Zwischen Demokratie und jüdischem Staat

Der Konflikt zwischen Israel und Palästina dauert nun schon mehr als siebzig Jahre an. Die Möglichkeit einer Zwei-Staaten-Lösung scheint in weite Ferne gerückt. Im Gespräch mit P.S. erklärt Alon Liel, ehemaliger Generaldirektor des israelischen Aussenministeriums, warum er immer noch an dieser Lösung festhält.

 

Milad Al-Rafu

 

Das Jahr 1948 gilt als Wendepunkt in der Geschichte des Nahen Ostens: Für die jüdische Bevölkerung zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer – sowie für alle Juden, die später ins heilige Land zurückkehren sollen – wird in diesem Jahr die grosse Sehnsucht erfüllt: Ben Gurion, späterer Premierminister, erklärt die Unabhängigkeit Israels als erster jüdischer Staat. Für die Palästinenser soll dieses Jahr jedoch der Beginn einer Leidenszeit bedeuten, die bis heute anhält. Die Ereignisse rund um das Jahr 1948, insbesondere die Flucht und Vertreibung von 700 000 PalästinenserInnen, umschreibt man in der palästinensischen Gemeinschaft dann auch nur mit einem Wort: «Nakba», zu Deutsch Katastrophe oder Unglück.
Geboren in diesem geschichtsträchtigen Jahr in Tel Aviv ist Alon Liel, ehemaliger Generaldirektor des israelischen Aussenministeriums und Botschafter in Südafrika während der Amtszeit Mandelas. Liel ist ein Vertreter des Friedenslagers in Israel. Seit Jahren macht er sich für die Zwei-Staaten-Lösung stark. Er hat sich in den letzten Jahren insbesondere dafür eingesetzt, dass europäische Staaten Palästina anerkennen. P.S. hat sich letzte Woche auf ein Gespräch mit ihm in Zürich getroffen.

 

Demokratisches Israel
«Wenn Israel ein demokratischer Staat bleiben will, ist die Zwei-Staaten-Lösung die einzige Option», beginnt Liel das Gespräch. Hierbei spiele die Demographie eine wichtige Rolle: Denn in einem binationalen Staat – bestehend aus Israel, Gaza und dem Westjordanland – gäbe es aufgrund der jetzigen Bevölkerungsverhältnisse fast gleichviele Palästinenser wie Israelis. «Den Palästinensern würde in einem binationalen Staat das Wahlrecht jedoch nicht zugestanden – denn zu gross wäre die Wahrscheinlichkeit, dass ein Palästinenser etwa zum Premierminister gewählt werden könnte.» Ein solches Szenario wäre gemäss Liel für grosse Teile der Bevölkerung inakzeptabel, da Israel in diesem Falle kein jüdischer Staat mehr wäre. Umgekehrt sei es jedoch höchst problematisch, rund die Hälfte der Bevölkerung von den demokratischen Prozessen auszuschliessen: «Für mich ist es sehr wichtig, dass Israel jüdisch und demokratisch ist. Ich will nicht in einem Land leben, das zwischen 60 Prozent Staatsbürgern und 40 Prozent Einwohnern, ohne bürgerliche Rechte, unterscheidet», hält Liel fest. Auf die Frage, ob der israelische Staat bereits jetzt schon undemokratische Elemente aufweise, sagt Liel: «Die Situation im Westjordanland ist undemokratisch: 2,5 Mio. Palästinenser werden von 400 000 jüdischen Siedlern kontrolliert – das Ganze unterstützt durch die israelische Führung.»

 

Als grösste Hürde für eine Zwei-Staaten-Lösung sieht Liel die Verteilung des Territoriums im Westjordanland: «Sogar, wenn sich die beiden Parteien auf eine Grenze einigen sollten, verbleiben immer noch die Siedlungen im Westjordanland, die nicht einfach entfernt werden können». Man könne die Siedlungen zwar in Palästina lassen, es sei jedoch unwahrscheinlich, dass sich die Siedler dem palästinensischen Recht unterordnen würden. «Zudem ist nicht nur die physische Präsenz der Siedlungen im Westjordanland ein Problem. Sondern auch deren politischer Einfluss: In der letzten Regierung waren mehrere Mitglieder des Kabinetts Siedler.»
Zumindest unter Premierminister Benjamin Netanyahu geht es gemäss Liel jedoch Richtung binationaler Staat. Ein Indikator hierfür sieht er im Nationalstaatsgesetz, das letzten Sommer verabschiedet wurde: Dieses Gesetz sieht eine Unterscheidung zwischen jüdischen und arabischen Israelis vor, indem etwa festgehalten wird, dass Arabisch nicht mehr als zweite Amtssprache neben Hebräisch gilt. «Den nicht-jüdischen Israelis wird dadurch das Gefühl gegeben Bürger zweiter Klasse zu sein. Ausserdem wird den Palästinensern signalisiert, dass ihnen bei Entstehung eines binationalen Staates nicht die gleichen Rechte wie den Israelis zustehen werden», konstatiert Liel.

 

Versöhnung
Darauf angesprochen, ob er den Wunsch der Palästinenser nach einer Entschuldigung und Kompensation nachvollziehen könne, erklärt Liel, dass er Verständnis dafür habe: «Wir sind jedoch noch nicht an diesem Punkt. Zuallererst ist ein Waffenstillstand notwendig.» Ausserdem braucht es gemäss Liel auf beiden Seiten Führungspersönlichkeiten, die einen solchen Prozess einleiten können. Diese würden zurzeit fehlen. Erst in einem zweiten Schritt könne man Richtung Versöhnung gehen und über Kompensationen sprechen: «Vom Beispiel Südafrikas kann man viel lernen: Die Entlassung Mandelas aus dem Gefängnis galt als Waffenstillstand. Über Versöhnung hat man jedoch erst vier Jahre später reden können, als er zum Präsidenten gewählt wurde», so Liel.

 

Mandela selbst habe Ende der 90er-Jahre angeboten, zwischen den Palästinensern und den Israelis zu vermitteln: «Der damalige Ministerpräsident Ehud Barak lud Mandela und mich zu einem Gespräch unter sechs Augen ein. Den Vorschlag Mandelas zu vermitteln, lehnte er jedoch ab, da Mandela in der israelischen Öffentlichkeit als enger Freund Arafats galt», erzählte Liel. Seiner Meinung nach hat es sich hierbei jedoch um einen Fehler gehandelt. «Mandela hatte ein Mega-Charisma, mit dem er viel bewirken konnte. Barak war sich dem nicht bewusst», erklärt Liel lachend. Eine Gemeinsamkeit zwischen dieser Episode und der heutigen Situation gebe es jedoch: «Auch Donald Trump wird als Mediator scheitern, da er als voreingenommen gilt. Anders als im Fall von Mandela fühlt sich nun die palästinensische Seite nicht angemessen vertreten – dies zurecht.» Seine Voreingenommenheit habe Trump unter anderem durch die Versetzung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem bewiesen.

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