«Ganz abgeschafft wurde der Service public trotz allem nicht»

Am Montag kam die Umwandlung von Kantonsspital Winterthur und Integrierter Psychiatrie Winterthur in öffentlich-rechtliche Anstalten im Kantonsrat durch. Weshalb die SP dazu Ja sagen konnte, erklärt Andreas Daurù, Mitglied der kantonsrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, im Gespräch mit Nicole Soland.

 

 

Am 21. Mai 2017 folgten die Stimmberechtigten der SP und lehnten die Privatisierung des Kantonsspitals Winterthur (KSW) und der Integrierten Psychiatrie Winterthur – Unterland (IPW) ab. Jetzt sollen die beiden Institutionen in öffentlich-rechtliche Anstalten umgewandelt werden. Wie euphorisch hat die SP dazu Ja gesagt?
Andreas Daurù: Als KSW und IPW eine AG werden sollten, lautete ein Gegenargument der SP, die grössere «unternehmerische Freiheit», mit der die Bürgerlichen für die AG warben, liesse sich auch mit öffentlich-rechtlichen, mit Baurechten ausgestatteten Anstalten erreichen. Mein Kurzkommentar zu den beiden Vorlagen lautet entsprechend, warum nicht gleich so?

 

 

Also keine grosse Euphorie, aber auch kein grosser Widerwillen?
Für die beiden Kliniken ist es in Zukunft einfacher, wenn sie umbauen oder Kooperationen mit anderen Institutionen eingehen möchten, während eine Verwaltungseinheit der kantonalen Verwaltung bildlich gesprochen von einem Amt zum andern rennt, bis sie ihre Pläne verwirklichen kann. Der Faktor Zeit wiederum ist von grösserer Bedeutung, seit die neue Spitalfinanzierung eingeführt wurde und die Spitäler aus den Erträgen der Fallpauschalen auch ihre Investitionen finanzieren müssen.

 

 

Ist jetzt auch die SP der Meinung, die Spitäler müssten fit sein für «mehr Wettbewerb»?

Nein, sicher nicht. Es kann gar keinen echten Wettbewerb geben, auch wenn einige Privatkliniken in diese Richtung ziehen. Aber einen gewissen Spielraum brauchen die Spitäler beispielsweise dann, wenn sie ihre Gebäude sanieren, umbauen oder erweitern möchten. Manchmal machen auch Weiterentwicklungen bauliche Massnahmen nötig, ich denke da etwa an aufsuchende Angebote in der Psychiatrie.

 

 

Spitäler werden doch nicht ständig umgebaut?
Umgebaut vielleicht nicht, aber leider haben wir mit dem «Tarpsy» auch in der Psychiatrie ein neues Tarifsystem, womit man sich auch in diesem Fachgebiet mit sogenannten Benchmarks und der Frage auseinandersetzen muss, wie man die nötigen Investitionen aus selbst erwirtschafteten Mitteln bewältigen kann. Insofern ist es auch nachvollziehbar, dass ein Spital heute in der Lage sein muss, schneller zu handeln, als es möglich wäre, wenn jeder Schritt erst in einem demokratischen Prozess beschlossen werden müsste. Unter diesen gegebenen Umständen ist es sinnvoll, KSW und IPW in öffentlich-rechtliche Anstalten umzuwandeln. Wie viel «unternehmerische Freiheit» es tatsächlich braucht, ist dann nochmals eine andere Frage.

 

 

Wie kann die SP für «weniger demokratische Mitsprache» sein?
Verglichen mit dem heutigen System und vor allem demokratiepolitisch gesehen ist diese Umwandlung tatsächlich eine Kröte, die wir schlucken mussten. Andererseits stehen die neuen öffentlich-rechtlichen Anstalten unter der Oberaufsicht des Kantons­parlaments, das zudem die Eigentümerstrategie beschliesst und auf Vorschlag des Regierungsrats die Mitglieder des Spitalrats wählt. Auch die Gebäude befinden sich im Besitz des Kantons, der sie den Betreibergesellschaften im Baurecht überlässt. Im neuen Gesetz gibt es einen Artikel, der verhindert, dass Immobilien auf Dritte übertragen werden können, und falls dies dennoch ausnahmsweise gestattet werden soll, dann hat der Kantonsrat darüber zu befinden. Würde ein Gebäude nicht mehr gebraucht, ginge es retour an den Kanton. Das sind nahmhafte Verbesserungen gegenüber den Regeln, die gelten würden, wenn KSW und IPW Aktiengesellschaften wäre. Aber es stimmt schon, dass wir auch etwas abgeben, und das tun wir keineswegs voller Freude.

