Wie kommts?

Der Titel zur aktuellen Ausstellung von Céline Gaillard und Simone Kobler im Kunst(Zeug)haus Rapperswil/Jona ist mit «Familiensache» klug zweischneidig gewählt. Die hier präsentierten Aspekte von Familie sind besitzergreifend und ausschliessend, aber entsprechen kaum je einer ersehnten Zufriedenheit.

 

Die sogenannte Idealvorstellung hält sich hartnäckig: Vater, Mutter, Kind, Kind, Hund. Zuerst steht siebenfach derselbe Baukasten Familie aus der Serie «Vorgefertigt» von Max Grüter als industriegrün bemalter Plastikguss. Die zentrale Halterung ist weniger innige Verbindung als vielmehr zwanghafte Zusammengehörigkeit. Und sie hält alle Figuren starr an ihrer jeweiligen Stelle. Ohne Kind bleiben zwei ein Paar, was offenbar mit einem Mangel behaftet ist, wie die intimen Fotos «Unfreiwillige Kinderlosigkeit» von Yvonne Griss suggerieren. Die Sehnsucht blitzt nicht etwa aus den Blicken, sondern wird auf die Omnipräsenz eines Teddybären ausgelagert. Die Nähe zwischen (hier) zwei Personen ist anscheinend nicht genug. Der Druck, der hier sinnlich thematisiert wird, übersteigert die Skulptur «Kinderzimmer» von Ueli Berger bis hin zu einer Last. Jedes Zimmer eines schematischen Hauses wird von den andersfarbigen – fröhlichen? – Wänden eines Zimmers durchquert. Kniend wird erkennbar, dass letztlich das gesamte Gebäude von dieser ergänzenden Konstruktion getragen wird, respektive im Umke hrschluss alles Gewicht und Erwartung daran delegiert wird. Ein Perspektivenwechsel in Richtung gegenseitiger Ergänzung benötigt bereits eine Abstraktion. Allein in Beat Zoderers «Absenz» kann so etwas interpretiert werden. Zwölf andersfarbige Kartons mit verschieden gestanzten Auslassungen hängen wie ein Wandkalender an einer Spiralhaltung und ergeben in der Summe trotz der Fehlstellen ein Ganzes.

 

Sehenden Auges reinrasseln

Judith Peters kritzelt seit 2015 täglich ein Stimmungsbild wie ein Tagebuch, das die zeitliche Überbelastung in einen starken Kontrast zum Drang eines künstlerischen Ausdrucks stellt. Müssen und wollen treten in einen sich gegenseitig so weit ausschliessenden Bewerb, dass beide nicht gänzlich befriedigten Regungen eine latente Unzufriedenheit herbeiführen. Noch krasser sind die Zeichnungen von Sabian Baumann, die eine regelrechte Gefangenschaft respektive das auspressende Element von Zweierzuneigung (und Fortpflanzung) darstellen. Nicht geschlechtertypisch, sondern umfassend alle betreffend. Pat Treyer hingegen stellt in ihren expressiv aufgetragenen Malschichten die Frau allein als Lastenträgerin ins Zen­trum ihrer Auseinandersetzung. Sie muss sie nicht vielarmig darstellen, um unmissverständlich gelesen werden zu können. Die übliche einander ausschliessende Gegenüberstellung von Heiliger und Hure erfährt keinerlei Erwähnung. Dafür ist weder Zeit noch Energie. Das einzig Körperliche überhaupt ist in einem Bild die Menstruation, die aber sofort die Form von Ringelsocken annimmt, also allein in etwas adrett Funktionales abgewandelt überhaupt Thema sein darf. Profan und darin mitleiderregend sind die zu Plättli gegossenen Fotografien von Speiseresten in der Serie «Abflusssieb» von Luc Isenschmid und Piera Buchli. Das klarste und dezidierteste Aufbegehren zeigt der Kurzfilm «Dead bodies of the youth» von Vandana the artist: Eine prunkvoll gekleidete junge Inderin zerhackt die Rosendekoration auf dem Hochzeitsbett.

 

Generationensprung

Eingerahmt wird die Ausstellung von Serien der beiden berühmten Fotografinnen Annelies Strba und Barbara Davatz, die in ihren diversen Serien eine Nuance von Zärtlichkeit im Blick auf enge Bindungen ermöglichen. Sobald jedoch eine Generation übersprungen wird und das Thema Enkel-Gross­eltern heisst, verkehrt sich die Tonalität kolossal. Das Liebliche übernimmt das Zepter. Ob im Erinnern von Mats Staubs «20 EnkelInnen im Sessel meiner Grossmutter, die ich nie gekannt habe», oder im Bemühen da­rum von Nina Haabs (leider kaum verständlich eingestellter) Hörinstallation «Alzheimer No 2». Das beiderseitig bewusste Unterlassen von direkter Reibung erhöht offensichtlich die Bereitschaft, sich selbst zurückzunehmen und alles auf die Karte aufrichtig empathisches Interesse zu setzen. Die Ausstellung «Familiensache» stellt die Hartnäckigkeit dieser sogenannten Idealvorstellung Familie (als Konzept) massiv infrage. Die positive Konnotation muss das Publikum schon selber einbringen und gegenüber diesen Irritationen auch verteidigen. Die Frage, wies kommt, dass sich dieses Gesellschaftskonzept (ausser im ökonomischen Aspekt, der hier ausgelassen ist) mehrheitlich durchgesetzt hat, stellt sich vielfältig aber konfrontativ. Die Komfortzone ist anderswo.

«Familiensache», bis 23.10., Kunst(Zeug)Haus, Rapperswil/Jona.

 

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