Mit Pioniergeist und Beharrlichkeit

 

Die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration FIZ feiert morgen Samstag ihren 30. Geburtstag. Über Erfolge, Niederlagen und anstehende Projekte gibt Geschäftsführerin Susanne Seytter im Gespräch mit P.S. Auskunft.

 

Die FIZ wird 30 – und es braucht sie immer noch dringend: Was gibt es da zu feiern?

Susanne Seytter: Wir setzen uns seit 30 Jahren gegen Menschenhandel und für die Rechte von Migrantinnen ein. Das ist sicher ein Erfolg, den man feiern darf, aber nicht der grösste.

 

Sondern?

Den grössten Erfolg sehe ich darin, was wir im Kampf gegen Frauenhandel in dieser Zeit alles erreicht haben.

 

Zum Beispiel?

Nur schon die Tatsache, dass es auch in der Schweiz Frauenhandel gibt, war lange Zeit selbst Fachleuten nicht bewusst.

 

In der Öffentlichkeit erhält das Thema nach wie vor wenig Beachtung.

Aber es kommt immerhin schon vor. Durch unsere stetige politische Arbeit wie auch unsere Öffentlichkeitsarbeit konnten wir im Lauf der Jahre einiges erreichen. Einen Strafgesetzartikel zum Thema Menschenhandel und Angebote der Opferhilfe gibt es hierzulande ja auch erst seit wenigen Jahren. Und daran, dass es beides gibt, haben NGO wie wir einen grossen Anteil.

 

Inwiefern?

Erste Opferschutz-Angebote haben wir 2004 mit Spendengeldern initiiert und damit einen Paradigmenwechsel eingeleitet, nicht zuletzt bei der Polizei.

 

Warum war das nötig?

Früher dachten Polizistinnen und Polizisten beim Stichwort «Migrantin» als erstes an Wörter wie «illegal» und «ausschaffen»; oder zumindest war das unser Eindruck. Heute hingegen schauen sie eher hin.

 

Worin genau besteht dieses «hinschauen»?

Es besteht darin, nicht in erster Linie an der Illegalität Anstoss zu nehmen, sondern sich Fragen zu stellen: Wie ist diese Frau wohl hierhin gekommen? Wie sind ihre Arbeitsbedingungen? Arbeitet sie selbstbestimmt oder unter Zwang? Kurz: Ist sie möglicherweise Opfer einer Straftat, konkret von Menschenhandel?

 

Warum hat die FIZ 30 Jahre gebraucht, um die Behörden dahin zu bringen, sich solch einfache Fragen zu stellen?

Es gab immer wieder Rückschläge. Zudem waren Änderungen auf Gesetzesebene nötig. Wir haben lange dafür lobbyiert, dass die betroffenen Frauen aufenthaltsrechtlichen Schutz erhalten– also nicht Gefahr laufen müssen, sofort ausgeschafft zu werden. Das ist uns gelungen: Heute gibt es eine Regelung im Ausländergesetz, die internationalen Standards genügt. Sie beinhaltet eine Erholungs- und Bedenkzeit, die den Frauen zugestanden wird, wenn sie eine Aussage machen wollen oder wenn sie körperlich geschädigt bzw. seelisch traumatisiert sind. Während dieser Frist können sie ausländerrechtlich nicht belangt werden. Schwierig bleibt das Thema aber dennoch.

 

Weshalb?

Zum Gesetz gibt es eine Verordnung samt Weisung zuhanden der kantonalen Behörden. Daran haben wir und andere NGO seinerzeit mitgearbeitet. Wir haben unter anderem mit den Behörden zusammen die Begriffe geklärt und das konkrete Vorgehen besprochen.

Das hat gut funktioniert; meiner Erfahrung nach kommt es eigentlich immer gut, wenn Behörden und NGO zusammenarbeiten. Doch was einst ein Teilerfolg war, wurde für uns zum herben Rückschlag: Unterdessen wurde die Weisung ohne Rücksprache mit den NGO und von heute auf morgen umformuliert.

 

Was ist daran so schlimm?

Gemäss der neuen Formulierung erhalten Opfer von Menschenhandel nur noch dann eine Härtefallbewilligung, wenn sie mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten. Diese Änderung wurde auf geschickte Art, möglichst unverfänglich formuliert, in die Weisung hineingepackt: Es heisst jetzt, um eine Härtefallbewilligung beantragen zu können, brauche es einen Polizeirapport. An einen solchen kommen die Frauen logischerweise nur heran, wenn sie bei der Polizei eine Anzeige machen. Es müsste jedoch auch möglich sein, eine Härtefallbewilligung zu bekommen, ohne mit den Behörden zusammengearbeitet zu haben.

 

Warum ist Ihnen das so wichtig?

