«Das Amt der Werbeleiterin hiess damals noch ‹Agitation›»

Heute Freitag hat Emy Lalli ihren letzten Arbeitstag als Politische Sekretärin der SP Zürich. Über ihren Einstieg in die Politik, schöne und weniger schöne Erlebnisse und ihre Pläne für die Zukunft gibt die ehemalige Kantonsratspräsidentin im Gespräch mit Nicole Soland Auskunft.

 

Heute werden Sie als langjährige Mitarbeiterin der SP Zürich pensioniert, aus verschiedenen Ämtern, namentlich dem Kantonsrat, traten Sie schon früher zurück. Lag es eigentlich ‹nur› an Ihrem Interesse an Politik, dass Sie vor 30 Jahren der SP beigetreten sind, oder gab es noch andere Gründe?

 

 

Emy Lalli: Die gab es tatsächlich: Als meine Tochter Rahel geboren wurde, erledigte ich Heimarbeit für die Siemens, was mich aber nicht auslastete. Also schloss ich mich einer Gruppe im Quartier an. Es waren hauptsächlich Leute aus der Genossenschaft, wo ich heute noch wohne. Sie engagierten sich für Verkehrsberuhigung im Quartier und setzten sich fürs Entschärfen einer Kreuzung ein, welche die Schulkinder überqueren mussten.

 

 

Wie gingen Sie vor?
Wir starteten verschiedene Aktionen und besuchten sogar, als Samichlaus und Schmutzli verkleidet, den damaligen Tiefbauvorsteher Ruedi Aeschbacher. Wir schrieben auch PolitikerInnen aus dem Kreis 9 an – mit dem Resultat, dass uns einer von ihnen, Peter Stirnemann von der SP, tatkräftig unterstützte. Das faszinierte mich, und so sagte ich mir: Jetzt trete ich der SP bei. Ich war schon immer politisch interessiert, schon als Schülerin, ging immer stimmen und wählen, mehrheitlich links. So bin ich zur SP gekommen.

 

 

Wo Sie sich sogleich engagierten – im P.S.-Interview zu Ihrem Abschied aus dem Kantonsrat im März 2015 erklärten Sie, Sie hätten mitgeholfen, die SP 9 wieder auf Vordermann zu bringen: Worin bestand die ‹Baustelle›?
Als ich 1987 der SP 9 beitrat, waren wir von der Mitgliederzahl her zwar grösser als heute. Doch unsere Sektion stand weder mit der städtischen noch mit der kantonalen SP auf gutem Fuss, und in unserem Vorstand regte sich oft Widerspruch gegen das, was von Stadt- oder Kantonalpartei kam.

 

Sie mussten also erst Ordnung schaffen?
Ich fand, wir gehörten doch zur Stadt- wie auch zur Kantonalpartei und sollten uns deshalb auch darum bemühen, dort wieder reinzukommen und uns zu vertragen. Daran zu arbeiten, war zwar nicht einfach, doch mit der Zeit stiessen auch neue Leute zu uns, und so klappte es schliesslich.

 

Ihre Politkarriere war damit lanciert?
Ja, bereits 1989 wurde ich in den Vorstand der SP 9 gewählt. Heute ist die Sektion gut aufgestellt. Natürlich gab es unterdessen einige Veränderungen. Früher hatten wir beispielsweise mehr Mitglieder als heute, darunter viele GewerkschafterInnen, aber auch viele ältere Leute, die uns nun langsam wegsterben.

 

 

Was war Ihr erstes Amt ausserhalb der Sektion?
Ich war von 1989 an in der Bezirksschulpflege als Kindergarteninspektorin tätig, bis diese Funktion 1995 abgeschafft wurde. Zudem engagierte ich mich in unserer Genossenschaft.

 

Was stand dort an?

Als ich einzog, durften zum Beispiel die Kinder nicht auf dem Rasen spielen – und das in einer Genossenschaft, in der SPler (es waren damals nur Männer) das Sagen hatten…

 

 

Sie fingen an, zum Rechten zu schauen?
So einfach war das nicht, im Gegenteil: Ich erlebte eine unschöne Geschichte.

 

 

Was lief schief?

Es wurde jemand gesucht für den Vorstand der Genossenschaft. Der war damals ein reines Männergremium. Ich fand, es wäre an der Zeit, dass auch eine Frau mitreden könnte, und kandidierte für den freien Sitz – zu vergeben war das Buchhalteramt. Einige Frauen halfen mir und setzten sich für mich ein und auch einige, wenige, Männer, doch dann suchte der alte Präsident hinter meinem Rücken einen Mann. An der Generalversammlung kam es folglich zur Kampfwahl.

