«Zu meinen, unersetzbar zu sein, ist furchtbar»

Markus Bischoff muss nächsten Montag zu seiner letzten Kantonsratssitzung. Mit ihm verliert die AL einen ihrer besten Redner im Parlament, auf dem Parteispektrum ihren am breitesten geschätzten Politiker und überhaupt einen der bissigsten linken Kantonsräte. Aber so schlimm ist das gar nicht.

 

Seit 16 Jahren trabt Markus Bischoff fast jeden Montagmorgen mal im Rathaus, mal in der Halle 9, mal in der Bullingerkirche an. Als Fraktionspräsident ist es ihm nicht einmal vergönnt, auch die trockensten Sitzungen aus dem AL-Eck einfach auditiv aufzunehmen – fast jede Woche muss er mindestens einmal ans Redepult. Was er immer gern gemacht hat. So überrascht es auch nicht, dass er das Debattieren und Diskutieren am ehesten vermissen wird. Auch wenn das nicht immer einfach war. Irgendwann ist nunmal fertig. «Es ist auch anstrengend: Immer gibt es das Gerangel, wer jetzt den besseren Vorstoss hat, wer sofort jetzt intervenieren muss – das muss ich irgendwie nicht mehr haben. Ich habe auch die Energie nicht mehr, um mich ständig voll in Neues reinzuknien.» Schluss ist in Markus Bischoffs Fall mit 67 Jahren. Und der Rechtsanwalt freut sich sichtlich auf seine Pensionierung. Nachdem die letzten Fälle abgeschlossen sind, geht es zunächst mal auf Reisen. Weg aus dem Kanton Zürich, den er zwar nie als Wohnsitz verlassen will, aber es braucht offensichtlich eine kurze Verschnaufpause: «Ich bin in erster Linie froh, ein wenig zeitliche Freiheit zu gewinnen. Ich kann nun verreisen, wann ich will, habe keine vorgeschriebenen Ferien mehr, keine Montagmorgen mehr, die immer verplant sind.» Das sagt er nicht ohne Wehmut, aber auch mit einer gewissen Erleichterung: «Es gibt Tage, da fragt man sich: Was mache ich eigentlich hier? Und es gibt manchmal ganz spannende Geschichten. Aber: Ich konnte das jetzt 16 Jahre auskosten. Von dem her muss man sagen, es ist jetzt gut. Ich bin froh, dass es fertig ist. Und nochmals mit neuen Leuten in eine neue Legislatur, da habe ich ehrlicherweise keine Lust mehr.»

Eine lange Karriere

Das ist verständlich, denn es waren schliesslich nicht nur die 16 Jahre Kantonsrat, die an Markus Bischoff sicher auch gezehrt haben. Neben dem Kantonsparlament und dort auch dem Fraktionspräsidium blickt Markus Bischoff auf eine lange Karriere im Politikbereich zurück: Angefangen in der Revolutionären Marxistischen Liga, acht Jahre im Zürcher Gemeinderat, als Präsident des VPOD, mit Kandidaturen für Regierungs- und Nationalrat. 

Dennoch fällt im Gespräch mit Markus Bischoff auf, dass er eigentlich gar nicht über sich, sondern über die Erfolge seiner Partei sprechen will, über die er sich am meisten zu freuen scheint: «Grundsätzlich können wir schon stolz sein – wir sind zu zweit gestartet und nun ist es die dritte Legislatur als Fraktion. Eine linke Partei, die neben SP und Grünen eine Fraktion stellen kann, ist schon eine starke Leistung, auch wenn nicht mein Verdienst. Aber offensichtlich konnten wir uns Gehör verschaffen, was gut ist. In der Deutschschweiz gibt es das sonst nirgends, das darf man schon anerkennen. Politisch konnten wir einiges erreichen, zum Beispiel bei der Revision zur Gesetzgebung der individuellen Prämienverbilligung. Da konnten wir mit einem Rechtsgutachten erreichen, dass der Kreis der Bezüger:innen weiter gesetzt werden konnte. Das war eine Teamleistung und auch eine Leistung, die darauf beruht, dass wir es immer wieder schaffen, Konstruktives einzubringen. Das ist zudem auch ein Kraftaufwand. Wir sind in vielen Kommissionen gar nicht vorhanden, deshalb ist es eine umso grössere Aufgabe.»

