Wo wirds unethisch?

In Basel-Stadt wird gerade über die Initiative «Grundrechte für Primaten» abgestimmt. Auch wenn sie den Kanton Zürich nicht direkt betrifft – auch hier gibt es Institutionen, die an Primaten forschen. Wie plant man artgerechten Umgang überhaupt? Und wurde die Ethikfrage nicht schon lange beerdigt? Eine Zusammenfassung.

 

Sergio Scagliola 

 

Die Initiative «Grundrechte für Primaten» fordert das Grundrecht auf Leben sowie seelische und körperliche Unversehrtheit für alle nicht-menschlichen Primaten. Das Thema Tierethik ist aktuell aber nicht nur omnipräsent in Basel, sondern auch national. Der Tierversuchsverbots-Initiative wehte in den letzten Monaten ein heftiger Gegenwind entgegen: besonders aus der Politik – keine Partei hat eine Ja-Parole herausgegeben. Das sieht bei der basel-städtischen Initiative anders aus, wo sich die lokale SP- und Grünen-Fraktionen für die Initiative aussprechen.

 

Woran liegt das? Zum einen ist der Anspruch von «Sentience», die hinter der Initiative steht, ein grundlegend anderer als bei der Tierversuchsverbots-Initiative. Sie zielt nicht auf die generelle Problematik von Tierversuchen, sondern beschäftigt sich primär mit den Lebensumständen hochintelligenter Tiere – in diesem Fall Primaten. «Ausgehend von den wissenschaftlichen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte, dass Primaten komplexe emotionale und gesellschaftliche Konzepte wie Selbstbewusstsein, Zukunftsplanung oder soziale Urteilsbildung beherrschen, sind belastende Primatenversuche nicht länger tragbar. Deshalb braucht es eigenständige, auf Primaten abgestimmte Rechte. Zudem geht es darum, dass wir überdenken müssen, dass wir Menschen uns systematisch über alle anderen Lebewesen und den Planeten stellen», erklärt Tamina Graber vom Initiativkomitee. 

 

Auch wenn der politische Gegenwind nicht so stark weht wie bei der Tierversuchsverbots-Initiative, hat sich das Initiativkomitee dennoch eine starke Opposition aufgehalst. Auch die privaten Institutionen, die Primaten halten – wie die Pharma und Zoos – sind im Nein-Komitee vertreten oder haben sich zumindest gegen die Initiative ausgesprochen. Das überrascht: Die Grundrechte könnten bei deren Annahme nur bei öffentlich finanzierten Institutionen durchgesetzt werden, Private wären nicht direkt betroffen.

 

Gegenwind

Ist der Widerstand der Zoos vielleicht darin begründet, dass ihre Primaten einen bedeutenden Teil der Versuchstiere stellen? Nein, sagt Severin Dressen, Direktor des Zoo Zürich und erklärt: «Der Zoo Zürich ist nicht in die Pharma eingebunden. Wir betreiben im Zoo Verhaltensforschung, gehen also zum Beispiel der Frage nach, welche Eukalyptusarten ein Koala bevorzugt frisst und welche er meidet.» Zusammenarbeit mit der Universität Zürich existiert z. B. über das Tierspital. Von den akademischen Institutionen forschen momentan die Universität Zürich mit der ETH am Institut für Neuroinformatik an Makaken. Die Universität Fribourg betreibt ebenfalls Primatenstudien und auch Roche und Novartis waren 2017 noch in Primatenversuche eingebunden. Und die Roche erklärt: «Diese werden auch in der Zukunft für bestimmte Fragestellungen (z.B. Verträglichkeitsuntersuchungen)  und Indikationsgebiete (z.B. immunologische Fragestellungen) notwendig sein, um neue, wirksamere und verträgliche Medikamente zu entwickeln.»