 

 

Wo Sie die schlechteren Karten hatten?
Objektiv gesehen sicher nicht: Ich hatte nach meiner Lehre als Eisenbetonzeichnerin erst auf dem Beruf gearbeitet und später noch die Handelsschule und die WerbeassistentInnenschule absolviert. Der männliche Kandidat war schlechter ausgebildet als ich. Doch es wurde argumentiert, einer Frau, die bei den Kindern zuhause sei, könne man ein solches Amt nicht anvertrauen, und so wurde der Mann gewählt. Ich ging nach Hause, heulte und war wütend. Eine solche Diskriminierung hatte ich noch nie erlebt, und das, obwohl ich jahrelang in einem Männerberuf gearbeitet hatte.

 

 

Womit Ihr Engagement für die Genossenschaft zu Ende war?
Nein, im Gegenteil: Nur rund zwei Jahre später musste die Genossenschaft den Mann gehen lassen, denn er hatte die Finanzen überhaupt nicht im Griff. Da sagte ich mir: So, jetzt kandidiere ich nochmals. Dieses Mal klappte es, doch ich bekam ein anderes Ressort zugeteilt, nämlich Vermietungen und Reparaturen. In unserer Genossenschaft gibt es bis heute keine Verwaltung, der Vorstand macht alles selber. Wenn jemand ein Problem hatte, organisierte ich die Handwerker, wobei ich vorzugsweise jene berücksichtigte, die bei uns in der Genossenschaft wohnten. Mit anderen BewohnerInnen zusammen sorgte ich zudem dafür, dass der Samichlaus kam oder dass wir einen Räbenliechtliumzug auf die Beine stellen konnten. So lebte die Genossenschaft auf, und die Kinder durften endlich auch auf dem Rasen Fussball spielen, und den Parkplatz auf dem Kehrplatz habe ich aufgehoben, da können die Kinder heute Velofahren, Fussballspielen etc. 1995 übernahm ich dann das Präsidium der Genossenschaft.

 

 

Zusätzlich zu weiteren Ämtern in der SP, nehme ich an.
1990 wurde ich Werbeleiterin der SP 9 – das Amt hiess damals noch «Agitation». Wir waren eine sehr gute Gruppe und haben alles mögliche gemacht. 1993 wurde ich Co-Präsidentin der SP 9, und von 1997 bis 1999 übernahm ich das Präsidium. 2002 erfolgte meine Wahl in die Sozialbehörde der Stadt Zürich, der ich nach wie vor angehöre. Auch in der Geschäftsleitung (GL) der SP Zürich bin ich seit gefühlt einer Ewigkeit. Von 1998 bis 2003 war ich deren Vizepräsidentin; Präsident war damals Koni Loepfe. Sodann wurde ich als Politische Sekretärin angestellt und musste, wie alle mit einer Festanstellung bei der Partei, die GL verlassen – nur um sogleich wieder einzutreten, und zwar als Politische Sekretärin von Amtes wegen. Von 1995 bis 2015 war ich schliesslich Mitglied des Kantonsrats und dort von 2007 bis 2011 Mitglied der Spezialkommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, von 2011 bis 2015 Mitglied der Geschäftsprüfungskommission – und nicht zuletzt auch Präsidentin im Amtsjahr 2004/05.

 

 

Was bleibt Ihnen in bester Erinnerung?
Das Jahr als Kantonsratspräsidentin, das war einmalig. Ich habe dieses Amt sehr gern ausgeübt. Die vielen Kontakte mit verschiedenen Leuten waren spannend, vor allem, wenn ich im ersten Moment gedacht hatte, wie soll das gehen, ausgerechnet mit dem/der am gleichen Tisch… Die Erfahrung, dass man nicht gefeit ist vor Vorurteilen, war wertvoll: Wie anders man doch die Dinge sehen kann, nachdem man sich aufeinander eingelassen und miteinander geredet hat, und sei es nur für einen Abend – es ist immer wieder erstaunlich. Das hat mir auch im Beruf weitergeholfen.

 

 

Sie hatten es als Angestellte der SP Zürich nicht nur mit pflegeleichten Leuten zu tun, nehme ich an?
Ich kann grundsätzlich gut mit Leuten umgehen, die eine andere Meinung haben oder etwas bockig sind. Wenn ich Mühe mit andern Meinungen habe, dann vor allem in der Sozialpolitik und namentlich mit jenen Leuten, die abschätzig über SozialhilfebezügerInnen reden oder behaupten, diese hätten mit 980 Franken im Monat zu viel Geld zur Verfügung. Das beelendet mich. Deshalb bin ich nun auch im Vorstand der Unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht UFS. Seit kurzem bin ich übrigens auch im Vorstand der Winterhilfe, und in jenem der Kinderspitex war ich während vielen Jahren.

