«Es ist solide und realistisch und über Jahrzehnte hinaus tragbar»

SP und Grüne haben die Nein-Parole zum Stadionprojekt «Ensemble» beschlossen. Hochbauvorstand André Odermatt (SP) und Finanzvorstand Daniel Leupi (Grüne) erklären im Gespräch mit Nicole Soland, weshalb sie trotzdem voll hinter dem Projekt stehen.

 

Nachdem die Stimmberechtigten am 22. September 2013 Nein zu einem städtischen Stadionprojekt gesagt hatten, verkündete der Stadtrat, er werde bei der Credit Suisse «in absehbarer Zeit vorsprechen, um über den Landkauf/Verkauf zu verhandeln». Fünf Jahre später, am 26. September 2018, traten vier Mitglieder des Stadtrats vor die Medien – und warben fürs Stadionprojekt «Ensemble» der CS.
Daniel Leupi: Das ist ein ganz normaler Vorgang: Vor der Abstimmung zum vorletzten Stadionprojekt «Pentagon», das auf dem Hardturm nebst einem Stadion ein Shoppingcenter vorsah, traten gar alle neun StadträtInnen auf – samt Fussball.

 

André Odermatt: Der Stadtrat steht hinter diesem Projekt und soll das auch zeigen. Eine Mehrheit der Bevölkerung will ein richtiges Fussballstadion. Und weil die Mehrheit der Bevölkerung ein Fussballstadion will, engagiert sich der Stadtrat. Uneinigkeit herrscht darüber, wie es zu finanzieren ist. Der Gemeinderat hat entschieden: Es sollen Private sein. Der Stadtrat vertritt also die Interessen der Bevölkerung und des Gemeinderats in dieser Sache.

 

D.L.: Darum haben wir das Projekt den Medien vorgestellt – und sind als Mitglieder des Stadtrats dem Komitee «Fussballstadion JA» beigetreten.

 

Die GegnerInnen des Projekts monieren, die Stadt habe schlecht verhandelt, denn sie verzichte Jahr für Jahr auf rund 1,8 Mio. Franken Baurechtszins. Damit stimme auch die Behauptung des Pro-Komitees nicht, dass die Stadt das Stadion «gratis» erhalte.
D.L.: Bei einem Investorenwettbewerb macht die Stadt die Ausschreibung mit entsprechenden Vorgaben und nimmt die Gebote entgegen. Wir können nicht nachverhandeln, denn sobald wir die wesentlichen Rahmenbedingungen änderten, würden wir Interessen Dritter verletzen.

 

A.O.: Der Clou bei einem Investorenwettbewerb – den der Gemeinderat so gewollt hat – besteht ja gerade darin, dass man die Bedingungen festlegt und dass diese für alle potenziellen Investoren gelten. Wir hielten in der Ausschreibung fest, dass die Stadt keine Betriebsbeiträge zahlt und dass sie kein Geld in den Stadionbau investiert. Im Beurteilungsgremium dieses Wettbewerbs sassen entsprechend nicht nur Architekten und Landschaftsarchitekten, sondern auch externe und interne Betriebswirtschaftsexperten. Das Projekt Ensemble erfüllt alle Bedingungen und ist in diesem Sinne ein Gratis-Stadion für die Stadt Zürich.

 

D.L.: Es war das beste Angebot. Es ist solide und realistisch und über Jahrzehnte hinaus tragbar.

 

A.O.: Wir wollten sicherstellen, dass nicht doch in ein paar Jahren der Ruf laut wird, die Stadt müsse das Stadion übernehmen, sonst gehe es in Konkurs. Genau das ist ein Teil des Investorenwettbewerbs: Bei einem solchen geht es eben nicht nur um Städtebau, sondern auch um das Geschäftsmodell an sich.

 

Die Stadt bekommt also tatsächlich ein Stadion, ohne etwas dafür zu zahlen?
D.L.: Der Baurechtszinsverzicht ist fiktiv, denn die Stadt würde das Land anders nutzen: Bis jetzt ist es nicht möglich, so hohe Türme mit gemeinnützigen Wohnungen zu realisieren. Hochzurechnen, was wir den Investoren ‹schenken›, ist somit müssig. Die Stadt verliert hier nichts, denn die Hochhäuser entstehen nur wegen des Stadions; sonst würden sie nicht gebaut.

 

A.O.: Das Stadion wird querfinanziert, als Baute und im Betrieb, und das muss funktionieren. Ohne ein Objekt wie die beiden Türme auf dem Baufeld C, die eine Rendite abwerfen, ist das nicht zu schaffen.