 

Insbesondere die Neurowissenschaften haben den Primaten einiges zu verdanken. Forschung an Primaten hat bereits zur Entwicklung von Therapien neurologischer Leiden wie Parkinson, Alzheimer oder Hirnschlägen beigetragen, liefert aber auch neue Erkenntnisse zur Behandlung von Krankheiten wie Krebs oder HIV/AIDS. Wichtig sei auch, dass zwei Drittel aller europäischen Primatenstudien Sicherheitstests von Medikamenten oder Impfungen sind – diese würden in der Schweiz nicht mehr gemacht, sagt Prof. Valerio Mante vom neuroinformatischen Institut. Er hinterfragt das Outsourcing dieser Versuche generell und präzisiert: «Es ist erwähnenswert, dass solche Sicherheitstests an Primaten schon lange nicht mehr in der Schweiz durchgeführt werden. Diese Versuche wurden vollständig ins Ausland verlagert. Trotzdem profitiert auch die Schweizer Bevölkerung von den resultierenden Therapien.» Die ethische Problematik der Eingriffe ist der Forschung bewusst. «Ich würde ja auch lieber keine Tierversuche machen, aber es sind leider nicht immer Alternativen vorhanden.»

 

Dem Initiativkomitee geht es mehr um die Gegenüberstellung Recht auf Unversehrtheit und Leben versus wissenschaftlichem Nutzen oder Unterhaltung im Fall der Zoos. Das Recht auf Leben sei insbesondere nicht gesichert, wenn die Tiere nach Studienende etwa eingeschläfert würden. Eine Unternehmenssprecherin von Roche relativiert dies. Die Einschläferung nach Studienende geschehe nur nach einer Prüfung durch die Tierschutzkommission im Kontext von bereits im Voraus festgelegten Faktoren: «Ethische Überlegungen, tierärtztliche Prognosen und Forschungsaspekte.» Das mag inhaltsleer klingen – die Roche betont aber auch, dass man sich wie die Akademie dem 3R-Modell verschrieben hat: replace, reduce, refine. Dies führte bereits kurzfristig dazu, dass die belastenden Tierversuche in den letzten Jahren stark zurückgegangen seien. Diese Rechnung sieht beim Ini­tiativkomitee etwas anders aus: Laut Tamina Graber seien in den ca. 1500 baslerischen Primatenversuchen der letzten zehn Jahre in 1000 Fällen die körperliche und seelische Unversehrtheit nicht gewährleistet worden. 

 

Haltung bewahren

Die Tierwürde zu sichern, beschränkt sich aber nicht nur auf Tierversuche – die Ini­tiative macht ein grösseres Fass auf. Es geht im Grundsatz um die Gewährleistung der Unversehrtheit in jeder Form des Umgangs, auch der Haltung. Das stösst dem Zoo Zürich etwas sauer auf, die Forderung scheint Direktor Severin Dressen zu undifferenziert: «Artenschutz, Tierschutz und Tierrechte sind drei verschiedene Dinge: Der Artenschutz hat den Schutz einer ganzen Tierart zum Ziel, also zum Beispiel, Spitzmaulnashörner vor der Ausrottung zu bewahren. Der Tierschutz schützt das Individuum, also das einzelne Tier. Dazu gehört das Tierwohl (Animal Welfare), also dass es zum Beispiel jedem einzelnen Tier bei uns im Zoo gut geht und all seine Bedürfnisse befriedigt sind. Beim Tierrecht geht es ebenfalls um das Individuum. Hat ein Tier Grundrechte, bedeutet dies, dass ich als Mensch nicht mehr über das Tier verfügen darf.» Aus ethischer Sicht sei das zwar begrüssenswert, habe aber Folgen für die Gegenwart. Könnte über Tiere nicht mehr verfügt werden, kämen z.B. Schwierigkeiten im Tiertransport und der Umsiedelung auf. Der Mensch sei nur nicht die einzige Spezies, die andere Arten erfolgreich ausrottet, sondern auch die einzige Art, die Verantwortung für andere Arten übernehmen könne. Diese müsse man wahrnehmen, wenn man den Biodiversitätsverlust stoppen will. «Artenschutz und Tierschutz gehen zusammen, Artenschutz und Grundrechte für Tiere schliessen sich gegenseitig aus», erklärt Severin Dressen. Die Zuschreibung von Grundrechten für nicht-menschliche Primaten könnte zum Beispiel dazu führen, dass eine Ombudsstelle zur Wahrung ihrer Rechte eingerichtet würde. Die Verantwortung würde so gewissermassen verschoben oder aufgeteilt werden. Aber: Auch dann entscheidet noch immer eine Instanz über Individuen, die nicht über sich selbst bestimmen können. Wie würde man eine solche Stelle besetzen? Mit TierpflegerInnen oder BiologInnen, die tagtäglich mit den Tieren interagieren? Oder einer  juristischen Fachperson, die wohl nur bedingt Einsicht in die Abläufe hätte? Je nach Besetzung einer solchen Ombuds­stelle droht, letztlich nur ähnlich viel verändern zu können, wie es die Forschung trotz pragmatischer Sicht bereits tut. 

