Geht’s mich was an?

Um es gleich vorwegzunehmen: Ja, es geht Sie was an! Egal ob Frau oder Mann (oder*). Nun aber der Reihe nach.

 

Eine Nachbarin drückte mir neulich einen Aufkleber in die Hand. «Aber gell, aufkleben!», insistierte sie. Das Abziehbild zeigte einen Streikaufruf. Da fiel mir plötzlich auf, dass an meinem Arbeitsplatz (ich bin Lehrerin) der Frauenstreik überhaupt nie besprochen wird. Das Thema scheint regelrecht tabu. Woran liegt das?
Zum einen sind vielleicht Lehrpersonen eher unpolitisch, oder argumentieren jedenfalls selten politisch – weil Politik = Meinung, und wir vermitteln ja Fakten. Ferner verdienen wir Frauen auf der Sekundarstufe grundsätzlich den gleichen Lohn wie die Männer – und der ist ja (im Vergleich etwa zum Hortpersonal) recht anständig. Da scheint Protest nicht nötig. Der Hauptgrund ist wohl aber jene dezidierte Einäugigkeit, die sich unsere Gesellschaft im Hinblick auf Frauenarbeit antrainiert hat.

 

 

Selbstverständlich ist es Politik, wenn Care-Berufe (zu denen auch die Bildung gehört) kaputtgespart werden, wenn plötzlich Effizienz postuliert, ein Markt eröffnet, Rentabilität gefordert und eine sauteure Evaluations-Kaste etabliert wird.
Der Manager-Neusprech à la «Qualitätssicherung», «Benchmarking», «Return on Investment» usw. usf. verschleiert, dass damit an der Basis einfach nur Zeit- und Geldressourcen geklaut werden, um sie auf die neue Qualitätssicherungs-, Evaluations- und Managements-Ebene zu verlagern. Für unseren Lohn müssen wir darum immer mehr Leistung erbringen: in Form von mehr Nebenämtern, grösseren Klassen, weniger Stütz- und Hilfspersonal, gekürzten Ferien oder Stundenbudgets etc. Es fehlt die Musse, mangelt an Räumen und hapert beim Materialgeld. Das wirkt sich auf uns Frauen stärker aus, weil wir neben der Berufsarbeit immer noch viel mehr Gratisarbeit in Form von Haushalt und menschlicher Fürsorge leisten als Männer.

 

 

Nimmt der Arbeitsstress überhand, muss eben das bezahlte Pensum gekürzt werden – denn die unbezahlte Care-Arbeit fordert einfach ihre Zeit und Energie. Sie liesse sich nur unter massiver Einbusse von gesamtgesellschaftlicher Lebensqualität zurückstutzen. Das lässt unser soziales Gewissen nicht zu. Diese nicht ganz freiwillige Lohnreduktion wirkt sich spätestens bei den Renten massiv zu Ungunsten der Frauen aus.

 

 

Nun sind wir beim blinden Auge angekommen. Unser Wirtschaftssystem funktioniert nur auf dem Buckel der Frauen. Damit Menschen leben und arbeiten können, kochen und putzen Frauen; sie kümmern sich und hören zu, umsorgen Kinder und pflegen Kranke: einmal in unterbezahlten Care-Berufen, und noch einmal privat – gratis und franko. Dieses Arbeitsvolumen ist eigentlich unübersehbar: Es ist umfangreicher als die ganze Lohnarbeit aller übrigen Branchen zusammen. Aber durch das Herausdividieren der privaten Arbeit erscheint dieser Teil in keiner Volkswirtschaft. Dabei subventioniert die unterfinanzierte oder unbezahlte Care-Arbeit recht eigentlich die gesamt übrige Wirtschaft. Kostenwahrheit sieht anders aus. Eine anständige Finanzierung des Care-Sektors muss her!

 

 

Grund genug für einen Streik – auch der Lehrerinnen! Den Sticker meiner Nachbarin werde ich also im Teamzimmer anbringen. Und in die Personalküche schmuggle ich ein paar Streiktassen meiner Gewerkschaft. Das wird dann ja hoffentlich nicht totgeschwiegen. Let’s talk about Streik, baby!

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