Wohn-Spintisiererei

Vor vier Wochen bin ich umgezogen in eine hübsche 3-Zimmer-Wohnung an szenigster Lage im Kreis 3 – zum Schnäppchenpreis! Spintisiererei? Nein – aber ich muss bereits wieder weitersuchen, denn habe sie nur bekommen, weil die ganze Liegenschaft im November abgerissen wird zugunsten eines «Ersatzneubaus». Dies setze ich in Anführungszeichen, weil mir schwant, dass hier nicht ein gleichwertiger Ersatz für die hübschen Dreizimmerwohnungen und die Gärtnerei mit Treibhäusern im Innenhof gebaut wird, sondern ein sogenanntes Renditeobjekt. Das Areal gehört – erst seit wenigen Monaten – einem UBS-Immobilienfonds, dessen Name mir wieder entfallen ist, und Immobilienfonds sind nun mal nicht bekannt für sozialen Wohnungsbau.

 

Ich will hier nicht das Lamento von der Gentrifizierung anstimmen, das tun andere kompetenter als ich. Gentrifizierung in den Grossstädten ist wohl eine natürliche, gar zwingende Entwicklung, solange man den Wohnungsmarkt als – eben – Markt begreift und das Grundeigentum als eine Art von Gott gegebenes Menschenrecht.

 

Während meiner Zeit beim Mieterinnen- und Mieterverband hat dieser die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» konzipiert. Ich war als wohnpolitischer Neuling nur am Rande in die Diskussionen involviert; spannend für mich war vor allem die Frage, ob man grundsätzliche Forderungen stellen wolle oder lieber realistische. Der Verband hat sich für die realistische Variante entschieden und wurde dafür belohnt mit der Unterstützung von Wohnbaugenossenschaften, Gewerkschaftsbund, SP und Grünen. Falls der politische Wind bis zur Abstimmung noch etwas weiter dreht, ist ein Erfolg an der Urne durchaus möglich.

 

Ich persönlich wäre gern weiter gegangen. Dass der Immobilienmarkt kein richtiger Markt ist, ist ja keine neue Erkenntnis. Ich kann zwar sagen, Uhren sind mir zu teuer, ich verzichte auf eine Uhr, aber ich kann nicht auf eine Wohnung verzichten. Wohnraum kann auch nicht unbeschränkt vermehrt werden, da der Grund und Boden nicht mehr wird. Und jetzt, da die Zinsen so tief sind, dass sich auf den Finanzmärkten kaum mehr sichere Renditen erzielen lassen, bleiben die Liegenschaften als letzter sicherer Hafen für Anleger. Und diese Anleger sind ja beileibe nicht nur gierige Spekulanten und Katarische Scheichs – mit dem Pensionskassensystem haben wir gigantische Geldmengen, die, gesetzlich vorgeschrieben, zwingend eine gute Rendite erwirtschaften müssen, und die somit den Wohnungsmarkt anheizen.

 

Ich wünschte mir deshalb eine Initiative, die die Freiheiten der Grundeigentümer so weit beschränkt, dass Liegenschaften als Anlageobjekte uninteressant und somit dem Finanzmarkt entzogen werden. Etwas in der Art: «Grundeigentum verpflichtet» oder «Wohnen ist ein Menschenrecht». Natürlich würde so eine Initiative vorläufig an der Urne scheitern, aber der Gedanke muss irgendwann in die Köpfe der Menschen gepflanzt werden: Nicht die Freiheit des Grundeigentümers soll ein Menschenrecht sein, sondern der Anspruch auf ein angemessenes Dach über dem Kopf.

 

Vorerst wünsche ich mir aber, spätestens Ende Oktober in eine neue Wohnung ziehen zu können. Mindestens zwei Zimmer, bis ca. 1200 Franken, gern in den Kreisen 3, 4, 5 oder 9. Wenn wir schon beim Spintisieren sind. Sollten Sie etwas wissen, freue ich mich über einen Hinweis auf ernst@derernst.ch.

 

Markus Ernst

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