Nach dem Namensstreit – vor den Wahlen

Das griechische Parlament sagte Ja zum strittigen ‹Mazedonien›-Abkommen: Ein Streit von 28 Jahren könnte zu Ende gehen. Ministerpräsident Alexis Tsipras hat einen historischen Erfolg erzielt. Doch Nationalisten in beiden Ländern gefährden eine Lösung des Konflikts.

 

Andreas Herczog*

 

Der Streit um den Namen Mazedonien heizt nationale Seelen auf: Der kleine nördliche Nachbar von Griechenland soll neu Nord-Mazedonien heissen. Dies haben die beiden Regierungschefs Alexis Tsipras (Griechenland) und Zoran Zaev (Nord-Mazedonien) im Juni 2018 am Prespa-See vereinbart. Als letztes Jahr im September die Nord-Mazedonier über das Abkommen entscheiden sollten, erklärte im Vorfeld Staatspräsident Ivanov, dass er nicht abstimmen werde für eine Verfassungsänderung, die «die nationale Identität Mazedoniens, die Besonderheit der mazedonischen Nation gefährden würden»1. Doch am 11. Januar hat das Parlament in Skopje der Namensänderung zugestimmt.

 

Der Name Mazedonien sei ein exklusiver Bestandteil des hellenischen Kulturerbes, dieser Name könne nur für ihre eigene Region Makedonien im Norden Griechenlands gelten: Ein Name, worin «Mazedonien» vorkommt, wird von griechisch-nationalistischen Kreisen abgelehnt. «Es gibt nur ein Mazedonien und das ist griechisch», hiess es auf Transparenten am vorletzten Sonntag beim Syntagmaplatz, als Tausende gegen den Kompromiss demonstrierten, unter ihnen Nonnen, Popen, allerlei Rechtsex­tremisten, brave Patrioten, Angehörige der neofaschistischen Chrisy Avgi und der oppositionellen Nea Demokratia, Militär im Ruhestand, aber auch Linksnationalisten wie etwa die ehemalige Syriza-Parlamentspräsidentin Zoi Kon­stantopoulou, die Alexis Tsipras als Verräter beschuldigt. Der Namensstreit animierte Spassvögel im Internet zur Forderung, dass Libyen seine Hauptstadt umbenennen soll, da es mit Tripolis auf der Peloponnes nur ein Tripolis gebe, und das sei griechisch. 2

 

Sinnbilder der Provokation
Die «Sozialistische Republik Mazedonien» war ein Teil Jugoslawiens, während dieser Zeit akzeptierte Griechenland die Verwendung des Namens «Mazedonien». Erst als Mazedonien 1991, nach dem Zerfall Jugoslawiens, unabhängig wurde, sich «Republik Mazedonien» nannte, den Flughafen von Skopje nach Ale­xander dem Grossen taufte, im Land zahlreiche Alexander-Statuen hochgezogen wurden, zunächst eine Flagge mit dem «Stern von Vergina» – ein Symbol der Könige von Makedonien – wählte: für Griechenland waren dies Sinnbilder irredentistischer Provokation. Und so begann der Streit um den Namen «Mazedonien». International wird deshalb noch die etwas bürokratische Bezeichnung FYROM (former Yugoslav Republic of Macedonia) gebraucht. Indes gehörte Griechenland zu den ersten und grösseren Investoren im jungen Balkanstaat.

 

Die Namensfrage sprengte kürzlich die griechische Koalitionsregierung zwischen Syriza und der rechtspopulistischen ANEL von Verteidigungsminister Panos Kammenos. «Kammenos hält es für seine patriotische Pflicht, mit allen Mitteln zu verhindern, dass die ‹schändliche› Vereinbarung mit den «Skopianiten» (Anspielung auf die Hauptstadt Skopje, so nennen etliche Griechen ihre nördlichen Nachbarn, AH) rechtskräftig wird.»3 Das Bündnis zwischen Tspiras und Kammenos gründete lediglich auf einem Thema: die Gegnerschaft zum EU-Diktat der unsäglichen EU-Austeritätspolitik – hier hielt das Bündnis auch. In allen gesellschaftlichen, ‹nationalen›, ‹kirchlichen› Themen wusste Tsipras, dass Kammenos anders tickt und ein kaum verlässlicher Partner war. Der «Dampfplauderer»4 Kammenos machte auf einer USA-Reise auf eigene Faust Aussenpolitik: Griechenland solle in einem Balkan-Bündnis Garantie­macht für Mazedonien werden und die USA als ‹strategischer Partner› ihre Militärbasen in Griechenland ausbauen.5 Darauf trat Aussenminister Kotzias entnervt zurück: Kammenos unterminiere die Regierungspolitik. Der Riss im Bündnis war unwiederruflich. Alexis Tsipras gewann danach Anfang Januar eine Vertrauensabstimmung im Parlament knapp und nun letzten Freitagnachmittag die Abstimmung zum Namensabkommen.

