Wohnquartier versinkt in Trümmern

Wo einst um die tausend Menschen in Wädenswil zu Hause waren, sind die Abbruchbagger aufgefahren: 11 Jahre nachdem aus der Hangenmoos-Baugenossenschaft eine Aktiengesellschaft wurde, muss die gleichnamige Siedlung einer Neuüberbauung weichen. Die Mieten dort aber könnten sich viele der ehemaligen BewohnerInnen kaum leisten.

 

Arthur Schäppi

 

Mit Brachialgewalt beisst sich die Abrisszange in die oberen Etagen eines achtgeschossigen Wohnblocks. Wie ein Dinosaurier aus Stahl rupft der mächtige Abbruchbagger Happen um Happen aus dem Eingeweide des Gebäudes. Staubschwaden wirbeln auf, Trümmerteile stürzen in die Tiefe. Etwas abseits vom Wädenswiler Stadtzentrum an leicht erhöhter Lage wird seit dem Sommer ein ganzes Wohnquartier dem Erdboden gleichgemacht: die Hangenmoossiedlung ob der Zugerstrasse, dem örtlichen Autobahnzubringer. Mittlerweile haben die Baumaschinen schon eine mächtige Schneise in die Häusersilhouette gerissen. Bevor sie loslegen konnten mussten aber erst Schadstoffe aus den Gebäuden entfernt werden.

 

Als Arbeitgeber-Genossenschaft gegründet

Die 19 Wohnblocks mit 253 Wohnungen waren 1967 von der damaligen Baugenossenschaft Hangenmoos des Industrie-Arbeitgebervereins Wädenswil-Richterswil im Elementbau erstellt worden. Als günstigen Wohnraum für die damals dringend gebrauchten Arbeiter und Angestellten sowie deren Familien. Aber beispielsweise auch Lehrer oder Polizisten waren dort zu Hause. Ein halbes Jahrhundert lang bot die Siedlung einfachen und sehr  preisgünstigen Wohnraum für rund tausend Menschen mit häufig eher bescheidenem Haushaltbudget. Eine 3½-Zimmerwohnung etwa kostete zuletzt um die 1600 Franken.

Jetzt aber wird Wädenswils einzige Plattenbausiedlung platt gemacht. Die Hangenmoos AG, die 2008 aus der gleichnamigen Baugenossenschaft hervorgegangen war und an der auch die Stadt Wädenswil und der Kanton mit je 7,5 Prozent beteiligt sind, realisiert in Etappen eine Neuüberbauung: Mit 18 teilweise zu Doppel- und Tripelgebäuden gruppierten Wohnbauten und total 305 Wohnungen, darunter 120 3 ½-Zimmer- und 78 4 ½-Zimmerwohnungen. Mit den Neubauten soll Anfang 2020 begonnen werden, sodass die ersten Wohnungen 2022 bezugsbereit seien, wie die Geschäftsleiterin der Hangenmoos AG, die Architektin Franca Comalini, sagt.

 

Schwierige Wohnungssuche

Die einstigen Mieter hatten im November 2015 die Kündigung per 30. September 2017 erhalten. Die rund 50jährige Siedlung sei stark abgelebt, Bausubstanz und Einrichtungen entsprächen nicht mehr heutigen Standards und eine Sanierung sei auch nicht wirtschaftlich, weil die Gebäude erdbebensicher gemacht und die Fassaden hätten isoliert werden müssen, begründete die Hangenmoos AG die Abrisspläne. Vielen Betroffenen, darunter zahlreiche langjährige Mieter und Migranten, fiel es indes schwer, eine einigermassen vergleichbare und bezahlbare neue Mietwohnung zu finden. Unterstützt wurden sie bei der Suche von den Sozialen Diensten der Stadt. «Für alle Mieter konnte glücklicherweise eine Anschlusslösung gefunden werden», sagt dazu Franca Comalini, «für etliche auch in unseren andern Liegenschaften». Manche der Bewohner sahen sich indes mangels bezahlbarer Alternativen auch zum Wegzug aus Wädenswil gezwungen.

Diverse Rekurse hatten das Neubauprojekt immer wieder verzögert. Lange bevor die Bauherrschaft im letzten November doch noch zu einer rechtskräftigen Baubewilligung kam und die letzten verbliebenen Bewohner auszogen, hatte sich das Wohnquartier zusehends zum Geisterdorf entvölkert.

 

Warnung vor «Gentrifizierung»

Die Bauherrschaft hatte stets bekundet, dass sie in der Neuüberbauung nicht nur architektonisch ansprechenden, sondern auch preiswerten Wohnraum für den Mittelstand schaffen wolle. Darunter versteht die Immobiliengesellschaft etwa Mieten von 2300 bis 2770 Franken für die 4 ½-Zimmerwohnungen, wie Comalini frühere Aussagen bestätigt. Darauf hatte auch die Stadtregierung Bezug genommen, als sie im Februar auf eine Anfrage der Grünen, die sich besorgt über eine drohende «Gentrifizierung» gezeigt hatten, antwortete. Wissen wollten die Grünen, ob und mit welchem Erfolg die Stadtregierung, die mit Stadtpräsident Philipp Kutter (CVP) im fünfköpfigen Verwaltungsrat der Hangenmoos AG vertreten ist, ihren Einfluss zugunsten von bezahlbarem Wohnraum geltend gemacht habe. Er anerkenne, dass sich die Hangenmoos AG am Markt behaupten müsse, setze sich dort aber auch für die Schaffung von günstigem Wohnraum ein, versicherte der Stadtrat. Dass die Anliegen der Stadt berücksichtigt würden, zeige sich daran, dass die Mieten der Hangenmoos AG «zu den günstigen zählen und andere Bauprojekte an vergleichbaren Lagen, die ohne eine solche Einflussnahme entstanden sind, mehrheitlich höhere Mietkosten aufweisen». Für die vertriebenen Hangenmoos-Bewohner ist dies freilich ein schwacher Trost. Viele von ihnen könnten sich auch kaum eine Wohnung in der künftigen Neuüberbauung leisten.

 

 

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