Witz und Hintersinn

 

Es ist bei weitem nicht so, dass sich die persönliche Begeisterungsfähigkeit bereits vorab in die Ferien verabschiedet hätte. Auch die dritte Brachen-Intervention von «watzdameyer/Filiale» in Serie alias «Grosses Kino» sorgt für helle Freude.

 

Wie immer ist der Titel der Kurzinterventionen von «watzdameyer/Filiale» unter dem Überbegriff «1A» auf der Baubrache Ecke Zoll-/Langstrasse, die demnächst von der Genossenschaft Kalkbreite überbaut wird, gleichsam trefflich wie auch nichtssagend. Denn wie bei den bisherigen «Eröffnung» und «Norwegen» ist auch die eben gezeigte dritte, «Grosses Kino», bloss ein ungefährer Hinweis, in welche Richtung es gehen könnte. Aber was sich Simon Dellsperger und Jesko Stubbe diesmal wieder für konkreten Schabernack dazu ausgedacht haben, wird erst mit der Performance manifest. Ein Publikum muss sich also quasi unwissend, einzig auf die bisherige Qualität von «watzdameyer»-Produktionen vertrauend, physisch vor Ort begeben und sich schlechterdings überraschen lassen. Weder die dafür investierte Zeit (20 Minuten) noch der Eintrittspreis (diesmal: 5 Franken) zeigen ausreichend abschreckende Wirkung. Der abgedroschene Sozibegriff ‹niederschwellig› kommt einem trotzdem nicht in den Sinn, denn das Köpfchen darf gut und gerne mitgebracht werden, damit die in sich stimmigen Querbezüge inhaltlich wie formal wie ortsspezifisch auch als Witz und Hintersinn erkannt werden können.

 

Die Vermengung des 1998 definierten Legislaturziels des Zürcher Stadtrates «10 000 Wohnungen in 10 Jahren» mit dem 1940 ohne das Wissen der direkten Vorgesetzten von Friedrich Traugott Wahlen öffentlich gemachten Plans zur markanten Ausweitung der Ackerfläche, bekannt als «Anbauschlacht» oder «Plan Wahlen» und als fünfteilige DVD-Edition erhältlich, ist die offensichtliche Parallele zur Lokalität. Dieser hinzugefügt wird eine von Alfred Hitchcock 1959 für den Film «North by Northwest» (deutsch: Der unsichtbare Dritte) geführte Anbauschlacht. Entgegen der Rede im Trailer für den Wahlen-Film «ein Dokumentarfilm ist kein Unerhaltungsfilm», ist der Hitchcockthriller mit Cary Grant als Werbefachmann Roger Thornbill, der versehentlich für den erfundenen Geheimagenten George Kaplan gehalten und gejagt wird, hohe Kunst der Unterhaltung. Und: Für die berühmte Szene im Niemandsland, wo er sich gegen einen Flugzeugangriff in einem Maisfeld versteckt, ist wiederum der Link zur zu bespielenden Brache wiewohl zu Wahlen: Hitchcock liess praktisch in der Wüste extra für diese Filmszene ein Maisfeld anbauen, wo dieser sonst üblicherweise gar nie wachsen würde.

 

Jesko Stubbe als Cary Grant passt mit seinem kantig-männlichen Gesicht wunderbar als Double, während Simon Dellsperger die Rolle des Insektenvertilgungs-Sprühflugzeugs ebenso heiter wie verblüffend übernimmt, wie die Fuss-auf-Finger-tret-Szene auf dem Mount Rushmore, wozu extra ein Stück griechischer Säule (ein Imitat, keine Raubkunst) hinzugezogen wird. Lange hätten sie zuvor überlegt, wie auf dieser Baubrache an der Zollstrasse ein Maisfeld angebaut werden könnte, liessen sich von einem Hansruedi fachgerecht beraten, also abraten. Boden wie Lage sind für Mais ungeeignet, und sogar für die an sich geeignete Hirseart Sognum hätte «watzdameyer» eine bis zu zehn Zentimeter hohe Humusschicht hinkarren müssen. Also bleibts bei Yukkapalmen als Zierrat und einer köstlichen Beschaffungsnacherzählung von fünf sich selbst aufblasenden Maiskostümen mit einer Viviane in China (die sich diesen Künstlernamen extra für westliche Besteller zugelegt hat). Als die potenziellen Besteller mit einer Werbeabbildung und der Aufforderung sich den «künstlichen Mais» mit der Vorabbezahlung der Hälfte des Kaufpreises auch tatsächlich zu sichern, konfrontiert waren, antworteten sie, das sähe einem realen Mais aber überhaupt nicht ähnlich. Worauf Viviane den Preis um die Hälfte senkte und sich im Namen des Designers entschuldigte, dass die Maisspitze einfach nicht besser hinzubekommen wäre. Und in der Folge blumige Worte der Hoffnung hinzufügte, die bestellte Ware möge den Empfangenden dennoch zweckdienlich sein. Womit sich der Kreis wieder schliesst, der hier besagt, dass Dokumentartheater – im Gegensatz zum Wahlen-Film – durchaus beste Unterhaltung sein kann. Wonach bloss noch der Jetztbezug fehlt, den Jesko Stubbe mit einer entrüsteten Tirade über den zweckfremden Missbrauch seiner eigenen Fähigkeit als Dokumentardarsteller in diesem Setting zur allgemeinen Erheiterung beifügt – und dabei neckisch mit einem Auge zwinkert.

 

watzdameyer/Filiale: «1A – Grosses Kino», 27.6., Brache Ecke Zoll-/Langstrasse, Zürich. Nächste: 11./12.9.15.

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