2 Räder, die den Horizont erweitern

Das neuste Angebot des Solinetzes Zürich heisst Züri-Velo, und sein Ziel ist so einfach wie genial: Geflüchtete Menschen können in speziellen Gratiskursen das Velofahren lernen.

 

Die ersten zwei Velofahr-Lektionen des Pilotkurses haben die sieben geflüchteten Frauen und Männer hinter sich, diesen Sonntag folgt die dritte. Auf die Frage, wie sie auf diese gute Idee gekommen sei, antwortet Initiantin Kristin Hoffmann mit entwaffnender Ehrlichkeit: «Ich habe sie geklaut.» Ein solches Angebot existiere nämlich bereits in Berlin (vgl. www.bikeygees-berlin.org), und «als passionierte Velofahrerin war ich sogleich begeistert davon». Als Mitglied der SP Zürich 10 habe sie, die sich zuvor nicht aktiv in der Flüchtlingsbetreuung engagiert habe, an einem Parteitreffen zum Thema Migration Verena Mühlethaler kennengelernt, die Pfarrerin am Offenen St. Jakob und Präsidentin des Solinetzes Zürich. «Ihr erzählte ich von meiner Idee, Velofahrkurse für Flüchtlinge anzubieten, und sie entgegnete, ‹mach das doch!›», erinnert sich Kristin Hoffmann. Und so legte sie los. Unterdessen hat sie für das Projekt Züri-Velo, das unter der Schirmherrschaft des Solinetzes Zürich steht, ein rund zehnköpfiges Team an Freiwilligen aufgebaut.

 

«Mit Kind und Kegel»

Zweck und Ziele von Züri-Velo sind rasch zusammengefasst: «Wir sind überzeugt, dass das Velofahren für geflüchtete Menschen im Kanton Zürich ein grundlegender Baustein auf dem Weg zu individueller Mobilität ist. Denn auch wenn sie viel zu Fuss unterwegs sind, so fühlen sie sich, gerade in Unterkünften in ländlichen Gegenden, dennoch isoliert – und um den öffentlichen Verkehr nutzen zu können, fehlt ihnen das Geld. Das Velofahren ist da eine naheliegende Lösung, um das neue Lebensumfeld zu erkunden». Ebenso klar wie diese Feststellung ist für das Züri-Velo-Team aber auch, dass die geflüchteten Menschen, besonders Frauen, aber auch Männer, Unterstützung brauchen: «Viele geflüchtete Menschen haben das Velofahren nie erlernt, sei es, weil es in ihren Herkunftsorten keine entsprechende Infrastruktur gibt oder weil es ihnen, was häufig auf Frauen zutrifft, aus kulturellen Gründen nicht erlaubt war», erklärt Kristin Hoffmann. «Ausserdem sind die Teilnehmenden mit den hiesigen Verkehrsregeln nicht vertraut und müssen diese erst erlernen.» Der wichtigste Teil des Projekts bestehe denn auch darin, an die potenziell am Projekt interessierten Menschen heranzukommen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Im zurzeit laufenden Pilotkurs habe sich allerdings bereits bei der zweiten Lektion gezeigt, dass das Interesse noch grösser sei als vermutet: «Die Leute kamen mit Kind und Kegel», umschreibt Kristin Hoffmann den ‹Aufmarsch› an interessierten ZuschauerInnen .

 

Unterstützt durch Pro Velo

Nach dem Pilotkurs werde das Team auf jeden Fall weitermachen, wobei es wohl zwischen Weihnachten und Mitte März eine Winterpause geben werde. «Die nutzen wir dazu, das Konzept anzupassen und die Logistik auf Vordermann zu bringen.» Darunter fällt etwa Lagerung und Unterhalt der Übungsvelos, die das Sozialdepartement der Stadt Zürich zur Verfügung gestellt hat. Was durchaus einleuchtet, ist doch im Masterplan Velo unter dem Programmpunkt «Velofahren für alle» festgehalten, der Veloanteil könne nur markant gesteigert werden, wenn es gelinge, «alle Alters- und sozialen Gruppen nachhaltig zur Velonutzung zu motivieren», was auch durch Schulung erfolgen müsse. Die Velos sind zurzeit noch in einem Provisorium gelagert, doch auch hier biete die Stadt Hand für eine definitive Lösung, sagt Kristin Hoffmann.

 

Umso besser, denn das Züri-Velo-Team hat bereits neue Ideen in der Pipeline: «Uns schwebt vor, den geflüchteten Menschen künftig ein Velo zum Behalten anzubieten. Die Velos stammen aus Privatspenden. Fünf fahrtaugliche Velos haben wir bereits erhalten.» Die Velos werden nicht gratis sein, die Preise jedoch variabel und dürften, je nach persönlicher Situation des geflüchteten Menschen, zwischen fünf und rund fünfzig Franken schwanken. In diesem Preis ist nicht nur das Velo inbegriffen, sondern auch ein Helm und ein Schloss, finanziert durch private Spenden. «Die Schlösser gibt uns Pro Velo Kanton Zürich zum Einkaufspreis ab», sagt Kristin Hoffmann und betont, sowohl die Zürcher wie auch die Berner Sektion von Pro Velo unterstützten das Projekt nach Kräften: «Sie berieten uns beim Aufbau des Velofahrkurses und gaben uns jede Menge Tipps.»

 

Lernende werden Lehrpersonen

In einem nächsten Schritt möchte Kristin Hoffmann versuchen, Lernende von heute dazu zu motivieren, die Lehrpersonen von morgen zu werden: «Wir möchten den geflüchteten Menschen nicht nur ein Angebot machen, sondern sie mit einbeziehen, sie aktivieren und integrieren.» In dieselbe Richtung zeigt die jüngste Idee: In Zusammenarbeit mit einem Freiwilligen, der gelernter Velomechaniker ist, sollen die geflüchteten Menschen in dereinst separat angebotenen Gratis-Reparaturkursen lernen, ihr Übungs- beziehungsweise bereits gekauftes Velo zu warten und zu flicken. Die übers Velofahren gewonnene Freiheit und Selbstständigkeit soll ja nicht wegen einer banalen Scherbe auf dem Veloweg viel zu früh wieder enden…

www.facebook.com/zuerivelo
www.solinetz-zh.ch/projekte/zueri-velo

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.