Zermürbende Arbeitskämpfe

Das Silicon Valley ist der Treiber der globalen Gig Economy. Uber, DoorDash oder Amazon geben alles daran, ihre Vision der Arbeit voranzutreiben. Dagegen hilft nur, sich mit den Arbeitskämpfen der prekär Beschäftigten zu solidarisieren.

 

Florian Wüstholz

 

Anfang April war es endlich soweit. Erstmals stimmten die ArbeiterInnen eines US-amerikanischen Amazon-Standorts für die Gründung einer Gewerkschaft. So wird es bald im Amazon-Lager im New Yorker Bezirk Staten Island eine Interessenvertretung für die vielfach prekär Beschäftigten geben. Ein kleiner Erfolg in einer langen Reihe von Arbeitskämpfen in der Gig Economy. Dort versuchten in den vergangenen Monaten zahlreiche Streiks, die zementierten Bedingungen aufzubrechen.

 

Besonders Delivery-Unternehmen standen dabei im Fokus des Widerstands. So streikten im letzten Herbst in der Westschweiz RiderInnen von Smood. Sie liefern Essen von McDonald’s oder Produkte der Migros aus. Zur gleichen Zeit demonstrierten in Berlin die FahrerInnen des Delivery-Startups Gorillas. Als Reaktion kündigte die Firma den Streikenden. Auch in Istanbul gingen wochenlang die ArbeiterInnen des Delivery-Giganten Yemeksepeti auf die Strasse und weigerten sich, Einkäufe für den Marktriesen zu verteilen. Sie forderten faire Löhne und das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

 

Ein Krisenprodukt

In der Pandemie zog das Geschäft von Delivery-Unternehmen bekanntlich rasant an. Doch die Gig Economy wurde bereits in der Finanz- und Schuldenkrise geboren. Airbnb wurde 2008 gegründet, ein Jahr später folgte Uber. Die neu gegründeten Plattformunternehmen profitierten davon, dass viele ArbeiterInnen in den USA durch die Rezession ihren Job oder ihr Haus verloren. Und sie besassen die nötigen technischen Mittel, um die Situation optimal auszunutzen. Sie bieten eine schnörkellose Plattform und unkomplizierte Erwerbsmöglichkeiten.

 

Typisch für die Gig Economy ist auch die Rückkehr zu einer Lohnform, die als ausgestorben galt: der Stücklohn. Die MitarbeiterInnen von Uber werden pro Fahrt, diejenigen von DoorDash pro Lieferung bezahlt. Es gibt weder geregelte Arbeitszeiten noch einen fixen Stundenlohn. Schiebt ihnen der Algorithmus keine Aufträge zu, gehen sie leer aus. So lassen sich die unternehmerischen Risiken geschickt auf die ArbeiterInnen abwälzen und diese gleichzeitig kontrollieren und disziplinieren.

 

Durch die Pandemie breitete sich diese Form der hyperflexibilisierten Arbeit weltweit aus und die Unternehmen profitierten von zwei Strömungen. Zum einen sorgten Lockdowns und die Angst vor Ansteckungen für ein erhöhtes Bedürfnis nach Lieferdiensten aller Art. Zum anderen entschieden sich immer mehr Menschen aufgrund von Entlassungen oder Lohneinbussen dazu, eine Neben- oder Haupteinkunft als RiderInnen anzunehmen. Schätzungen gehen davon aus, dass 36 Prozent der ArbeiterInnen in den USA in der Gig Economy tätig sind.

 

Gleichzeitig stülpen die Unternehmen dem Rest der Gesellschaft ihre eigene Vision der Arbeit über. Bereits träumen Investoren von Uber öffentlich davon, wie die Gig Economy bald in allen möglichen Arbeitsbereichen Einzug halten könnte: in der Landwirtschaft, im Unterricht, auf Baustellen, in der Pflege, im Finanzbereich oder in Restaurants. Sie würden am liebsten das Zeitalter der geregelten Arbeit beenden. Die Gig Economy wäre so ein Vorbote der «schönen neuen Arbeitswelt».

 

Die mit der Gig Economy verbundenen Arbeits- und Abstimmungskämpfe sind deshalb auch über die Grenzen des Silicon Valley hinaus von grösster Relevanz, gilt doch die Gig Economy als «Labor der flexibilisierten und digitalisierten Arbeit». Bereits kündigten erste Supermärkte und Unternehmen an, ihre eigenen Lieferdienste durch «Selbstständige» zu ersetzen. Das Narrativ ist altbekannt: Man wolle «einen effizienteren Ablauf schaffen». Die Lobbyisten der Gig Economy haben auch beste Verknüpfungen zur Regierung von Joe Biden, der eigentlich versprach, ArbeiterInnen in der Gig Economy besser zu schützen.

 

Schwierige Organisation

Der Kampf gegen diese Entwicklungen gestaltet sich in den USA als besonders schwierig. Gewerkschaften haben dort seit jeher einen schweren Stand: Das «union busting» – die systematische Bekämpfung und Zerstörung von Gewerkschaften – wurde in den USA quasi erfunden. Techkonzerne wie Amazon oder Google wehren sich vehement gegen die gewerkschaftliche Organisation von ArbeiterInnen und bemühen sich, jegliche Versuche im Keim zu ersticken. Im April 2021 scheiterte zum Beispiel eine wegweisende und medial beachtete Kampagne zur Gewerkschaftsbildung bei Amazon in der Kleinstadt Bessemer, Alabama. Im dortigen Versandzentrum stimmte am Ende eine Mehrheit der Angestellten gegen die Bildung einer Gewerkschaft.

 

Die Abstimmung wurde im März dieses Jahres wegen Unstimmigkeiten wiederholt. Amazon hatte unfair in die erste Abstimmung eingegriffen. Der Konzern von Multimilliardär Jeff Bezos setzte in Bessemer auf Einschüchterung und die blanke Macht des eigenen Kapitals. Teure Beraterinnen und Berater wurden eingestellt, Angestellte mussten an Informationsanlässen teilnehmen und wurden dort darauf eingeschworen, gegen das Vorhaben zu stimmen. Es ist bekannt, dass der zweitgrösste Arbeitgeber der USA die eigene Belegschaft rund um die Uhr digital überwacht – eine Tatsache, die die freie Meinungsausäusserung nicht fördert. So erstaunt es nicht, dass Amazon auch die Wiederholung der Abstimmung im März 2022 gewann – wenn auch mit einem denkbar knappen Resultat: 993 ArbeiterInnen sprachen sich gegen die Gründung einer Gewerkschaft aus, 875 waren dafür.

 

Dass es in New York nun doch geklappt hat, könnte auf eine Zeitenwende hinweisen. Denn das Arbeitsmodell der Gig Economy gerät zunehmend unter Druck. So wird insbesondere die Scheinselbstständigkeit vielerorts angefochten. In vielen Ländern dürfen Uber und Co. ihre Angestellten nicht mehr als vermeintlich Selbstständige beschäftigen. Auch in der Schweiz wurde Uber Ende 2021 dazu verdonnert, ihre FahrerInnen anzustellen und Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Dennoch ist die Verhandlungsmacht der ArbeiterInnen in der Gig Economy immer noch gering. Viele Unternehmen können ihre Forderungen schlicht ignorieren und schnell andere RiderInnen finden. Doch angesichts der Macht von globalen Digitalunternehmen wäre es im Interesse aller, sich den Bären der Vorzüge einer «flexibilisierten und digitalisierten Arbeit» nicht aufbinden zu lassen.

 

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