Lassen sich die Frauen auf die geforderte Zusammenarbeit ein und zeigen etwa ihren Zuhälter an, dann kann das üble Folgen haben: Nicht wenige müssen deswegen um ihr Leben oder das ihrer Kinder fürchten. Verweigern sie hingegen die Zusammenarbeit, werden sie erstens ausgeschafft – und zweitens besteht dann kaum mehr eine Chance, dass die Zuhälter und/oder Menschenhändler gefasst werden.

 

Demnach halten sich die Behörden streng an die geänderte Weisung, und es gibt keinen Spielraum?

Das kann man nicht so allgemein sagen, denn die Umsetzung wird von Kanton zu Kanton unterschiedlich gehandhabt. In einigen Kantonen sind die Behörden sensibilisiert und können nachvollziehen, dass die Frauen Panik davor haben, ausgeschafft zu werden: Ist beispielsweise ein Täter zwar hier verurteilt worden, im Herkunftsland jedoch nicht, dann kann er sich dort frei bewegen und sich bei erstbester Gelegenheit an ihr rächen. In andern Kantonen hingegen wird vor allem nach dem Buchstaben des Gesetzes entschieden.

Das führt dazu, dass die Opfer nicht überall in der Schweiz die gleichen Rechte haben. Immerhin hat das Migrationsamt des Kantons Zürich, das nicht als Härtefall-freundlich bekannt ist, schon einigen der Frauen, die wir betreuen, eine Bewilligung erteilt.

 

Womit hat die FIZ in den letzten 30 Jahren die grössten Erfolge erzielt?

Als Pilotprojekt haben wir die Runden Tische gegen Menschenhandel initiiert. Wie es der Name sagt, sitzen wir dabei mit einem guten Dutzend VertreterInnen von verschiedenen Behörden an einen Tisch und diskutieren nebst Fallentwicklungen in erster Linie unsere Zusammenarbeit.

Das Wichtigste, was dabei herauskommt, ist Vertrauen, und zwar in dem Sinne, dass wir offen miteinander reden und uns gleichzeitig unserer Rolle bewusst sind bzw. klar ist, wessen Interessen wir vertreten.

Der erste Runde Tisch im Kanton Zürich wurde im Lauf der Jahre zum Vorbild für weitere; heute gibt es dieses Instrument in total 17 Kantonen.

 

Was ist so speziell daran, miteinander zu reden?

Dieser Austausch beinhaltet mehr als ‹nur› miteinander zu reden: Als NGO merken wir sehr wohl, ob wir es in einem Fall mit einem Kanton zu tun haben, in dem es einen Runden Tisch gibt oder mit einem ohne. Denn in Kantonen ohne Runden Tisch gibt es meist nach offizieller Lesart gar keinen Menschenhandel. Dabei werden die Frauen von einem Kanton in den nächsten und wieder zurück verschoben; ganz frei von Menschenhandel dürfte folglich keiner sein. Seit drei, vier Jahren kommen wir zudem vermehrt mit Frauen aus Nigeria, Kamerun oder Ghana in Kontakt, die als Asylsuchende registriert wurden. Da war beispielsweise eine Frau, die bereits in Ausschaffungshaft sass: Weil eine Sozialarbeiterin im Ausschaffungsgefängnis Verdacht schöpfte und sich bei uns meldete, konnten wir intervenieren. Die Frau wurde schliesslich als Opfer von Menschenhandel anerkannt und erhielt eine Härtefallbewilligung.

 

Ohne die Intervention der FIZ fallen diese Frauen demnach durchs Raster der Behörden?

Dass Opfer von Menschenhandel bereits bei der Erstbetreuung in einem Empfangszentrum als solche erkannt werden, ist selten. Auch beim Transfer in die Kantone bleibt die Problematik meist unerkannt. Damit will ich jedoch nicht etwa sagen, die Behörden schauten extra weg: Die betroffenen Frauen sind meist sehr zurückhaltend und brechen ihr Schweigen erst, wenn sie zu jemandem Vertrauen aufbauen können. Sie haben oft unglaubliche Fluchtwege hinter sich: Einige wurden beispielsweise in Italien ausgenutzt und in die Prostitution gezwungen, andere ereilte dasselbe Schicksal, nachdem sie direkt in die Schweiz geflüchtet waren. Asylsuchende sind generell sehr verletzlich, und auch wir konnten früher oft nichts für sie tun.

 

Weshalb?

Sie kamen häufig erst zu uns, wenn das Verfahren gemäss Asylgesetz bereits fast abgelaufen war, und ein Aufenthaltsrecht gemäss Ausländergesetz hatten sie als Asylsuchende ja nicht. Wir haben uns dann ans damalige Bundesamt für Migration, heute Staatssekretariat für Migration SEM gewandt mit der Bitte, darauf zu achten, dass auch Menschenhandel ein möglicher Fluchtgrund ist. Wir wurden angefragt, Weiterbildungen für Mitarbeitende des SEM zu leiten.