 

Das Trümmerfeld des Spardiktats von EU, EZB, IWF ist – trotz etwas Zuversicht – immens. Weshalb wird angesichts der harten sozialen, ökonomischen, humanitären Krise in Griechenland die Namensfrage «Mazedonien» zu einem innenpolitischen Kardinalthema? Oder gerade deshalb? Viele Griechinnen und Griechen – nach Umfragen über drei Fünftel – sind gegen das Prespa-Abkommen. Gerade die kata­strophale wirtschaftliche und soziale Realität der Menschen, die Benachteiligungen, Unsicherheiten und auch ihre Zukunftsängste beschleunigen Ressentiments gegenüber drohender Verluste von bisher – nicht hinterfragten – vermeintlich exklusiven Kulturtraditionen und patriotischen Gewissheiten. In solchen ‹patriotischen› Fragen kam es schon immer zu eigenartigen Bündnissen zwischen Rechtsextremen, Traditionalisten, Konservativen, orthodoxen Christen und nationalen Linken – die kommunistische KKE ist gegen das Prespa-Abkommen, weil es Nord-Mazedonien in die NATO und EU führen würde. Patriotismus und auch Chauvinismus ja, aber die Griechinnen und Griechen wählen – gerade aus ihrer Erfahrung mit der faschistischen Junta – nicht faschistisch: Die Chrisy Avgi kam auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise nicht über 7 Prozent.

 

Tsipras’ Leistung
Die aussenpolitische Leistung von Alexis Tsipras ist nicht hoch genug einzuschätzen: Das «Mazedonienthema» könnte endlich gelöst werden. Letztes Jahr im Sommer feierte Tsipras zudem ein Ende der von der EU, EZB und IWF kontrollierten Sparpolitik – allerdings ohne grosse Rücksicht auf Verluste –, worauf er sich prompt für ein paar Minuten vor der Fraktion eine rote Krawatte umband, als Einlösung eines Versprechens. 6 Immerhin erhielt Griechenland wieder eine gewisse Souveränität zurück. Alexis Tsipras trat 2015 als Lichtgestalt der Linken und als Angstgespenst der Rechten – in ganz Europa – die Regierung an. Er war damals ein typischer Hoffnungsträger. Die (oppositionelle) Linke – in ganz Europa – jubelte. Als dann die Macht der Realität, nämlich die Realität der Mächtigen in Europa, die verbale Radikalität zerbröseln liess, witterten etliche Linke Verrat. Tsipras war pragmatisch genug, um zu sehen, dass die soziale Wende in Griechenland mit einer Konfrontation zum aktuellen europäischen Führungs- und Wirtschaftssystem nicht zu erreichen ist, insbesondere in einer Zeit, wo nationalpopulistische Kräfte praktisch in allen Ländern Aufwind haben. Insofern ist Tsipras einer der talentierten und erfolgreichen linken Exekutiven in Europa, aber auch irgendwie ein typologischer Fall, was es heisst, in einem kleinen Land in der EU – als Linker – Regierungschef zu sein.

 

Im kommenden Herbst finden reguläre Wahlen statt. In Griechenland werden keine neuen Regierungen gewählt, sondern – so sagt der griechische Schriftsteller Petros Markaris – bestehende abgewählt. Die Umfragen sprechen deshalb aktuell auch nicht für Tsipras und Syriza. Allerdings ist der momentane Umfrageprimus Kyriakos Mitsotakis, der Chef der oppositionellen bürgerlich-konservativen Nea Demokratia, ein derartiger Anti-Symphathieträger, der im Ausland seine Zusicherung zum Mazedonien-Abkommen bekräftigt, zuhause allerdings nicht müde wird, dagegen zu wettern, da er eine Abspaltung der Nationalisten in seiner Partei fürchtet – zudem gehört er als Sohn und Enkel zu einer veralteten Politikerdynastie, die eine der Hauptschuldigen der Wirtschaftskrise ist. Falls Mitsotakis an die Regierung kommen sollte, dürfte der Mazedonien-Kompromiss wieder infrage gestellt werden.

 

Im Vorfeld der Parlamentsdebatte über das Prespa-Abkommen erhielten einige Befürworter Drohbriefe und bedrohende Telefonanrufe. Vor den Wohnungen zweier Abgeordneten explodierten Molotow-Cocktails. Oder wie schon Alexander der Grosse sagte: «Es ist königlich, Gutes zu tun und dafür gelästert – bzw. bedroht (AH) – zu werden.» 7

 

* Andreas Herczog, ehem. Nationalrat SP (Zürich)
1) https://mazedonien-nachrichten.blogspot.com/2018/09/ivanov-ich-werde-am-30-september-nicht.html
2) Nach Kadritzke, Niels in Efsyn 16.2.2018 («Efimerida ton Syntakton»)
3) Kadritzke, Niels: Blog Griechenland, Wahlen in Sicht; Le Monde diplomatique.de, 19.12.18
4) ebd.
5) ebd.
6) Tsipras hatte nach seiner Wahl versprochen, sich erst eine Krawatte umzubinden, wenn es Griechenland aus der Krise schaffe
7) https://www.aphorismen.de/suche?f_autor=8603_Alexander+der+Große

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