Eine Aufgabe, die von Fachkompetenz zeugt. Qualität statt Quantität könnte man sagen. Denn ohne Kompetenz versandet die Möglichkeit, dagegenzuhalten: «Man wird nur ernstgenommen, wenn man auch etwas zu sagen hat. Als Kasperlifigur kann man nicht im Rat langfristig existieren.» Trotz der Qualität kommt man allerdings ohne Quantität nur begrenzt weit. Denn die drei Legislaturen der AL-Fraktion sind auch drei Legislaturen der Niederlagen. Einerseits als Partei, die mit heute sechs Sitzen meist – respektive wenn überhaupt – nur das Zünglein an der Waage sein kann, und andererseits als Linke im allgemeinen. «Wir müssen mit sechs Leuten eine Mehrheit holen – und deshalb verlieren wir ja in erster Linie ständig seit 12 Jahren. Das muss man schon sehen. Wir sind permanent auf der Verliererseite. Jetzt hat man wenigstens als Linke in Umweltthemen eine knappe Mehrheit… oder zumindest gehabt.» Und auch innerhalb der Minderheit wird man teils im Stich gelassen – und lässt die anderen manchmal auch im Stich: «Es gibt schon Anliegen, wo wir auch innerhalb der Minderheit verloren haben. Sobald es irgendwo um viel Macht geht, um die Regierung, ist die SP natürlich eher staatstragend gewesen. Und bei solchen Themen hatte sie nicht immer ein offenes Ohr. Gescheitert sind wir mit der Geschlechterquote in allen Ämtern, wo die SP nicht mitgemacht hat, aus welchen Gründen auch immer. Jede Quote ist natürlich eine Einschränkung des freien Wähler:innenwillens, das ist systemimmanent. Aber: Wir haben sie natürlich auch manchmal im Stich gelassen. Die AL ist schliesslich auch ein Zünglein an der Waage und hat den Bürgerlichen zum Sieg verholfen, wenn sie einen aus unserer Sicht besseren Vorschlag hatten. Das ist natürlich auch unsere Funktion. Wir sind nicht einfach Mehrheitsbeschaffer der Linken, sondern wollen auch einen Preis für unsere Mehrheit. Wenn es Nonsensgeschichten oder illiberale Vorstösse sind – lehnen wir das ab.»

Was wurmt…

Wenig überraschend also, wurmt Markus Bischoff auch einiges, was nicht durchgekommen, umgesetzt oder verhindert wurde: «Gewissen Dingen, wie dem Kampf gegen Sonntagsarbeit, muss man immer hinterherrennen, da kämpfe ich seit 20 Jahren. Oder dass der Kanton das Taxigesetz nicht in Kraft gesetzt hat, das ein wenig zur besseren Kontrolle von Uber dienen würde, ist noch nicht passiert. Die Volksabstimmung gewonnen, aber es passiert nichts. Und wenn die Volkswirtschaftsdirektion nicht handelt, dann geht es lange, bis diese Dinge umgesetzt werden.» Vielleicht hätte es also «meh Biss» auch im Regierungsrat gebraucht. Und den Versuch, diese Perspektive einzubringen, hat Markus Bischoff 2015 auch mit einer Kandidatur für den Regierungsrat gemacht – die aber auch für ihn erwartungsgemäss scheiterte. Wieso aber die Kandidatur? «Es war schon klar, dass wir es als AL nie in den Regierungsrat schaffen, dafür sind wir zu wenig breit aufgestellt. Wichtig war vor allem, dass wir danach eine Fraktion stellen konnten und uns so in der Politik festbeissen konnten. Der Nationalrat war eine andere Geschichte und ist auch eine andere Liga. 2015 hat mich das durchaus gereizt und die Kandidatur für den Regierungsrat war auch auf die Nationalratskandidatur zielgerichtet. Das Amt hat mich durchaus angesprochen, aber es wäre auch schwierig gewesen, als nicht-nationale Partei im Nationalrat vertreten zu sein. Mittlerweile ist das aber Schnee von vorgestern – Parlament habe ich gesehen.»