 

Das positive Bild, das die Zoos von sich selbst zeichnen, gerät aber dank Leaks, die der Presse zugespielt wurden, ins Wanken. Der ‹Basler Zeitung› wurden Rapporte aus dem Basler Zoo zugeschickt, welche auf Missstände in der Primatenhaltung verweisen: Im Gorillagehege sei ab 2014 Gewalt und Mobbing seitens des Silberrückens an einem anderen Männchen so lang toleriert worden, dass der letztendliche Tod des Tiers in Kauf genommen worden sei – der Zoo habe einfach unbedingt ein zweites Männchen zur Schau stellen wollen. Die Populationsplanung scheint sich gerade bei Gorillas schwierig zu gestalten. Die Gesellschaftsstruktur der Spezies orientiert sich meist an einem männlichen Tier, das mit weiblichen Artgenossinnen zusammenlebt. Andere Männchen sind davon generell ausgeschlossen. Da die Geschlechterquote bei Geburten aber etwa 50/50 ist, stellt es die Zuchtprogramme vor ein ähnliches Problem, wie es beispielsweise bei Hühnern bekannt ist: ein Überschuss an Männchen. Auch als Leak wurde ‹The Guardian› vor einigen Wochen ein Dokument der ‹European Association of Zoos and Aquaria› mit möglichen Strategien diesbezüglich zugespielt: Kastration, Isolation oder Keulung – Einschläfern – der überschüssigen Tiere.

 

Ethik-Affentheater?

Diese Strategien verstiessen unter dem geforderten Grundrecht klar gegen die Unversehrtheit. Aber wo ist die Grenze, was als unethisch gilt? Beide Seiten scheinen die Unterscheidung an einem relativ willkürlichen Punkt festzumachen – gerade im Hinblick darauf, dass wir heute verstehen, wie weitläufig die Wahrnehmung hochintelligenter Tiere ist. Es beeindruckt umso mehr, wenn man sich darin wiedererkennt. Deshalb haben unsere OrdnungsgenossInnen im Affenhaus des Zoos Zürich auch einen Vorteil gegenüber anderen Spezies. Aber wenn der jugendliche Orang-Utan scheinbar gelangweilt einen Kaffeebecher kreisen lässt, wie es die Menschen um sieben Uhr morgens auf dem Bahnhofsperron auch tun, ist der Ethikzug gleichzeitig doch schon lange abgefahren. Wenn die Initiative angenommen wird, wäre die symbolische Wirkung aber vielleicht mal zumindest ein Input an die menschliche Egozentrik – wenn auch mit Konsequenzen in Medizin und Forschung. Auf der Seite der Industrie wird bemüht, vermindert und bedauert, aber allermeistens mit Ausnahmen. Und wenn der Dachverband der Schweizer Zoos kommuniziert, dass das Tierschutzgesetz alle Tiere schützt und die Initiative TierpflegerInnen zu Kriminellen macht, wirkt das angesichts der Leaks aus dem Basler Zoo – aber auch den Zuchtprogrammen und der langfristigen Strategie zur Populationsplanung – mehr nach hässiger Unternehmenskommunikation statt ernster Besorgnis über eine Rechtsänderung. 

 

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