Wie Kinder die Welt wahrnehmen

 

Am vergangenen Mittwoch hat die Erlebnisausstellung «Die Entdeckung der Welt» ihre Tore geöffnet. Die Halle 710 in Winterthur wird für zwei Monate Entdeckungs- und Lernort für Kinder und alle, die wissen wollen, wie Kinder erleben und lernen.

 

Thomas Loosli

 

Dank der Initiative des Vereins Stimme Q und dank nicht weniger als 37 anderen Organisationen wurde die Idee der Wanderausstellung «Die Entdeckung der Welt» im Jahr 2014 möglich. Die Erlebnisausstellung hat schon in Bellinzona, Liestal, Carouge, Lausanne und St. Gallen Halt gemacht und bisher 30 000 BesucherInnen angezogen. Das Ziel der Ausstellung ist es, die Vielfalt und Bedeutung der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung zu zeigen und zu erleben.

 

«In der Deutschschweiz herrscht ein traditionelles Familienbild vor»

Ausgangspunkt und Motivation für die Ausstellung waren laut des Präsidenten des Vereins Stimme Q, Heinz Altorfer, der Rückstand der Schweiz in Fragen der Bildung in der Früherziehung. «Auch heute noch herrscht in der Schweiz ein traditionelles Familienbild vor», meint Heinz Altorfer. Allgemein bekannt und zurzeit öffentlich laut diskutiert wird die Tatsache, dass Schweizer Väter noch immer keinen gesetzlichen Anspruch auf einen Vaterschaftsurlaub haben. Das Angebot an Betreuung von Kindern ausserhalb der Kernfamilie durch staatliche Krippen ist im internationalen Vergleich höchst mangelhaft. Dazu kommen noch die überdurchschnittlichen Kosten, die SchweizerInnen zahlen, wenn sie ihr Kind tagsüber in Krippen betreuen lassen. In Zürich sind die Kosten statistisch gesehen besonders hoch. Alle diese Fakten können an der Ausstellung auf Informationstafeln nachgelesen und geprüft werden. «Überhaupt wurde dem Thema frühe Bildung, Betreuung  und Erziehung in der Schweiz bis vor wenigen Jahren politisch kaum Beachtung geschenkt», erklärt Heinz Altorfer. Ausnahmen bildeten einzig das Tessin und die Westschweiz. Im Tessin beispielsweise gehen Kinder ab dem dritten Lebensjahr in den Kindergarten, eine Ganztagesbetreuung ab diesem Alter ist kostenlos. Immerhin hat der Nationalrat kürzlich den Bundesrat beauftragt, eine Strategie für die frühe Kindheit zu entwickeln.

 

Eintauchen in die Welt des Kindes

Die Ausstellung «Die Entdeckung der Welt» ist ein Rundgang entlang verschiedener Posten, die meist Holzkonstruktionen sind und sich in den Weiten der Halle 701 gut ausbreiten können. Auf und in den Holzblöcken finden sich Spielobjekte, Erinnerungsstücke, Telefonhörer und vieles mehr. Dabei soll die Neugier für Kinder und Erwachsene im Vordergrund stehen. Was passiert, wenn ich eine Kugel auf eine bestimmte Stelle platziere? Es erklingt nun die Stimme einer jungen im Tessin lebenden Kolumbierin, die aus ihrem Leben mit ihrem Kind erzählt. An einem anderen Posten steht das Spiel im Vordergrund. Kinder können eine Kugel von einem bestimmten Ort aus rollen lassen, dadurch werden allerhand Töne und Dinge ausgelöst. Ein bisschen erinnert diese Anlage an Tinguelys verspielte Maschinen. Zudem gibt es Holzhäuschen, die so gross sind, dass man sich in ihnen aufhalten kann. In einem der Ausstellungs-Holzquader ist ein Film zu sehen, in welchem es beispielsweise um das Lernverhalten von Kindern geht. Die Holzquader eignen sich für die Kinder auch, um in sie hineinzukriechen, Lichteffekte zu bestaunen oder Geräuschen zu lauschen.

 

Ein vielfältiges Programm – auch in der Stadt Zürich

«Irrtümlicherweise meinen Eltern heutzutage, dass mit Früherziehung des Kindes Ballett und Chinesisch ab drei Jahren gemeint ist, dabei geht es viel mehr darum, das wahre Potenzial von Kindern zu entfalten und ihnen eine Umgebung des Wohlwollens und Respekts zu bieten», meint Heinz Altorfer. Die Ausstellung in Winterthur soll den Eltern auch helfen, neue Ansichten über die Früherziehung zu bekommen und die Möglichkeit bieten, zu diskutieren und auszutauschen. Heute Freitag wird die Ausstellung mit einem Kick-off-Anlass für mehr Qualität in der Kinderbetreuung lanciert. Es ist der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Inputanlässen, die sich sowohl an Fachpersonen wie auch Interessierte aus Politik, Verwaltung und an die ganze Bevölkerung richten. Konzerte, Clowns, eine offene Spielgruppe, Referate, Workshops und Podiumsdiskussionen zeigen das Thema in seiner ganzen Breite. Heinz Altorfer und Carine Burkhardt Bossi von der Pädagogischen Hochschule Thurgau der regionalen Begleitgruppe hoffen, dass die «Entdeckung der Welt» einen neuen Dialog anregt und ein Umdenken in der Erziehung bewirkt.

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