 

Die Stadt kann keine Hochhäuser mit gemeinnützigen Wohnungen bauen? Was ist denn mit der Hardau oder dem Lochergut?
A.O.: Damals herrschten andere Bedingungen bezüglich Lärmschutz, Brandschutz, Fluchtwegen und vielem mehr.

 

D.L.: Zudem sind die Baukosten gestiegen, und deshalb ist es aktuell nicht mehr möglich, Hochbauten innerhalb des vom Kanton vorgegebenen Kostenrahmens für gemeinnütziges Bauen zu erstellen.

 

A.O.: Ich bin aber zuversichtlich, dass wir das wieder hinbekommen, mindestens bis zu einer Höhe von etwa 80 Metern. 137 Meter wären doch noch eine Herausforderung mehr – die Kosten gehen nun mal in die Höhe, wenn man in die Höhe baut.

 

D.L. Es gibt Bestrebungen mit maximal 60 Meter hohen Häusern beim Koch-Areal, wo die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich zum Zug kommt. Und wir haben beim Kanton Interesse angemeldet, die Bedingungen so zu ändern, dass Hochhäuser künftig eher möglich werden. Ganz abgesehen davon: Hochhäuser mit gemeinnützigem Wohnungsbau können kein Stadion finanzieren!

 

Die Rendite, welche die CS mit den «Luxuswohnungen» erziele, sei viel zu hoch, ja sie könnte vor Mietgericht gar als missbräuchlich angefochten werden, sagen einige GegnerInnen.
D.L.: Zu den 4,5 Prozent Rendite zitiere ich gern den AL-Gemeinderat und Leiter Kommunikation des Mieterinnen- und Mieterverbands Zürich, Walter Angst: «Von illegaler Rendite zu sprechen, ist völlig aus der Luft gegriffen.» Ein Gericht würde berücksichtigen, dass es sich um einen Neubau handelt, und auch die Finanzierung des Stadions einberechnen.

 

Dennoch entstehen dort Wohnungen, die sich mindestens die Hälfte der StadtbewohnerInnen nicht leisten kann – und das auf städtischem Land.
D.L.: Mit Kostenmiete, also einem geschlossenen Kreislauf, wo sich Mieteinnahmen und Ausgaben für Unterhalt und Amortisation die Waage halten, ist es schlicht nicht möglich, auch noch ein Stadion zu finanzieren.

 

A.O.: Wir haben hier ein kommerzielles Mietangebot – neben einem Teil mit gemeinnützigen Wohnungen, den die SP im Parlament noch ins Projekt ‹hineingekauft› hat. Wenn man diesen Anteil kommerzieller Wohnungen nicht hätte, wäre das ganze Konstrukt nicht tragfähig. Denn das Stadion wirft keine Rendite ab und muss für die Klubs tragbar sein. Zuerst muss man Geld haben, bevor man das Fussballstadion bezahlen kann.

 

D.L.: Beim letzten Stadionprojekt war ein jährlicher städtischer Beitrag von acht Millionen Franken vorgesehen; ein grosser Teil dieses Geldes wäre gebraucht worden, um die Abschreibungs- und Verzinsungskosten zu tragen. Die Stadt würde das Land ja nicht allein für den privaten Wohnungsbau geben, sondern bringt hier die öffentlichen Interessen ein, indem sie ein Fussballstadion ermöglicht. Mehr als 4000 Franken, wie bisweilen herumgeboten wird, kosten die Wohnungen jedoch nicht: Die Durchschnittsmiete für eine 4-Zimmer-Wohnung mit 110 m2 Fläche liegt bei rund 3200 bis 3300 Franken. Diese Miete können sich nicht alle leisten, das stimmt. Aber dazu kommen nochmals 299 neue gemeinnützige Wohnungen, mit denen das Drittelsziel für das Projekt erreicht wird.

 

A.O.: Man kann es auch so sehen: Bei einem solchen privaten Projekt könnte die Rendite genauso gut in die Pensionskasse oder sonst wohin laufen; hier läuft sie nun immerhin in den öffentlichen Zweck hinein, den das Stadion erfüllt. Der Rest der Rendite fliesst überwiegend in unsere Pensionskassen.

