Von A(ufbewahren) bis Z(wänge)

 

Seit zehn Jahren engagiert sich LessMess in der Öffentlichkeitsarbeit und der Beratung von Betroffenen, Angehörigen und Behörden. Dank der Schweizerischen Gesellschaft für Zwangsstörungen kommen die Messies am 5./6. Dezember zu ihrer Tagung.

 

Johannes von Arx

 

Messies, das sind doch diejenigen, bei welchen die leeren Bierflaschen zwischen Bergen an Müll am Boden herumrugeln und die halb gegessenen Sandwiches unter dem Sofa landen, wo sie zum Paradies der Mäuse mutieren? Nein. Das sind die Bilder aus vornehmlich deutschen Privatsendern, bei denen die Quote das Bild bestimmt. Gewiss, solche Zustände existieren, aber nicht in Messie-Wohnungen, sondern in denen von energielosen, meist psychisch schwer angeschlagenen Menschen. Hier spricht man vom Vermüllungssyndrom. Bei Messies dagegen sammeln sich nicht Abfall und Dreck an, sondern tausend Dinge, die sie mal brauchen könnten zum Basteln, für künstlerische Gebilde, Dinge auch, über die man in Zeiten der Not froh sein könnte.

Doch zunächst ein Rückblick: Seit den Achtzigerjahren verbreitete sich – aus den USA und Deutschland kommend – langsam das Wort Messie in der Öffentlichkeit. Heinz Lippuner, damals unter dem Dach der Offenen Tür Zürich (heute Selbsthilfecenter; s. Kasten), Psychoanalytiker und -therapeut, erkannte als Erster in der Schweiz die ganze Problematik und Dramatik von Betroffenen und Angehörigen. Er gründete die erste Selbsthilfegruppe, was wiederum Röbi Koller von der damaligen Gesellschaftssendung ‹Quer› zu Ohren kam.

Die Sendung am 28. September 2001 löste ein gewaltiges Echo aus: Viele Messies meldeten sich, es entstanden weitere Selbsthilfegruppen, andere Medien rückten nach und StudentInnen wählten das Messie-Syndrom als Thema für ihre Diplomarbeit. Höchste Eisenbahn also, die Öffentlichkeitsarbeit zu verstärken, zunächst mit einer Webseite, dann mit der Gründung von «LessMess – Netzwerk für Messies» am 9. September 2005. Dabei war es uns wichtig, dass sich im Vorstand auch Nicht-Messies engagieren, denn ‹richtige› Messies horten nicht nur Dinge (und Informationen), sondern leiden auch an einem Organisationsdefizit. Das wiederum nicht aus Desinteresse, im Gegenteil: Sie wollen alles perfekt machen und verheddern sich dabei in banalen Details.

Diese Solidarisierung zwischen Messies und ‹Normalos› im Vorstand von LessMess hat sich bis heute sehr bewährt. Freilich sind die Vorstandsmitglieder mehrheitlich beruflich stark engagiert. Eine grössere Jubiläumsveranstaltung oder gar eine Tagung zu organisieren lag nicht drin. Um so verdankenswerter, dass sich die Schweizerische Gesellschaft für Zwangsstörungen SGZ bereit erklärt hat, ihre heurige Jahrestagung dem Thema «Von A wie Aufbewahren bis Z wie Zwänge» zu widmen.

 

Tag der Fachpersonen…

«Zwischen der Zwangserkrankung und dem Messie-Syndrom gibt gibt es viele Berührungspunkte, zum Teil Überschneidungen, aber auch wichtige Unterschiede», sagt Michael Rufer, Präsident der SGZ. «Die Tagung bietet die Möglichkeit, sowohl über Zwangsstörungen als auch über das Messie-Syndrom Grundlegendes zu erfahren und sich mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden auseinanderzusetzen und neue Entwicklungen in der Therapie kennen zu lernen.»

Dank einer perfekten Kooperation zwischen SGZ und LessMess blicken wir alle einer informativen, kontaktfördernden Tagung vom 5./6. Dezember entgegen. Traditionsgemäss ist der Samstag für Fachleute vorgesehen. Die ReferentInnen wie die Themen sind aber an beiden Tagen dieselben – ebenso wie die Workshops an den Nachmittagen, in welchen die Vortragsinhalte diskutiert und vertieft werden.

 

… Tag für dich und mich

Am Sonntag hören Betroffene, Angehörige und Interessierte zunächst einiges über Zwänge im Allgemeinen und Zwangsgedanken im Speziellen, weiter über Aspekte der Zwänge im Zusammenhang mit dem Messie-Syndrom. Früher wurde es als eine Form der Zwangserkrankung eingeordnet. Doch Heinz Lippuner hat dann darauf hingewiesen, dass das intensive Sammeln ein lustbetonter, ich-naher Zwang (ich-synton) sei. «Andere wie Wasch- und Kontrollzwänge dagegen sind ich-fremde (ich-dystone) Zwänge, unter denen Betroffene extrem leiden.»

So geht man – auch an der Tagung – die Thematik pragmatischer an. Eine der ReferentInnen, die Sozialarbeiterin FH Barbara Wagner, stellt fest, dass sammelnde Menschen kreativ sein könnten, das Horten aber zur Belastung werden könne. Ihr therapeutischer Ansatz: «Eine Beratung mit kreativen Methoden, welche Veränderung auf spielerische Art einüben, in der die Wünsche und Träume auch verrückt sein dürfen.» Wichtig dabei sei der Blick auf das, was bisher funktionierte und auf die Lösung. Und Franziska Ehrat-Labhart, Sozialarbeiterin FH, bezieht in ihren Workshops die Familien ein: «Angehörige, die mit Messies zusammen leben, werden in ihrem Alltag oft mit schwerwiegenden Herausforderungen konfrontiert. Es ist deshalb wichtig, dass auch die Angehörigen mit ihren Anliegen und Nöten angehört und unterstützt werden, zumal viele Angehörige sich wünschen, weiterhin mit dem Messie zusammenleben zu können.»

 

Die Tagung – der Autor
Die Tagung findet am Sa./So. 5./6. Dezember 2015 im Universitätsspital, Frauenklinikstrasse 10 statt. Betroffene, Angehörige, Wissensbegierige gehen am Samichlaustag ab 8.15 Uhr hin. Eintritt für Mitglieder SGZ/LessMess: 25 (Familien 50) Franken. Fachpersonen am Sa. siehe online. Haltestelle Tram 9/10 ETH/Universitätsspital. Das Tagungsprogramm findet sich unter www.zwaenge.ch und www.lessmess.ch. Selbsthilfegruppen Zürich: www.selbsthilfecenter.ch; Schweiz: www.selbsthilfeschweiz.ch. Der Autor: Johannes von Arx (72) ist freier Fachjournalist (Bahntechnik, Musik) und engagiert sich als bekennender Messie aktiv im Vorstand von LessMess. Kontakt: johannesva@sunrise.ch

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