Züri uf de Felge?
Jubiläums-Velodemo, Mikrozensus Verkehr, Umsetzung Städteinitiative: Velomässig war in den letzten Tagen viel los in Zürich.
«Rein aufs Auto ausgerichtet», so präsentierte sich die Schweiz anno 1973, erzählt Roland Wiederkehr, damals 30 Jahre alt und Geschäftsleiter des WWF, am 2. Juni auf dem Werdmühleplatz in Zürich. Es habe viel mehr Verkehrstote gegeben als heute, fährt er fort, darunter überdurchschnittlich viele Velo- und Töfffahrer:innen. Für ihn und seine Mitstreiter:innen sei klar gewesen, dass es nötig sei, rechtzeitig anzufangen und langsam die nötige Infrastruktur fürs Velo aufzubauen, sonst komme «Züri uf d’ Felge». Züri uf de Felge lautete denn auch das Motto, als eine überschaubare Schar Velofahrer:innen, phantasievoll verkleidet und geschmückt, am 23. Juni 1973 – bei strömendem Regen, wie die NZZ berichtete –, zur ersten Velodemo aufbrach.
Doch warum erzählte Roland Wiederkehr diese Geschichte ausgerechnet letzte Woche, und warum auf dem Werdmühleplatz, wohin der 80-Jährige mit dem E-Bike von Aesch aus via Waldegg in einer knappen halben Stunde gefahren war? Vom Donnerstag, 1. Juni bis zur Jubiläums-Velodemo vom Samstag, 3. Juni, dem internationalen Tag des Velos, fand ein Demovorlauf statt: «Um für die zweistündige Demo richtig warm zu werden, radeln wir schon während der 48 Stunden zuvor durch die Stadt – ununterbrochen bis zur Demo! Zur jeden vollen Stunde kann man sich beim Klimapavillion am Werdmühleplatz dazugesellen», so die Ankündigung. Und so fand logischerweise auch die Medienorientierung zum Jubiläumsanlass dort statt. Zur vollen Stunde am Freitagmorgen um zehn machten zwar nur gerade zwei Radler:innen Halt, sie versicherten aber, dass insbesondere während der Nacht ziemlich viele und vorab junge Leute unterwegs gewesen seien. Dass diese dann nicht bereits «frühmorgens» wieder auf den Rädern waren, ist ja auch verständlich…
Vor Ort war dafür Andrea Freiermuth von Pro Velo Kanton Zürich, die auf die Forderungen der beteiligten Organisationen – nebst Pro Velo die Velo Mänsche Züri, Velorution und die Grünen Stadt Zürich – hinwies. Denn das Anliegen von damals sei «leider noch immer von hoher Aktualität».
Die Forderungen reichen denn auch von der simplen Feststellung, dass eine grosse Mehrheit der Stimmberechtigten die Velorouten in Zürich an der Urne gutgeheissen hat und dass diese Routen deshalb umzusetzen sind, bis zur Aufforderung, dass dies zügig und ohne Kompromisse bei der Sicherheit zu geschehen hat: Auf dass «Züri uf de Felge» dereinst bloss noch ein hübsches Wortspiel ist…
Immerhin: Die bewilligte Velodemo vom Samstag fand bei gutem Wetter statt. Je nach Quelle nahmen rund 2000 (‹Tagi›) oder auch zwischen 5000 und 6000 (Pro-Velo-Webseite) Velofahrer:innen teil, und die Stimmung war gut.
Wie weiter?
Am Montag verschickte die Stadt Zürich eine Medienmitteilung zum sogenannten Modalsplit. Damit sind die Anteile verschiedener Verkehrsmittel am Gesamtverkehr gemeint, und zwar in einem bestimmten Gebiet und in einem definierten Zeitraum. Der Modalsplit, auf den sich die Stadt in ihrer Mitteilung bezieht, wurde auf Basis des Mikrozensus Mobilität und Verkehr gebildet, den das Bundesamt für Statistik und das Bundesamt für Raumentwicklung alle fünf Jahre erheben.
Gemäss Webseite des Bundesamts für Statistik werden dafür jeweils rund 55 000 zufällig ausgewählte Personen in der ganzen Schweiz telefonisch unter anderem dazu befragt, welche Distanzen sie täglich zurücklegen, welche Verkehrsmittel sie dabei benützen und aus welchen Gründen sie unterwegs sind.
In der Medienmitteilung der Stadt findet sich aber auch der Hinweis, diese Datenerhebung sei im März 2020 wegen der Pandemie abgebrochen und stattdessen im Jahr 2021 durchgeführt worden: «Allerdings war das im Mikrozensus 2021 erhobene Mobiltiätsverhalten in der Schweizer Bevölkerung immer noch stark von der Pandemie geprägt.» Die von der Stadt und den Verkehrsbetrieben durchgeführten jährlichen Verkehrs- und Passagierzählungen zeigten, dass das Gesamtverkehrsaufkommen in Zürich in den beiden Jahren 2020 und 2021 deutlich zurückgegangen sei. Besonders stark nahm die Nutzung des öV ab. Die Daten aus den Jahren 2020 und 2021 sind laut der Stadt deshalb «nicht geeignet, um die längerfristige Entwicklung des Verkehrs und Mobilitätsverhaltens in der Stadt Zürich zu beurteilen».
Städteinitiative-Ziel «weit verfehlt»?
Das Modalsplit-Ziel der Stadt basiert auf der «Städteinitiative», die 2011 an der Urne angenommen wurde. Betrachtet man die Zeitspanne zwischen 2010 und 2021, «wird die Zielvorgabe weit verfehlt», heisst es in der Medienmitteilung der Stadt: «Anstatt wie angestrebt um zehn Prozentpunkte zu steigen, hat der prozentuale Anteil des öV, Fuss- und Veloverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen in diesem Zeitraum lediglich um 1,7 Prozentpunkte von 69,8 auf 71,5 Prozent zugenommen.» Doch mit der «Normalisierung der Gesundheitslage» im Verlauf des Jahres 2022 hat sich auch das Mobiltiätsverhalten wieder geändert. Es wird wieder deutlich mehr Velo gefahren als 2021, als zudem das Wetter häufig schlecht war. Die Stadt stuft das Ziel der Städteinitiative deshalb weiterhin als «erreichbar» ein.
Dem widerspricht der Geschäftsleiter von UmverkehR, Silas Hobi, in seinem Medienkommentar vom Montag. Indem die Stadt die Schuld allein auf Corona abschiebe, mache sie es sich zu einfach, schreibt er: «Es war bereits absehbar, dass die Ziele verfehlt werden. Ausserdem hat es die Stadt während Corona versäumt, mit beispielsweise Pop-up-Velowegen den Verkehr auf sinnvolle Bahnen zu lenken.» Die Stadt müsse nun «endlich vorwärtsmachen».