 

 

Wer zahlt, befiehlt – doch die Zeiten, in denen der Kantonsrat Budget und Rechnung von KSW und IPW verabschiedete, sind vorbei.
Nicht ganz, die Rechnung geht nach wie vor übers Pult des Kantonsrats. Die beiden Spitäler sind selbstständigere Unternehmungen als früher, und für uns KantonsrätInnen sind sie nun weiter weg als andere Institutionen im Kanton, aber wir behalten die Kontrolle. Nebst zur Rechnung nehmen wir Mitglieder der Aufsichtskommission für Bildung und Gesundheit künftig auch Stellung zum Geschäftsbericht, und sollten die Spitäler Gewinn machen, dann entscheidet der Kantonsrat, wofür dieser verwendet wird.

 

 

Als zur Debatte stand, KSW und IPW zu Aktiengesellschaften zu machen, machten sich SP und Gewerkschaften Sorgen ums Personal und befürchteten schlechtere Anstellungsbedingungen. Sind diese Sorgen mit der Umwandlung in öffentlich-rechtliche Anstalten vom Tisch?
Jein. Es ist zwar positiv, dass das Personal weiterhin zu den gleichen Bedingungen angestellt sein wird wie die anderen kantonalen Angestellten. Doch allzu gut sind diese Bedingungen umgekehrt auch wieder nicht: So sind in der Privatwirtschaft beispielsweise fünf Wochen Ferien schon mehrheitlich Standard, der Kanton jedoch gewährt bloss deren vier. Neu soll es KSW und IPW möglich sein, aus «betrieblichen Gründen» von den kantonalen Anstellungsbedingungen abzuweichen. Damit könnten zum Beispiel gesuchte SpezialistInnen bessergestellt werden, was die Stimmung unter dem Rest der Belegschaft kaum verbessern dürfte. In der Kommission haben wir versucht, ins neue Gesetz zu schreiben, dass fürs Personal ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) auszuarbeiten sei. Doch «GAV» ist offensichtlich für viele Bürgerliche ein Reizwort; wir sind damit nicht durchgedrungen. Deshalb haben wir am Montag im Kantonsrat in zwei Anträgen unter anderem gefordert, dass Abweichungen zu den Vorgaben beispielsweise auch zur Förderung von fortschrittlichen Arbeitsverhältnissen möglich sein sollen, wenn diese mit den anerkannten Sozialpartnern einvernehmlich festgelegt sind. Damit sind wir jedoch ebenfalls unterlegen.

 

Die SP hat die beiden Vorlagen für je eine Eigentümerstrategie für KSW und IPW in der Kommission abgelehnt, die Mehrheit wird sie voraussichtlich annehmen. Was hat Ihnen da­ran nicht gepasst?
Die Eigentümerstrategien, die der Regierungsrat vorgelegt hat, sind untauglich. Es fehlt insbesondere eine Immobilienplanung, was angesichts des anziehenden Wettrüstens – man denke nur an die Investitionen des Unispitals im «Circle» beim Flughafen – gar nicht geht. Wir wollen als Kantonsrat wissen, was in den nächsten vier Jahren mit den Spitalimmobilien passieren soll. Was uns der Regierungsrat als «Eigentümerstrategie» vorgelegt hat, entspricht überhaupt nicht dem, was wir uns vorgestellt haben.

 

 

Aber für die Mehrheit im Rat ist es offensichtlich in Ordnung so.
SP, Grüne und AL waren sich einig, dass es eine griffige Immobilienstrategie braucht. Dass wir bei der Ablehnung der Eigentümerstrategie in der Minderheit sind, ist ärgerlich, denn es ist nicht möglich, gegen die Eigentümerstrategie das Referendum zu ergreifen. Das könnten wir nur gegen das ganze Gesetz – und damit hätten wir an der Urne keine Chance. Wir werden aber sehr genau hinschauen, wohin sich die beiden Institutionen entwickeln, und falls wir das Gefühl bekommen, dass mit den Immobilien ‹spannende Abenteuer› eingefädelt werden, dann fragen wir nach und halten den Finger drauf.

