Zuviel gestorben

Ich will mich nicht lustig darüber machen, aber ich sehe den Skandal nicht und auch nicht das Verbrechen dahinter. Gut, es ist kein Verbrechen. Eine Verfehlung eher. 

In Wetzikon nämlich wurde eine leere Urne beigesetzt, denn kurz vor der Beerdigung war die volle, also die richtige, auf dem Friedhof schlicht nicht mehr auffindbar. Spurlos verschwunden. Der Friedhofsleiter musste eine Lösung finden und entschied spontan und schnell, einfach eine andere Urne zu nehmen. Da alle Urnen auf diesem Friedhof in Wetzikon gleich aussehen, wie ich jetzt weiss, fiel das auch gar nicht auf. Jetzt kann man natürlich sagen, dass das furchtbar pietätlos ist. Die Trauernden meinen, die Asche des Verstorbenen beizusetzen, dabei ist da gar nichts drin in der Urne. Als ich den Artikel im ‹Tages-Anzeiger› gelesen und mir sehr viele, also viel zu viele, ich weiss, Gedanken darüber gemacht hatte, fiel mir trotzdem schlicht keine bessere Idee ein, wie man das Problem sonst hätte lösen können. Da ist der Zeitfaktor: Das Verschwinden der Urne wurde ja erst 30 Minuten vor der Beerdigung festgestellt. Da sind doch alle schon unterwegs zum Friedhof, nicht wahr? Würde man die dann anrufen, die Trauerfamilie, und ganz offen und ehrlich und transparent sagen, man solle doch zu einem späteren Zeitpunkt, an einem anderen Tag, gerne wiederkommen, die besagte Urne und damit der Tote seien gerade nicht mehr da? Wäre das weniger pietätlos? Ich überlege mir, das irgendwo festzuhalten. Sollten ich oder mir nahestehende Verwandte verloren gehen auf dem Friedhof, dann hätte ich gerne stillschweigend einen Ersatz und man kann dann, ohne weitere Information, irgendwann die richtige Urne beisetzen, wenn sie wieder auftaucht. So wie man das in Wetzikon auch gemacht hat. 

Aber so Beerdigungen sind ohnehin selten frei von Skandalen, muss man sagen. In der gleichen Zeitung ist zu lesen, dass sogar beim Papst nicht alles rund lief. Es geht dabei um die Inschrift auf seinem Grabstein. Um Dilettantismus, um genau zu sein. Der Papst, das wissen wir ja nun alle, wollte keinen Pomp und Firlefanz, einzig «Franziscus» sollte auf dem Grab stehen. Und steht es nun auch, in weissen Marmorstein gemeisselt. Aber hier liegt das Problem, denn die Abstände zwischen den Buchstaben sind so unregelmässig, dass es sogar mir als Laiin auffällt. «Ein typografisches Kriegsverbrechen» sei das und Starwerber:innen und Bildhauer fragen sich entsetzt, wie so etwas passieren konnte und stehen allesamt vor einem Rätsel. Nun geht mir der arme Bildhauer aus Ligurien nicht mehr aus dem Kopf, der das verbrochen hat – noch weiss man allerdings nicht, wer es ist. 

Aber lassen wir den Stein beiseite, kommen wir zum Punkt. Besser zum Papst. Die massenhafte Berichterstattung rund um dessen Tod hat diesen oder jene meiner Bekannten auf Social Media zum Nachdenken angeregt. «Ein Toter, der Papst, bringt Blätter und Sender momentan zu endlosen Huldigungen, Nachrufen, Kniefällen und Glorifizierungen. Von den Toten im Sudan, vornehmlich jenen in Darfur, redet dagegen kaum jemand. 150 000 sind es mittlerweile, 13 Millionen Menschen sind in zwei Jahren Krieg vertrieben worden. (…) Das Flüchtlingslager Samsam mit einer halben Million Bewohner ist in den Händen der Miliz, die vor Kurzem sämtliche Mitarbeiter der einzigen funktionierend Klinik erschossen hat. Aber eben – bildwirksame Prominente gibt es keine im Lager. (…) Wenn Massen sterben, dann anonym – das ist ein Axiom der Inhumanität.» Roland Falk schreibt das, ein beobachtender Zeitgenosse und pensionierter Journalist. Nun frage ich mich, ob man das kann. Ob man das gegeneinander ausspielen kann. 

Die Antwort ist Ja. Man kann. Und nicht nur das, man muss. Es wird so viel gestorben und viel zu oft aus den falschen Gründen. Menschen sterben auf der Flucht. Menschen sterben in Kriegen. Menschen sterben in Lagern. Menschen verhungern. Frauen sterben durch Männerhände. Kinder sterben an Krankheiten, weil sie nicht geimpft sind. Menschen sterben mangels medizinischer Versorgung. 

Es wird zuviel gestorben, aber viel zu wenig darüber berichtet. Wir müssen darauf hinweisen. Immer. Und dafür darf man den Tod eines Papstes durchaus zum Anlass nehmen.