Zielstrebige Zumutung

Die sieben Choreograph:innen, die Eric Gauthier eingeladen hat, je eine der sieben Todsünden in Tanz umzumünzen, streichen samt und sonders den brutalen Ernst daran hervor.

Nichtsogläubige sehen in beispielsweise der Wollust jetzt nicht unbedingt das krankhaft Plagende oder gar eine Besessenheit, der sich zu enthalten einen Mehrwert fürs Leben ergäbe. Streng genommen jedoch sind die sieben Todsünden regelrechte Heimsuchungen, die im Falle eines nicht glückenden Erwehrens oder im Mindesten der reuigen Beichte zwangsläufig in die ewige Verdammnis der Hölle führen. Bereits die Tonspur der sieben Kurzstücke lässt in ihrer flirrenden Wucht tiefer und tiefster Rhythmen kaum Zweifel zu, dass eine Bedrohung vorherrscht. So, als wären die Klänge ein Vorgeschmack darauf, welch sicherlich nochmals steigerbare Qual einen im Jenseits erwartete. Kein Lichtblick, kein Frohlocken, nirgends. Mit der Ausnahme in zwei Details – einer Verwendung von Sprache und einer von Geschrei – sind alle sieben Choreographien fern von einer rein plakativen Bebilderung, wie sich Durchschnittssünder:innen das landläufig ausmalen. Gemein ist allen Umsetzungen eine Fokussierung auf eine ursächliche und übermächtige Kraft, die von einem Körper Besitz ergreift und ihn nach Belieben gängelt. Den Menschen also zur Marionette degradiert, der unter dieser Triebsteuerung ganz offensichtlich leidet. Die Habgier bei Sidi Larbi Cherkaoui ist eine sozial isolierende Kraft, die den Menschen höchstens in der Verdinglichung seinem Begehren annähert, dafür niemals ein Gipfelerlebnis kennt. Die Faulheit bei Aszure Barton ist effizienzgetriebene Exaltiertheit, deren Minimalismus zielgenau einen einzigen Anschein im Sinn hat und letztlich doch nur in Arbeit ausartet. Der Hochmut bei Marco Moreau ist die eifersüchtig auf Aussenwirkung bedachte Selbstdrapierung, die dafür Ungelenkes bis über die Schmerzgrenze in Kauf nimmt. Die Völlerei bei Marco Goecke ist stakkatohafte Aggressivität, die sich nach allen Richtungen hinwendet, wie es bei bis oben hin vollgekoksten Personen vorkommen kann, die jegliche Kontrolle über Emotionen wie Extremitäten abgegeben haben. Die Wollust bei Hofesh Schechter ist im Gegenteil dazu die zwanghafte Selbstbescheidung, das unermüdliche Ausweichen jedweder potenzieller Schuld und sei es nur schon die Abwehr einer Begegnung damit in Gedanken. Der Zorn bei Sasha Waltz ist ein brodelnder Dampfkochtopf mit blockiertem Ventil kurz vor der Explosion, von der eine Zeitgleichheit der Gefahrenlage nach innen wie nach aussen die alleinige Gewissheit darstellt. Der Neid bei Sharon Eyal ist hochnäsiges, bis zum rücklings Umfallen versprühendes Gift, das die Überanstrengung bis zur Selbstverletzung anscheinend jeder Bemühung um Vervollkommnung unterordnet. Insgesamt ist «Seven Sins» ein absolutistisches Verdikt, die Gottesfurcht bis ins innerste Mark für lebensnotwendigen Ernst anzusehen.

Gauthier Dance: «Seven Sins», 15.4., Theater Winterthur, Winterthur.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.