Feind bleibt Feind, daran ändert auch Blutsverwandtschaft nichts.

Wissentlich Tatwerkzeug

Das scharfe Regelwerk des theokratischen Regimes des Iran und die damit einhergehende Verunmenschlichung der Zivilbevölkerung bilden schon lange die stets anklagenden Inhalte der Filme von Mohammad Rasoulof.

Die titelgebende Pflanze für «The Seed of the Sacred Fig» verbreitet sich als Spezies besonders perfide. Nachdem sich Vögel an ihren Früchten gelabt haben, lassen sie die Samen mit ihrem Kot im Flug auf andere Bäume fallen. Die Samen setzen sich fest, wachsen vom Himmel in Richtung Erde, schlagen Wurzeln und erwürgen ihre Wirtpflanze. Stellen sich an ihre Stelle, als wäre es nie anders gewesen. Ganz so hoffnungslos endet der Film dann doch nicht, aber die Symbolik des Schlusses gleicht mehr einem Stossgebet denn einer realen Möglichkeit. Erschlagen von zoroastrischen, also vorislamischen Ruinenblöcken, schaut bloss noch die Hand des Unterdrückers unter dem Schutt hervor und bildet das symbolische Handzeichen für «Frau, Leben, Freiheit». 

Verheimlichte Privilegien

Der Film beginnt damit, dass Iman (Misagh Zare) und seine Gattin Nahmeh (Soheila Golestani) ihre knapp erwachsenen Töchter Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki) für eine feierliche Aussprache zu Tisch bitten. Die Nachricht duldet keinen Aufschub. Imam wurde nach langen Jahren niedrigrangiger Dienste zum Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran befördert. Bislang wurden die Töchter bewusst im Unklaren darüber gelassen, dass ihr Vater direkt für den Repressionsapparat arbeitet, aber jetzt, da seine Exponiertheit möglicherweise öffentlich werden könnte, also die Gefahr für Leib und Leben der Familie real wachsen könnte, müssen die Töchter davon wissen. Und sich in keinem Fall, unter gar keinen Umständen, irgend eine Blösse geben, sich eine Übertretung der Regeln der Sittenpolizei schuldig machen, mit irgendjemandem ausserhalb der Familie darüber unterhalten. Für ihr Stillschweigen wird in absehbarer Zeit eine viel grössere Wohnung, ein sehr viel höheres Einkommen und die Gewissheit, einer Elite anzugehören, doch wohl ausreichend Entschädigung darstellen, suggeriert die Mutter Nahme mit bedeutungsschwer drohendem Blick. Imam gelobt, als studierter Jurist sehr gewissenhaft und allein entlang der geltenden Gesetze arbeiten zu wollen, insbesondere wenn es um Anklagen wie Gotteslästerung gehen sollte, die einen Vollzug der Todesstrafe zur Folge haben. Keinen Tag später hat sich nach dem unaufgeklärten Tod hinter Gefängnismauern von Masha Amini die Lage komplett geändert. Auf den Strassen protestiert das Volk, zuvorderst die Frauen und die vielen verschiedenen Polizeien und Wächterräte der Islamischen Republik Iran kommen mit dem Verhaften überhaupt nicht nach. Also wird aus Imams Plan, gewissenhaft arbeiten zu wollen, auf Druck der ihm vorgesetzten Stellen erst mal überhaupt rein gar nichts. Er soll im Akkord aburteilen. Ein Aktenstudium sei nicht nötig. Mit ihrer Teilnahme an den Protesten hätten die Gefangenen ihre Schuld ja bereits bewiesen. Zu seinem eigenen Schutz erhält er widerwillig eine Dienstwaffe mit nach Hause.

Widerständischer Nachwuchs

Die Töchter sind so vernetzt, wie das dank VPN im Iran möglich ist. Trotz Verbot tummeln sich alle auf Instagram et al. und wissen um die Abhörsicherheit von Messengerdiensten wie Telegram. Sadaf (Niousha Akshsi), eine Freundin der älteren Tochter Rezvan, flüchtet sich blutüberströmt bis in ihre Wohnung und fleht die beiden Töchter bei ihrem Leben an, ihr Schutz zu bieten und sie zu verarzten. Solange der Vater nicht anwesend ist, lässt sich sogar die Mutter darauf ein, schickt sie aber im Dunkel der Nacht, provisorisch verarztet wieder weg. Der Druck auf die Familie, ihre Wohnung nicht wieder zu verlassen, steigt. Die Filmparanoia wird regelrecht greifbar. Aber sie ist noch steigerbar. Als Imam seine Dienstwaffe nicht wieder findet, was unter gar keinen Umständen publik werden darf, verkehrt er, selbst in eine Ecke gedrängt, sämtliche ihm zur Verfügung stehende Macht in Richtung seiner eigenen Familie. Jemand muss sie gestohlen und versteckt haben, ein eigenes Unvermögen ist ausgeschlossen. Er zerrt alle drei Frauen zu unzimperlichen Verhören, wo sie bedroht, ihnen die Augen verbunden, ihnen Geständnisse zur Unterschrift unterbreitet werden. Vorerst ohne Erfolg. Also spediert er sie mit verbundenen Augen in ein Auto, fährt raus aus der Stadt in einen ehemaligen Familiensitz und sperrt sie in Einzelhaft so lange ein, bis eine ihre Tat zugibt. In seiner Lesart natürlich die Wahrheit festgestellt worden ist und damit auch wieder Ordnung. Mohammad Rasoulofs Zuspitzung ist kolossal, aber als mögliche Entwicklung eines heillosen Rundumschlags auch überhaupt nicht unwahrscheinlich. Im Gegenteil, ist es das Weiterdenken bis in die letzte Konsequenz einer Bereitschaft, vermeintlichen Gegner:innen die Menschlichkeit abzusprechen.

«The Seed of the Sacred Fig» spielt in den Kinos LeParis, Movie, Houdini sowie demnächst in Dübendorf, Pfäffikon, Männedorf, Uster, Wädenswil, Wettingen und Winterthur.