 

Die GegnerInnen machen sich Sorgen, dass das Projekt Ensemble für unsere Nachkommen zum Verlustgeschäft wird, und rechnen vor, dass die Stadt der CS beim Heimfall in 90 Jahren viel mehr zahlen muss, als was fällig würde, wenn das Baurecht an eine Genossenschaft ginge – und zwar auch dann, wenn das Projekt dannzumal nichts mehr wert sein sollte.
D.L.: Fällig werden 80 Prozent des Werts, und wenn die Türme sich dann verlottert präsentieren sollten, mit eingeschlagenen Scheiben und von Fledermäusen bewohnt, dann gilt: 80 Prozent von null Franken Wert sind null Franken… Umgekehrt kann die Stadt 20 Prozent des Anlagewerts behalten, also 20 Prozent dessen, was dannzumal als Verkehrswert eingesetzt wird. Natürlich zahlt man den Gemeinnützigen beim Heimfall weniger, aber sie haben auch andere Bedingungen; es ist einfach nicht vergleichbar. Und was in 90 Jahren sein wird, weiss ich schlicht nicht.

 

A.O.: Solche Zahlenspekulationen sind reines Kaffeesatzlesen.

 

Was sagen Sie jenen, die Nein stimmen wollen, damit die Hardturm-Brache erhalten bleibt?
A.O.: Die Grundkonstellation ist nach wie vor die, dass die Stadt das Land von der CS zum Vorzugspreis von 50 Millionen Franken erhalten hat mit der Auflage, dass dort ein Stadion gebaut werden muss. Kommt das nicht zustande, kann die CS das Land zum selben Preis zurückkaufen. Der Verkehrswert beträgt heute allerdings mindestens das Doppelte. Basierend auf der geltenden BZO könnte die Credit Suisse auf dem Areal so richtig hinklotzen – sogar Hochhäuser bauen und hohe Renditen erzielen. Wenn die Stadt an diesem Ort also einen Park mit Brache bauen möchte, müsste sie dafür wahrscheinlich Steuergelder von über 100 Millionen Franken in die Hand nehmen. Wer also glaubt, ein Nein zum Stadion sei ein Ja zur ewigen Brache, hegt eine Illusion.

 

D.L.: Auf der Brache wurde ohne Zweifel Tolles geleistet, sie ist ein urbanes Biotop – aber sie war stets ein Biotop auf Zeit, was ja auch ihren Charme ausmacht. Ein Nein zum Stadion ist keine Garantie für einen alternativen Quartierpark für Zürich-West.

 

Bei einem Nein hätten wir schneller ein neues Stadion, sagen die einen, und die anderen raten dazu, einfach abzuwarten, bis all die angekündigten Rekurse das Projekt gebodigt haben. Wer hat recht?
A.O.: Bei einem Nein müssten wir wieder bei Null anfangen. Dass die Stadt einfach nur Geld sprechen müsste, stimmt nicht: Es bräuchte wieder einen Wettbewerb, einen Gestaltungsplan etc. Das Landstück und damit das mögliche Layout von Stadion und weiteren Gebäuden wären immer noch gleich, etliche rechtliche Fragen wären offen, kurz: Vor 2026/2027 wäre garantiert nichts gebaut. Und auch bei einem anderen Stadionprojekt sind Rekurse wahrscheinlich. Leider gilt das für fast alle Grossprojekte in Zürich.

 

Wenn sich mit so vielen guten Argumenten erklären lässt, weshalb das Projekt Ensemble ein Ja verdient, warum ist es Ihnen dann nicht gelungen, Ihre Parteien davon zu überzeugen?
A.O.: Die SP hat nach dem Scheitern des letzten Projekts im Gemeinderat die Forderung nach gemeinnützigen Wohnungen als Teil eines allfälligen neuen Stadionprojekts platziert und dann den Projektierungskredit, die ‹Initialzündung› des heutigen Projekts, unterstützt. Auch den Zusatzkredit von einer Million Franken für den Investorenwettbewerb hat sie im Gemeinderat mitgetragen. Im Zuge der Kommissionsverhandlungen lief die SP dann aber in eine ganz andere Richtung. Ob man das hätte erwarten müssen oder nicht, ist eine offene Frage; von den Anzeichen her, die ich am Anfang hatte, hätte ich eher erwartet, dass noch etwas an der Vorlage herumgeschraubt wird. Das wurde anscheinend probiert, doch dann geschah via Kommissions- und Fraktionsmitglieder sowie Geschäftsleitung eine sehr geschlossene Positionierung der Partei. Diese konnten die Stadtpräsidentin und ich nicht mehr umstossen; unsere Argumente sind verhallt.

 

D.L.: Dass zweimal Interna aus der Kommission an die Öffentlichkeit gingen, Absender unbekannt, und die SP danach ihren Rückweisungsantrag via ‹Tages-Anzeiger› stellte, war schon speziell und machte die Debatte schwierig. Die Grünen sind allerdings bei Stadionprojekten stets skeptisch. An der Mitgliederversammlung haben rund 40 Prozent Ja gestimmt. Das zeigt, dass das gesamte Paket von Stadion und Wohnbau viele Grüne überzeugt.

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