 

 

Wenn die Immobilien im Baurecht an die Institutionen übergehen, hat der Kanton doch einfach weniger zu sagen…
Ich sehe das anders: Der Regierungsrat hat es sich zuerst zu einfach gemacht. Er berief sich so weit wie möglich darauf, dass es sich bei KSW und IPW nun um öffentlich-rechtliche Anstalten handle, und regelte nur das Allernötigste. Zuerst wollte er überhaupt nichts von einer Eigentümerstrategie wissen; er hat es sich erst anders überlegt, nachdem wir beim Unispital eine solche durchgebracht hatten. Ich hege denn auch den Verdacht, dass es sich bei dieser minimalistischen Eigentümerstrategie um eine Retourkutsche von Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger handelt.

 

 

Werfen wir noch einen Blick auf die Stadt Zürich: Man hört, Sie fänden es eine gute Idee, wenn die Stadtspitäler Triemli und Waid öffentlich-rechtliche Anstalten würden.
Ich habe an einer parteiinternen Weiterbildungsveranstaltung gesagt, unter den jetzigen Bedingungen könnte eine Umwandlung in öffentlich-rechtliche Anstalten eine gute Lösung für die beiden Stadtspitäler sein. Das würde ihnen die Flexibiltät geben, die heute leider nötig geworden ist.

 

 

Wie meinen Sie das?
Die Diskussion um die Stadtspitäler ist festgefahren, es gibt keinen Konsens darüber, welche Ziele es zu erreichen gilt, und die Spitälerstrategie der früheren Gesundheitsvorsteherin Claudia Nielsen wurde abgelehnt. Überlegungen, dass die Stadtspitäler keine Dienstabteilungen mehr sein sollten, liegen in der Luft. Eine Privatisierungsvorlage darf es aus meiner Sicht auf keinen Fall geben, aber diese Gefahr besteht – wenn es weiterhin nicht vorwärts geht, könnte eine solche als «Befreiungsschlag» präsentiert werden. Dem sollten wir vorher den Riegel schieben.

 

 

Danach sieht es zurzeit ja auch aus: Die beiden unabhängigen Stadtspitäler sollten zu einem Stadtspital an zwei Standorten zusammengeführt werden, wobei das ‹Dach› dieser Spitäler offenbar eine öffentlich-rechtliche Anstalt werden soll.
Dann wird es, sobald dieser Ansatz konkreter wird, auch hier darum gehen, dass der Gemeinderat die Oberaufsicht behält, den Spitalrat wählt und dafür sorgt, dass das Personal weiterhin gemäss städtischem Personalrecht beschäftigt oder einem GAV unterstellt wird.

 

 

Dann kann die SP, um wieder zu KSW und IPW zurückzukehren, alles in allem einigermassen zufrieden sein mit dem, was am Montag im Kantonsrat beschlossen wurde?
Es ist tatsächlich so, dass angesichts der aktuell gültigen Rahmenbedingungen kantonale Anstalten zumindest ein bisschen benachteiligt sind: Die Strukturen werden immer komplexer, man muss schneller reagieren können, und das wird nicht einfacher, wenn einem zuerst der Kantonsrat das Budget bewilligen muss. Ob allerdings wirklich alles nötig ist, was man uns in Sachen Flexibilisierung zu verkaufen versucht, wage ich zu bezweifeln. Doch wenn die beiden Institutionen zu Aktiengesellschaften geworden und die maximal zulässigen Anteile verkauft worden wären, dann hätten wir künftig unter Umständen noch viel grössere Probleme. Mal angenommen, das heutige Krankenversicherungssystem funktioniert nicht mehr ewig – und angenommen, das KSW wäre bereits verkauft, wenn das System kollabierte – wer würde dann dafür sorgen, dass es in der Region Winterthur wieder ein Spital gibt, das allen offensteht? Dass der Kanton einspringen müsste, liegt ebenso auf der Hand, wie dass ihn dies viel Geld kosten würde. So gesehen fahren wir mit öffentlich-rechtlichen Anstalten doch noch besser, und ganz abgeschafft wurde der Service public damit trotz allem nicht.

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