- Kultur
Zweikampf
Im bald 140-jährigen Roman «Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde» von Robert Louis Stevenson handelt es sich zwar um ein- und dieselbe Figur, aber die darin verhandelte Konfliktlinie lässt sich tänzerisch sehr viel eindringlicher mit zwei Tänzern umsetzen. Keshaw Manna und Hamiro Lee Joannes, niederländische Tänzer, die sich entlang der Schnittstellen von urbanem und zeitgenössischem Tanz bewegen, zerlegen das Duell dieser beiden unheimlichen Kräfte in seine Einzelteile. Die bare Kraftanwendung alias körperliche Aggression und ihr diametral exakt entgegengesetzes Begehren der sanftmütigen Sehnsucht nach Unversehrtheit und Schutz steigern die beiden unter Einsatz einer ausnehmend raffinierten Verwendung von Lichteffekten und unter Einbezug sowohl regelrecht szenischer Elemente, HipHop-Battleformen und zeitgenössischem Ausdruck als Tanz in eine regelrecht physisch erlebbare Dringlichkeit. Aus den Gegensatzpaaren Liebreiz und Brutalität, Angriff und Flucht, heroischer Sieg und elendiglicher Niedergang entwickeln sie narrativ komplett intuitiv erfassbar und in sich abgerundet eine Endlosbewegung. Eine, die das in der Theorie eigentlich Befremdende des gegenseitigen Bedingens zweier Extreme in einen ästhetisch ungeheuer ansprechend schönen Reiz überführt. Beide Seiten dieser Medaille verströmen neben ihrer sichtlichen Anstrengung auch eine nachgerade genüssliche Befriedigung, was die Ambivalenz des getanzten Themas in eine gefühlte Ambivalenz gegenüber beiderlei Aktionen bewirkt. Also mittels Bühnengeschehen weit über das effektive Handeln hinausweist und einen berührt. Unfreiwillig und vor allem nicht bequem. Denn jede emotionale Hinwendung zur Aggression würde die nüchterne Betrachtung entschieden und weit von sich weisen wollen, während natürlich diese Kulturleistung ihren Tribut kostet, was dem lieben Frieden willens gern unterschlagen wird. Faszinierend unheimlich und umgekehrt.
«Dr. Jekyll & Mr. Hyde», 31.1., Fabriktheater, Zürich.