Wunde Punkte

Es existierte noch nie ein Organisationskomitee weder für die Zurich Pride Parade noch des Vorläufers Christopher Street Day, das nicht sowieso alles falsch gemacht hätte. In den Details sind es so viele verschiedene, teils einander konträr gegenüberstehende Anliegen, die am Tag der Parade, die den öffentlichen Raum in einen riesigen Safe Space verwandelt und zeitgleich eine Sichtbarkeit herstellt, berücksichtigt, benannt und verhandelt werden wollen. Diese Unterschiede in den Mittelpunkt einer Auseinandersetzung stellen zu wollen, verbale Ultimaten aus den Schützengräben der Begrifflichkeiten schiessen und sich in der logischen Folge vom Solidaritätsgedanken abzusondern, ist natürlich ein möglicher Umgang mit einer nicht 100-prozentigen Übereinstimmung.

 

Wer sich die Mühe macht, die Gründe für vorgängige Protestnoten ergründen zu wollen, sieht sich zum Teil überrascht, wie sehr sie im Kern vergleichbar mit den Mechanismen sind, deren Verwendung bei anderen lauthals angeprangert werden. Wenn hinter vorgehaltener Hand eingestanden wird, es spiele auch ein gewisses Parteigeplänkel mit, aus einer linken Perspektive dem bürgerlichen OK der Pride ans Bein zu pinkeln, ist diese Instrumentalisierung der öffentlichen Aufmerksamkeit, die eine Pride herstellt, nicht sehr verschieden von der Duftmarke einer Firmenpräsenz von Konzernen. Der mitunter vorschnelle Vorwurf eines Pink­washing unterschlägt die Bemühungen dieser Firmen für die Achtung einer Diversität innerhalb ihrer Arbeitsstrukturen. 

 

Dass Fingerspitzengefühl, zum Teil primär innerhalb der Kommunikation individuell ausgeprägt vorhanden ist, entspricht halt der menschlichen Realität. Dass das aktuelle OK der Pride durchaus lernfähig ist, hat es dieses Jahr aber bewiesen. Die Community-Bühne befand sich nicht mehr im Schallbereich der Konzertbühne, die Toiletten waren unisono unisex, das von einer zehnköpfigen Arbeitsgruppe trans ursprünglich auf den Schild gehobene Motto wurde noch vor dem Start von Marketingmassnahmen geändert und die Corporate-Gruppen im Umzug wurden nach hinten durchgereicht. In einem Podcast der Pride erzählt eine Delegation dieser AG trans, dass sie «normal» als Begriff in der vollen Absicht gewählt hatten, weil sie darin das grösste Spannungsfeld für diskursive Debatten vermuteten. Dass derselbe Begriff andernorts als kategorisch abzulehnen firmiert, weil er eine Forderung zu Überassimilation implizieren soll, trifft aus einer etwas gelasseneren Distanz exakt den ursprünglich beabsichtigten Punkt. Der Vorwurf der Nichtberücksichtigung von anderslautenden Stimmen führt insofern weiter ins Leere, als auf Nachfrage überall eine inhaltlich ähnlich lautende Antwort auf die Frage zu vernehmen ist, weshalb kleinere Gruppen der Community nicht einfach versuchen, sich innerhalb der Vereinsstruktur der Pride Gehör zu verschaffen: Unsere Struktur ist zu klein. Der Aufwand ist zu gross. Spezifische Minderheitenanliegen wären eh chancenlos. Das ist, mit Verlaub, schon ein sehr spezielles Verständnis von Partizipation und einem Community-Gedanken überhaupt. Am kommenden Samstag – in Konkurrenz zur Westschweizer Pride in Bulle notabene – ein antikapitalistisches Sonderzüglein durch den Kreis 4 führen zu wollen oder als erste Gruppe des Umzugs dem Rest der Pride davonzumarschieren, um eine Abgrenzung zu demonstrieren – à la bonheur. Aber weder in der Wirkung in die breite Bevölkerung noch in der inhaltlichen Auseinandersetzung alias Aufklärung über notwendige Veränderungen wird aus einer solchen Separation ein Ersatz für den Dachgedanken der allgemeinen Solidarität der Pride. 

 

Dass eine Urfeministin zwischen «echten» und «unechten» trans Personen unterscheiden will und dies als Fürsorge verkauft, zeugt allein von einem befremdlichen Verständnis von Respekt gegenüber Menschen. Dass eine berühmt gewordene trans Person ihre Transition bedauert, ist individuell tragisch, aber verhehlt vor allem auch, wie sehr sich die Zeiten seither zum Besseren verändert haben. Das eine Jugend in der ihr innewohnenden Vehemenz lauthals protestiert, ist nötig und richtig. Zeitgleich darf nicht vergessen gehen, dass meine Bereitschaft zur Solidarität als sogenannt hochprivilegierter, 50-jähriger, weiss gelesener cis schwuler Mann auch davon abhängt, inwiefern ich über die von meiner verschiedenen Lebensrealitäten und deren Dringlichkeiten überhaupt Kenntnis bekommen kann. Zum Glück sind im Rahmen der Pride direkte Gespräche möglich und hielt Lillie Pfammatter im Namen von «Trans Gender Network Switzerland» eine fulminante Rede auf der Community-Bühne.

 

Ich glaube, mehrere Dinge verstanden zu haben: Wenn sich alle mit Pronomen anschrieben, wäre es Usus und kein Alleinstellungsmerkmal mehr, also auch kein unfreiwilliges Outing. Ein ungefähres Äquivalent dazu war die «eingetragene Partnerschaft» im Zivilstand, was sofort Rückschlüsse auf die Sexualität ermöglichte, was einige davon abhielt, ihre Liebe offiziell zu machen. 

 

Die äussere Erscheinung einer Person hat mit ihrer Geschlechtsidentität überhaupt nichts zu tun und geht mich – ausser wir wollen miteinander Sex haben –, überhaupt nichts an. Wenn, gemäss mehrerer Quellen, die nonbinären Personen heutzutage in der Schweiz geschätzt die Hälfte bis zu zwei Dritteln der trans Personengruppe ausmachen, wird auch die Nachfrage einer Transition (Geschlechtsangleichung) nicht explosionsartig zunehmen, sondern nur im Einzelfall mit grösstem Bedacht überhaupt in Erwägung gezogen. Ein Zwang dazu besteht glücklicherweise nicht mehr. Jemandem qua Anliegen gleich generell jede Entscheidungsbefugnis über sich selber absprechen zu wollen, ist per se eine mutwillige Herabwürdigung.

 

Der vereinfachte Zugang zur amtlichen Geschlechtsänderung ist eine nicht zu überschätzende Errungenschaft, mit der die Schweiz seit dem 1. Januar Mut zur Vorreiterrolle beweist. Auch die Auffächerung der Geschlechtsidentitäten in amtlichen Formularen ist für wenige eminent wichtig und für die Mehrheit kein Weltuntergang, sondern ein Verwaltungakt, wie das der Beschluss der Österreichischen Ministerialkonferenz am Mittwoch vor einer Woche nahelegt.

 

Im aufrichtig interessierten Direktkontakt sind Fehlformulierungen bspw. in den Pronomen mit einer Entschuldigung aus der Welt zu schaffen und sind – ausser jemand ist einfach Arschloch*in – kein Zeichen für Zurückweisung. C’est le ton qui fait la musique. Helft uns cis Personen, begreifen zu können. 

 

Und: Beim «Trans Gender Network Switzerland» klaffen Struktur und Anforderungen immer weiter auseinander. Die NGO braucht dringend Geld und bittet um Spenden.

 

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