Heute, drei, vier Jahre später, ist diese Behörde fürs Thema sensibilisiert, und die Mitarbeitenden an der Front wissen, worauf sie achten müssen, und können ihre Beobachtungen rasch auf die behördenexterne und die politische Ebene tragen. Es gibt einen nationalen Aktionsplan gegen Menschenhandel, und darin wird auch das Thema der ausgebeuteten, in die Prostitution gezwungenen Frauen behandelt.

 

Was ist der FIZ in den letzten 30 Jahren nicht oder nur teilweise gelungen?

Von den Verschärfungen im Nachgang der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative sowie von den verbreiteten Abschottungstendenzen westeuropäischer Länder Flüchtlingen gegenüber ist unsere Arbeit direkt betroffen. Die repressive Migrationspolitik gegenüber den Menschen aus sogenannten Drittstaaten führt dazu, dass Frauen aus diesen Ländern praktisch keine Chance haben, legal in der Schweiz zu arbeiten. Auch die Aufenthaltsbewilligung als Cabarettänzerin ist ein Auslaufmodell; ab dem 1. Januar 2016 existiert sie nicht mehr. Es bleibt den Frauen somit nur noch die Heirat.

 

So toll war das Leben als ‹Cabarettänzerin› wohl auch nicht.

Die Tänzerinnen-Bewilligung war bei weitem nicht das Gelbe vom Ei – aber damit konnte eine Frau immerhin einen angemessenen Lohn einklagen. Sind die Frauen jedoch illegalisiert, ist es für sie kaum möglich, sich zu wehren, und auch für uns wird es immer schwieriger, den Zugang zu den Frauen zu erhalten. Sicher ist nur eines: Wer migrieren will, den kann man nicht aufhalten. Die Frauen kommen weiterhin, sie werden einfach immer öfter zur illegalen Sexarbeit gezwungen sein. Und die Entwicklung der Sexarbeit läuft zurzeit generell in die falsche Richtung.

 

Auch in Zürich mit seinem durchorganisierten Strichplatz?

Der ist soweit in Ordnung. Doch seit der Eröffnung des Strichplatzes in Altstetten wurden andernorts immer mehr legale Arbeitsplätze abgebaut. Viele Kleinstsalons an der Langstrasse mussten schliessen, und die Strichzonen wurden verkleinert. Die Frauen müssen die Freier über Telefon und Internet anwerben. Sie müssen immer mobiler sein und an verschiedenen Orten arbeiten. Damit kann der ursprüngliche Plan hinter dem Strichplatz nicht aufgehen: Gerade jene Frauen, die nicht ausgebeutet werden, sondern die Sexarbeit selbstständig und auf eigene Rechnung ausüben, werden nicht besser geschützt. Ihre Arbeitsbedingungen werden insgesamt immer schlechter.

 

Der FIZ geht somit die Arbeit auch in den nächsten 30 Jahren nicht aus?

Wir arbeiten beispielsweise auf dem Gebiet des Opferschutzes mit dem Expertengremium des Europarats zu Menschenhandel, bekannt unter dem Kürzel GRETA, zusammen. Im Rahmen dieser Plattform formulieren wir Empfehlungen. Es gibt aber noch andere Bereiche als die Prostitution, in denen Menschenhandel ein Thema ist, beispielsweis die Care-Arbeit, Baustellen oder die Landwirtschaft. Weiterhin viel zu tun gibt das Engagement für mehr Rechte für SexarbeiterInnen: Dass uns demnächst die Themen ausgehen, ist tatsächlich höchst unwahrscheinlich.

 

Benefizparty
Den 30. Geburtstag feiert die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration FIZ mit einem Jubiläumsfest. Die grosse beneFIZparty unter dem Motto «RESP3Ct» steigt morgen Samstag, 21. November ab 18 Uhr im Hive, Tanzstube und Atelier im 1. Stock, Geroldstrasse 5, Zürich (öV: Hardbrücke).
Programm: Ab 18 Uhr Begrüssung durch FIZ-Geschäftsführerin Susanne Seytter und Festansprache von Nationalrat Balthasar Glättli. Anschliessend Buffet mit mediterranen Köstlichkeiten und interaktives Theater mit dem Maxim Theater unter dem Motto «Bienvenues au paradis – Bem-vindo ao paraiso». Ab 22 Uhr Konzert von Msoke – Reggae/Worldbeat aus Zürich, danach Musik von DJ Scarlett.
Der Eintritt von Fr. 40.- bzw. Fr. 60.- (Solipreis) fliesst vollumfänglich in die Projekte der FIZ.

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