 

 

Was hätten Sie rückblickend noch gern erreicht, beziehungsweise gibt es etwas, dessen Nichtzustandekommen Sie ärgert?
Dazu kommen mir die sozialpolitischen Vorstösse im Kantonsrat in den Sinn, die unsere Fraktion nicht durchgebracht hat, oder auch die Revision der SKOS-Richtlinien, die immer rigider werden. Sonst aber habe ich mir nicht bestimmte Sachen vorgenommen, die ich dann unbedingt erreichen wollte: Ich gehe pragmatisch an die Arbeit heran – und wenn man so lange politisiert und im bürgerlich geprägten Kantonsrat immer wieder zu den VerliererInnen gehört, dann ist man nun mal nicht mehr so optimistisch und freut sich über jeden kleinen Sieg.

 

 

Hat es Sie nie gereizt, in den Gemeinderat zu wechseln, sprich bei den GewinnerInnen zu sein?
Nein, ich wünschte mir von Anfang an einen Sitz im Kantonsrat; ich wollte nie in den Gemeinderat. Mich haben die Gesetzesrevisionen gereizt, die man im Kantonsrat machen kann. Im Gemeinderat ist das nur am Rande möglich, und manchmal kann man als Städter­In nicht mal mitreden, obwohl die Stadt von einer Änderung stark betroffen ist.

 

Das ständige Verlieren im Kantonsrat hat Sie wirklich nicht gestört?
Doch, am Anfang hat es mich natürlich sehr gestört, doch irgendwann muss man akzeptieren, dass es nun mal so ist: Das Volk hat seine Leute gewählt, damit müssen wir leben. Aber ich habe ab und zu – gerade auch, wenn wir uns mit der Kantonalpartei gerade nicht einig waren –, gedacht, es wäre halt schon schön, wenn die Stadt Zürich ein eigener Kanton wäre.

 

 

So oder so: Heute ist Ihr letzter Arbeitstag, ab morgen sind Sie pensioniert. Was packen Sie als nächstes an?
Die SP ist mir in all den Jahren sehr ans Herz gewachsen, ich war immer aktiv, und ich engagiere mich weiterhin. In der Sozialbehörde bleibe ich sicher bis zu den nächsten Wahlen im Jahr 2018; ob ich dann nochmals aufgestellt werde, wird sich weisen. Sehr gern möchte ich auch noch etwas machen, wofür man bezahlt wird, um mir mal etwas leisten zu können, was sonst nicht drinläge. Wobei ich diesbezüglich natürlich auf hohem Niveau jammere: Für mich allein reicht es gut. Aber ich verwöhne eben auch gerne meine vier Enkelkinder, was nicht immer nur kostenlos geht.

 

Welche Art Job könnten Sie sich vorstellen?

Etwas, was mit Organisieren zu tun hat; darin bin ich gut. Und ich müsste nicht mal ganz bei Null anfangen: Die SP hat mir zwei Mandate übertragen, die Organisation der jährlichen Veranstaltung «Risotto und rote Geschichten» sowie jene des ebenfalls jährlich stattfindenden Lottoabends. Darauf freue ich mich jetzt schon. Auch in der UFS stehen einige organisatorische Veränderungen an, die ich begleiten werde, wobei das natürlich ehrenamtlich sein wird. Aber es ist eine spannende Aufgabe, die mich reizt. Und von der SP 9 wurde ich angefragt für die Findungskommission für die Gemeinderatswahlen – solche Ehrenämter übernehme ich gerne.

 

 

Langweilig wird es Ihnen jedenfalls kaum…
Nein, aber ich werde die vielen Kontakte vermissen, die ich hier täglich pflegen konnte. Für diejenigen, die sich vor Ort für die SP engagieren, habe ich all die Jahre mit Freude alle Dienstleistungen erbracht, die sie brauchten, um ihre Standaktionen, Unterschriftensammlungen und sonstigen Aktionen durchführen zu können. Das werde ich am meisten vermissen, zusammen mit den Kontakten zu den unterschiedlichsten Menschen. Umgekehrt habe ich nun mehr Zeit für Sport, Tanzen, Lesen Nähen, Zeit verbringen mit meinen vier Enkelkindern und vieles mehr.
Zum Schluss möchte ich all meinen Mitarbeitenden danken für die gute Zusammenarbeit. Ein Dank gehört auch allen, die sich unermüdlich und ehrenamtlich für die SP einsetzen.

 

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