flachen Hierarchien. Anfang Jahr gab das Versicherungsunternehmen Axa bekannt, dass es die Cheftitel abschaffen will.

In den Medien werden flache Hierarchien immer wieder als gängiges Merkmal von «Arbeit 4.0» oder New Work genannt. Doch meine Erfahrung zeigt, dass es keine Organisation ohne Machtstrukturen gibt. Auch in Firmen mit flachen Hierarchien gibt es informelle und charismatische Macht. Zudem wünschen sich viele Arbeitnehmer:innen klare Verantwortlichkeiten, wie man sie in klassischen Organigrammen findet, und können sich einen Joballtag ohne Vorgesetzte nicht vorstellen. Andere arbeiten in der Regel bereits in Branchen, in denen lose Strukturen durchaus sinnvoll sind – und vielleicht sogar bereits gelebt werden.

Weshalb ist das so?

Weil es in erster Linie darum geht, welche Persönlichkeit man hat. Im Journalismus findet man zum Beispiel oft Menschen, die gerne selbstständig arbeiten, Dinge hinterfragen und kreativ sind. Als Lokführer:in hingegen stehen ganz andere Eigenschaften im Vordergrund. Dort ist das Einhalten von Sicherheitsvorschriften oberstes Gebot. Setzt man eine Medienschaffende hinter ein Steuer eines Zuges, wird es ihr wahrscheinlich in wenigen Wochen langweilig und es passieren Flüchtigkeitsfehler. Was in einem solchen Fall verheerend wäre. So sind in der Medienbranche, in Anwaltskanzleien und kleinen Beratungsfirmen die Hierarchien schon lange flach, während sie in sicherheitsrelevanten Kontexten wie im Flugverkehr und im Operationssaal naturgemäss zentral sind, weil dort schon ein Hauch von Verantwortungsdiffusion gefährlich sein kann.

Ist es nicht auch eine Generationenfrage: Unter 20-Jährige wollen lieber weniger arbeiten, suchen sich Unternehmen mit flachen Hierarchien, während Menschen über 40 klare Verantwortungsbereiche und Karriere anstreben?

Das ist ein weiterer Mythos, der sich um das Phänomen New Work rankt. Bei der Generation Z werden einmal mehr jegliche Klischees bedient, die zuvor auch bei früheren Generationen genannt wurden. In jeder Generation finden sich Milieus, die im Arbeitskontext eher Sinn suchen, oder ganz im Gegenteil: Geld und Status. Es hängt mehr von der Persönlichkeit ab als vom Alter. 

Es wird also auch in Zukunft Menschen geben, die Karriere machen wollen.

Klar. Unsere Gesellschaft ist divers, man kann nicht eine ganze Generation über einen Kamm scheren. Es ist vielmehr von anderen Merkmalen abhängig, in welchem Arbeitsmodell ich mich wohlfühle: Welche Werte mir wichtig sind, was für ein Typ Mensch ich bin oder wie ich sozialisiert wurde.

Gehen wir mal vom idealen Szenario aus: Ich habe meine Berufung gefunden und fühle mich in meinem Arbeitsumfeld wohl. Wäre es dann nicht denkbar, dass ich über das jetzige Pensionsalter von 65 Jahren hinaus arbeite – und entsprechend auch in die AHV einzahle?

Ich finde die Diskussion darüber, dass man in Zukunft länger arbeiten kann, grundsätzlich nicht falsch. Geht es uns während unseres Arbeitslebens gut und üben wir unseren Job gerne aus, kann das auch bereichernd sein, wenn man nicht gezwungen wird, aufzuhören. Anstatt das Rentenalter pauschal zu erhöhen, ist Flexibilisierung angesagt. So können jene, die ihre Berufung gefunden haben, länger arbeiten und Menschen, die zum Beispiel mit gesundheitlichen Problemen kämpfen, früher aufhören.

 

Drei Veranstaltungen zum Thema

Das Online-Magazin Tsüri.ch widmet dem Thema «Arbeiten & Lebenslanges Lernen» drei Veranstaltungen. Die Pitch-Night unter dem Titel «Wie sieht die Arbeitswelt der Zukunft aus?» findet am Montag, 26. Februar um 19 Uhr (Türöffnung um 18.30 Uhr) im Kraftwerk Selnau statt. Vollständiges Programm siehe tsri.ch

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