Die Kandidaturen geschahen vielleicht nicht ganz zufällig wenige Jahre nach der Geschichte, die Markus Bischoff die grösste politische Popularität einbrachte: Die Leitung der parlamentarischen Untersuchungskommission zur BVK-Affäre. Ein massiver Korruptionsskandal bei der Pensionskasse der kantonalen Angestellten, wo die Regierung ungenügend hingeschaut hatte, so das Fazit. Es war erst die zweite PUK im Kanton Zürich. Überraschend also, dass die Wahl der Leitung auf einen Politiker einer Kleinpartei fiel? Nicht ganz, denn nicht nur galt die AL in dieser Geschichte als unbefangen, Markus Bischoff hatte auch einige Unterstützer bei den Bürgerlichen, die ihn noch aus Gemeinderatszeiten kannten. Und heute eine Geschichte, aus der er einiges mitgenommen hat: «Es war eine Wahnsinnsarbeit für mich, wir haben monatelang am Bericht geschrieben. Es war definitiv eine Genugtuung, dass der auch gut rausgekommen ist. Politisch muss man sagen, es gibt in dieser Verwaltung immer Dinge, die nicht nach dem normalen Prozedere laufen.» Da hätte der Rat durchaus nicht genügend gut hingeschaut – trotz zwar regelmässiger Kritik seitens eines SVP-Vertreters, die aber meist «eher wirr und diffus» war. «Dementsprechend war das schon ein Lehrzeichen. Es gibt immer wieder Dinge, die unter dem Radar bleiben. Und vordergründig meint man, es läuft gut. Aber kantonale Verwaltung ist nunmal ein Gemischtwarenladen.» Das hängt auch mit dem personellen Turnus zusammen: «Auch beispielsweise ist der Wissenstransfer im Parlament immer schwierig. In gewissen Legislaturen hat man in der Finanzkommission massiv über die BVK gestritten und kaum ist jemand draussen, nimmt man das nicht mehr wahr. Das versuchen wir heute, besser zu machen. Und der andere Aspekt ist natürlich: Wo es um viel Geld geht, ist die Korruptionsanfälligkeit grösser. Und der Mensch ist anfällig auf Geld.»

…und was freut

Was heisst es also für die AL, dass Markus Bischoff in Zukunft den Diskussionen, Debatten, dem parlamentarischen Streit und dem Stress fernbleibt? Heisst es überhaupt etwas? Markus Bischoff winkt ab: «In erster Linie zeigt es, dass es uns gelingt, die AL zu erneuern. Dass es weitergeht, dass neue, jüngere Menschen nachrücken. Das ist etwas, was ich extrem wichtig finde. Dass ich als Pensionierter noch lange im Rat sitze, fände ich eigentlich nicht gut.» Einen Nicht-Wiederantritt nach dem andern wirkt die AL also mittlerweile dem etwas unangebrachten Stereotyp als Partei der alten weissen Männer entgegen. Diesen scheint sie gut zu überholen. Und Markus Bischoff reiht sich in diesen Erneuerungsgedanken erwartungsgemäss ein: «Ich will auch nicht in Zukunft im Hintergrund die AL irgendwie beeinflussen. Es ist die Zeit, dass andere dies übernehmen. So kommen ja auch neue Ideen. Ich habe zwar sicher eine wichtige Funktion in der Fraktion gehabt – aber wenn man viel Platz einnimmt, verdrängt man vielleicht auch und dann ist es gut, wenn Platz frei wird. Und wo Platz frei wird, erscheinen vielleicht auch ungeahnte Talente, das ist ja eine alte Weisheit. Zu meinen, unersetzbar zu sein, ist furchtbar.»

Neue Fraktionspräsidentin

Die Nachfolge von Markus Bischoff als Fraktionspräsident wird Anne-Claude Hensch Frei übernehmen.  Sie ist seit dem 17. August 2020 im Kantonrat und kandidierte für die AL für den Regierungsrat bei den vergangenen Wahlen. 

 

 

 

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.