(Bild: Joel Schweizer)

Zaunpfählchen

Ursus und Nadeschkin bringen einander mit dem geballten Austausch von Höflichkeiten an den Rand der Verständigungsmöglichkeit.

Ältere Leser:innen erinnern sich, dass sich die Künste inklusive der darin involvierten Personen noch bis vor Kurzem mit der Ausnahmesituation ihrer fundamentalen Infragestellung konfrontiert wiederfanden, weshalb es nicht weiter erstaunt, dass sich Nadja Sieger alias Nadeschkin zwischen zwei Gymnastikintermezzi mit einem lapidaren «Ciao» ins Private zurückzieht. Wie angeworfen, verfügt sie sogleich über profunde Kenntnisse eines Couches für psychologische Hilfestellungen, weshalb sie Ursus Wehrli alias Ursus ihre Coach zum sich Niederlegen anbietet, um in einer ausgedehnten spitzfindigen Wortklauberei alle weiteren Unklarheit durch akustische Ähnlichkeiten wie in Fakt und Fake zum Beispiel ein für allemal ausschliessen zu können. Erst der «PRSPKTVNWCHSL» macht es Nadeschkin zum ersten Mal überhaupt möglich, sich selbst bei der Arbeit zusehen zu können, worauf ihr geschulter Blick auf Anhieb erkennt: Es ist nicht anzuschauen, wie Ursus in seiner Doppelfunktion einen humoristisch gedachten Dialog dramaturgisch aufzubauen gedenkt, weshalb sie ihm als Oeuil extérieur nachgerade ungebührlich hautnah auf die Pelle rückt, ihm ergo ungefragt ihre Hilfe aufdrängt. Schnell muss sie feststellen, dass ihre mühelos erlangte Zusatzqualifikation sie nicht als Ausnahmetalent qualifiziert, denn auch Ursus hat sich in den fünf Minuten seines erstmaligen Erlebens eines selbstbestimmten Freiraums nach 39 Jahren der Bühnenpartnerschaft im Handumdrehen zum Klaviervirtuosen entwickelt. Bleibt das Singen oder wahlweise die Plüschtierattacke, denn Hochradfahren und Messerwerfen wären ja zirzensische Disziplinen, die auf einer Theaterbühne nun wahrlich nichts verloren haben. Also zurück auf Start und mittels altgedienter Technik des Magnettonbands die bereits vorab angekündigte Thematik einer scheinbar folgenlosen Ersetzbarkeit von beruflicher Artistik unter einem weiteren Blickwinkel wieder aufzunehmen und dabei so locker flockig gute Miene zum bösen Spiel auf der Bühne derart beherzt und intensiv zu kredenzen, dass der Schweiss nur so tropft und sich ein Publikum selbstgenügsam sicher sein kann, hier einer wahrlich leicht herstellbaren Unterhaltungsverköstigung beizuwohnen, die von keinerlei Hintersinn oder doppeltem Boden künstlich in Richtung einer Mitdenkanforderung getrieben wird, die den Spass gewiss nur halbieren würde. Weil sie mit Wattebäuschchen werfen als zu einschlägig konnotiert ansehen, kaprizieren sie sich an ihrer statt auf Zaunpfählchen. Harmlos bis zur Kenntlichkeit.


«PRSPKTVNWCHSL», 3.6., Casinotheater, Winterthur.